Neuroborreliose

Von 
und , Medizinredakteurin und Biologin
Dr. med. Fabian Dupont

Fabian Dupont ist freier Autor in der NetDoktor-Medizinredaktion. Der Humanmediziner ist bereits für wissenschaftliche Arbeiten unter anderem Belgien, Spanien, Ruanda, die USA, Großbritannien, Südafrika, Neuseeland und die Schweiz. Schwerpunkt seiner Doktorarbeit war die Tropen-Neurologie, sein besonderes Interesse gilt aber der internationalen Gesundheitswissenschaft (Public Health) und der verständlichen Vermittlung medizinischer Sachverhalte.

Martina Feichter

Martina Feichter hat in Innsbruck Biologie mit Wahlfach Pharmazie studiert und sich dabei auch in die Welt der Heilpflanzen vertieft. Von dort war es nicht weit zu anderen medizinischen Themen, die sie bis heute fesseln. Sie ließ sich an der Axel Springer Akademie in Hamburg zur Journalistin ausbilden und arbeitet seit 2007 für NetDoktor (zwischenzeitlich als freie Autorin).

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Die Neuroborreliose ist eine Verlaufsform der Lyme-Borreliose. Sie entwickelt sich, wenn sich die Borrelien-Bakterien im Körper ausbreiten und dabei das Hirn oder die Nervenbahnen befallen. Die daraus resultierenden Symptome sind vielfältig. Das kann die Diagnose erschweren. Hier erfahren Sie mehr über Symptome, Diagnose und Therapie der Neuroborreliose.

borreliose

Neuroborreliose: Symptome und Verlauf

Mediziner unterscheiden eine frühe und eine späte (chronische) Neuroborreliose. Bei früher Neuroborreliose dauern die Symptome Wochen bis Monate an, bei später Neuroborreliose dagegen Monate bis Jahre.

Frühe Neuroborreliose: Symptome

Bei vermutlich mehr als 98 Prozent aller Neuroborreliose-Patienten liegt eine frühe Neuroborreliose vor. Die ersten Symptome treten innerhalb von wenigen Wochen bis einigen Monaten nach der Infektion mit dem Borreliose-Erreger (über einen Zeckenstich) auf.

Typischerweise entwickelt sich eine schmerzhafte, nicht-eitrige Entzündung der Hirnhäute und der Nervenwurzeln des Rückenmarks. Mediziner sprechen hier von einer Meningopolyradikulitis. Sie äussert sich mit quälenden Nervenschmerzen. Betroffene beschreiben die Schmerzen als brennend, bohrend, beissend oder reissend und leiden darunter vor allem nachts.

Zusätzlich können Missempfindungen und schlaffe Lähmungen auftreten. Beispielsweise ist die frühe Neuroborreliose oft verbunden mit einer ein- oder beidseitigen Gesichtslähmung (Fazialisparese). Sie beruht auf einer Entzündung des 7. Hirnnervs (Gesichts- oder Fazialisnerv). Seltener sind bei einer Neuroborreliose andere Hirnnerven entzündet. Zu den möglichen Folgen zählen unter anderem Lähmungen der Augenmuskeln, Hörminderung und Schwindel.

Bei Kindern mit früher Neuroborreliose beobachtet man oft nur eine isolierte Gesichtslähmung oder eine akute Hirnhautentzündung (Meningitis). Letztere kann mit Symptomen wie Kopfschmerzen, Nackensteife, Lichtscheu, Übelkeit, Erbrechen und emotionaler Labilität einhergehen.

Späte Neuroborreliose: Symptome

Die späte (chronische) Neuroborreliose ist selten. Bei den Betroffenen entwickeln sich die neurologischen Beschwerden schleichend über Monate bis Jahre.Typischerweise kommt es zu einer chronisch fortschreitenden Entzündung des Gehirns und Rückenmarks (Enzephalomyelitis).

Die Betroffenen haben meist keine Schmerzen, leiden aber unter Gangstörungen und Problemen bei der Blasenentleerung. Ausserdem kann die späte Neuroborreliose Symptome wie Sprach- und Sprechbeschwerden, Hörminderung, Koordinationsschwierigkeiten, Sensibilitätsstörungen und Lähmungserscheinungen hervorrufen.

Selten entwickelt sich bei später Neuroborreliose eine Epilepsie oder ein organisches Psychosyndrom (mit Konzentrations- und Bewusstseinsstörungen sowie Halluzinationen). Ebenfalls selten entzünden sich Blutgefässe im Gehirn (zerebrale Vaskulitis), was einen Schlaganfall zur Folge haben kann. Sehr selten tritt eine isolierte Hirnhautentzündung (Meningitis) auf.

