Multiple Sklerose (MS)

Von , Medizinredakteurin und Biologin
und , Studentin der Humanmedizin
Aktualisiert am
Martina Feichter

Martina Feichter hat in Innsbruck Biologie mit Wahlfach Pharmazie studiert und sich dabei auch in die Welt der Heilpflanzen vertieft. Von dort war es nicht weit zu anderen medizinischen Themen, die sie bis heute fesseln. Sie ließ sich an der Axel Springer Akademie in Hamburg zur Journalistin ausbilden und arbeitet seit 2007 für NetDoktor (zwischenzeitlich als freie Autorin).

Julia Kerkhoff

Julia Kerkhoff studiert Humanmedizin am Medizincampus Oberfranken in Bayreuth. Sie interessiert sich vor allem für das Fachgebiet der Kinderheilkunde, beschäftigt sich aber auch eingehend mit der allgemeinen Krankheitslehre und Krankheitsprävention. Seit 2023 schreibt sie für NetDoktor und möchte mit ihrer Leidenschaft für das Wunderwerk Mensch Leserinnen und Leser für Gesundheitsthemen begeistern.

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Multiple Sklerose (MS, Encephalomyelitis disseminata) ist eine chronische Entzündung des Nervensystems. Es werden dabei Nervenstrukturen zerstört, was unterschiedliche Symptome nach sich zieht. Die Erkrankung verläuft oft in Schüben und ist nicht heilbar. Ihr Fortschreiten lässt sich aber meist mit Medikamenten bremsen. Lesen Sie mehr über die Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose, über die Ursachen und Diagnosemöglichkeiten.

Rollstuhlfahrer mit MS

Kurzübersicht

  • Beschreibung: Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems. Die Autoimmunerkrankung verläuft oft in Schüben und ist derzeit nicht heilbar.
  • Diagnose: Erhebung der Krankengeschichte, körperliche und neurologische Untersuchung, Kernspintomografie (MRT), Liquor-Diagnostik, Blut- und Urin-Untersuchungen, ggf. Test der Leitfähigkeit von Nervenbahnen (evozierte Potenziale)
  • Ursachen und Risikofaktoren: MS gilt als autoimmune Erkrankung, an deren Entstehung wahrscheinlich mehrere Faktoren beteiligt sind (genetische Veranlagung, Infektionen, Rauchen, Mangel an Vitamin D usw.)
  • Ernährung: Experten empfehlen eine abwechslungsreiche und ausgewogene Kost.
  • Krankheitsverlauf und Prognose: Nicht heilbar, aber durch die richtige und konsequente Behandlung in ihrem Verlauf positiv beeinflussbar (weniger Schübe, langsameres Fortschreiten der Erkrankung, verbesserte Lebensqualität)
  • Symptome: Sehstörungen, Gefühlsstörungen (wie Kribbeln), schmerzhafte Lähmungen, Gangstörungen, anhaltende Müdigkeit und schnelle Erschöpfbarkeit, Störungen der Blasen-Entleerung (Inkontinenz) und der sexuellen Funktionen, Konzentrationsprobleme usw.
  • Behandlung: Medikamente (zur Schub-Therapie und verlaufsmodifizierenden Therapie), symptomatische Therapiemassnahmen und Rehabilitation (Physiotherapie, Ergotherapie, Psychotherapie usw.)

Was ist Multiple Sklerose?

Per Definition ist Multiple Sklerose (MS) eine chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS). Dazu zählen das Rückenmark, das Gehirn und auch der Sehnerv. MS zeichnet sich durch schubförmig auftretende oder anhaltende Entzündungsherde im ZNS aus.

Unterschiedliche Beschwerden sind die Folge, zum Beispiel Seh- und Gefühlsstörungen, Schmerzen oder Lähmungen. Bislang ist Multiple Sklerose nicht heilbar. Mit Medikamenten lässt sich der Verlauf der Erkrankung aber günstig beeinflussen.

Multiple Sklerose ist keine ansteckende Krankheit. Es handelt sich bei MS nicht um eine Infektionskrankheit, sondern um eine Autoimmunerkrankung. Das bedeutet, dass der Körper seine eigenen Zellen bekämpft. Zu den Auslösern dieser Autoimmunreaktion zählen auch Viren und Bakterien. Diese sind zwar ansteckend, führen aber nicht bei jedem oder jeder Infizierten zu MS.

Die