Post-Lyme-Disease-Syndrom

Von einer gesicherten späten Neuroborreliose grenzen Fachleute einen Krankheitszustand ab, der mit verschiedenen Begriffen wie "Post-Lyme-Disease-Syndrome" oder "Post Treatment Lyme Disease Syndrome" (PTLDS), manchmal auch "(Post-)Lyme-Enzephalopathie" oder unspezifisch "Chronische Lyme-Borreliose" bezeichnet wird.

Dabei werden unspezifische chronische Beschwerden wie anhaltende Müdigkeit, Antriebslosigkeit und Konzentrationsschwäche in Verbindung mit einer früheren Borreliose-Infektion gebracht – ohne dass sich ein entzündlich-infektiöser Prozess labordiagnostisch nach allgemein akzeptierten Kriterien nachweisen lässt.

Deshalb sollte man hier zuerst an andere Krankheitsbilder denken wie zum Beispiel an eine andere chronische Infektion, eine Autoimmunerkrankung oder eine Depression.

Eine Antibiotika-Therapie ist bei einem Post-Borreliose-Syndrom nicht sinnvoll.

Neuroborreliose: Untersuchung und Diagnose

Wenn ein Patient einige der oben genannten Symptome aufweist und von einem zurückliegenden Zeckenstich berichtet, ergibt sich für den Arzt der Verdacht auf eine Neuroborreliose. Das gilt auch, wenn sich ein Patient an keinen Zeckenstich erinnert, aber die Möglichkeit zu einem solchen bestand oder besteht (durch Waldspaziergänge, Gartenarbeit etc.).

Labortests

Zur Abklärung des Verdachts kann der Arzt verschiedene Labortests durchführen.

Nachweis von Borrelien-Antikörpern

Dieser Test kann das Blut und die Gehirn-/Rückenmarksflüssigkeit (Nervenwasser oder Liquor) des Patienten auf spezifische Antikörper gegen Borrelien-Bakterien untersuchen. Die Ergebnisse solcher Tests lassen sich aber nicht immer eindeutig interpretieren. Das liegt unter anderem daran, dass sich auch dann noch Borrelien-Antikörper nachweisen lassen, wenn die Infektion schon lange zurückliegt und längst ausgeheilt ist.

Nachweis entzündlicher Liquor-Veränderungen

Finden sich in der Nervenwasser-Probe (Liquor-Probe) tatsächlich Borrelien-Antikörper, reicht das aber noch nicht für eine sichere Diagnose. Es müssen sich auch entzündliche Veränderungen im Nervenwasser nachweisen lassen. Dazu zählen etwa eine erhöhte Anzahl an weissen Blutkörperchen sowie eine Erhöhung des Gesamteiweisses.

Direkter Erreger-Nachweis

Zur Unterstützung der Neuroborreliose-Diagnose kann man den Erreger auch direkt im Nervenwasser nachweisen (in speziell dafür geschulten Laboratorien). Dazu nimmt man eine Liquor-Probe des Patienten und versucht, damit Borrelien-Bakterien anzuzüchten (Kultur) oder Erbgut-Schnipsel der Erreger nachzuweisen (mittels Polymerase-Kettenreaktion = PCR).

Das gelingt aber nur in relativ wenigen Fällen. Ausserdem ist eine Borrelien-Kultur sehr zeitaufwendig. Hinzu kommt, dass nur spezielle Labore diese Tests zuverlässig durchführen können.

Deshalb ist der Direktnachweis von Borreliose-Erregern bei Verdacht auf Neuroborreliose meist nur in Ausnahmefällen empfohlen. Er kann etwa hilfreich sein, wenn ein Patient aufgrund eines Immundefekts kaum Antikörper produzieren kann, sodass Antikörper-Tests wenig aussagekräftig sind.

CXCL13-Messung

Seit einigen Jahren unterstützt man in Einzelfällen die Neuroborreliose-Diagnose mit der Messung des CXCL13-Spiegels im Nervenwasser. Das CXCL13 zählt zu den sogenannten Chemokinen. Das sind kleine Eiweisse, die als Reaktion auf eine Infektion oder Verletzung ausgeschüttet werden und an der Steuerung einzelner Abwehrzellen des Immunsystems beteiligt sind.

Bei fast allen Patienten mit akuter Neuroborreliose steigt der CXCL13-Spiegel im Nervenwasser deutlich an – noch bevor der Körper spezifische Antikörper gegen den Borreliose-Erreger gebildet hat. Und er fällt in der Regel mit Beginn einer antibiotischen Behandlung.

Allerdings erhöht sich der CXCL13-Spiegel auch bei anderen Erkrankungen. Zudem gibt es noch kein standardisiertes Verfahren für die Bestimmung dieses Proteins im Liquor. Deshalb wird die CXCL13-Messung im Nervenwasser nur empfohlen, wenn jemand Symptome einer frühen Neuroborreliose zeigt, aber die Anzahl der weissen Blutkörperchen (noch) unauffällig ist und/oder sich (noch) keine Borrelien-Antikörper nachweisen lassen.

Weitere Untersuchungen

Routinemässig werden bei Verdacht auf Neuroborreliose auch gängige Blutparameter bestimmt. Dazu zählen unter anderem die Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG), die weissen Blutkörperchen (Leukozyten) und das C-reaktive Protein (CRP). Diese Werte sind bei einer Neuroborreliose normal oder leicht erhöht und können allgemein auf eine den ganzen Körper betreffende (systemische) Infektion hindeuten. Die Bestimmung solcher Blutparameter dient vor allem dazu, andere Ursachen für die möglichen Neuroborreliose-Anzeichen auszuschliessen.

In bestimmten Fällen führt der Arzt noch weitere Untersuchungen durch. Hat er etwa den Verdacht, dass die Borrelien eine Entzündung von Hirngefässen (zerebrale Vaskulitis) verursacht haben, veranlasst er zur Abklärung eine Magnetresonanztomografie (MRT, Kernspintomografie).

Neuroborreliose: Therapie

Die Neuroborreliose wird (wie die normale Borreliose) mit Antibiotika behandelt. Zur Verfügung stehen folgende Antibiotika:

Welches Antibiotikum der Arzt im Einzelfall für die Neuroborreliose-Therapie auswählt, hängt von individuellen Patientenaspekten ab. Eine Rolle spielt unter anderem, wie alt der Patient ist, ob er bekanntermassen allergisch auf eines der Antibiotika reagiert oder ob eine Schwangerschaft vorliegt. So dürfen beispielsweise schwangere Frauen und Kinder unter neun Jahren nicht mit Doxycyclin behandelt werden.

Die Dauer der Antibiotikatherapie richtet sich danach, ob eine frühe oder späte Neuroborreliose vorliegt: Bei früher Neuroborreliose werden die Antibiotika im Regelfall über 14 Tage gegeben, bei später Neuroborreliose meist 14 bis 21 Tage lang.

Von einer noch längeren Antibiotika-Therapie raten Experten ab, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen gibt es keine Hinweise, dass eine längere Antibiotikatherapie wirksamer ist als die empfohlene zweiwöchige (frühe Neuroborreliose) bzw. zwei- bis dreiwöchige (späte Neuroborreliose) Therapie. Zum anderen kann eine Langzeittherapie mit Antibiotika schwere Nebenwirkungen haben.

Bei Patienten, die sechs Monate nach der Antibiotika-Therapie immer noch beeinträchtigende Beschwerden haben, untersuchen Ärzte erneut eine Probe der Hirn-Rückenmarksflüssigkeit. Wenn die Anzahl der weissen Blutkörperchen immer noch erhöht ist und es keine andere Erklärung als die Neuroborreliose dafür gibt, wiederholen sie die Antibiotikatherapie.

Autoren- & Quelleninformationen

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Vorlage:
Dr. med. Katharina Larisch
Autoren:
Dr. med. Fabian Dupont
Dr. med.  Fabian Dupont

Fabian Dupont ist freier Autor in der NetDoktor-Medizinredaktion. Der Humanmediziner ist bereits für wissenschaftliche Arbeiten unter anderem Belgien, Spanien, Ruanda, die USA, Großbritannien, Südafrika, Neuseeland und die Schweiz. Schwerpunkt seiner Doktorarbeit war die Tropen-Neurologie, sein besonderes Interesse gilt aber der internationalen Gesundheitswissenschaft (Public Health) und der verständlichen Vermittlung medizinischer Sachverhalte.

Martina Feichter hat in Innsbruck Biologie mit Wahlfach Pharmazie studiert und sich dabei auch in die Welt der Heilpflanzen vertieft. Von dort war es nicht weit zu anderen medizinischen Themen, die sie bis heute fesseln. Sie ließ sich an der Axel Springer Akademie in Hamburg zur Journalistin ausbilden und arbeitet seit 2007 für NetDoktor (zwischenzeitlich als freie Autorin).

ICD-Codes:
M01G01A68
ICD-Codes sind international gültige Verschlüsselungen für medizinische Diagnosen. Sie finden sich z.B. in Arztbriefen oder auf Arbeitsunfähigkeits­bescheinigungen.
Quellen:
  • Gesenhues, S. et al.: Praxisleitfaden Allgemeinmedizin, Elsevier/Urban & Fischer Verlag, 7. Auflage, 2014
  • Informationsportal des Berufsverbands Deutscher Internisten e.V.: "Was ist eine Borreliose?", unter: www.internisten-im-netz.de (Abruf: 19.02.2020)
  • Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN): "Neuroborreliose: falsche Diagnose und gefährliche Therapie" (22. September 2016)
  • Pschyrembel Online, Klinisches Wörterbuch: www.pschyrembel.de (Abruf: 19.02.2020)
  • Robert Koch-Institut (RKI): RKI-Ratgeber Lyme-Borreliose (Stand: 2019), unter: www.rki.de
  • S3-Leitlinie "Neuroborreliose" der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (Stand: 2018)
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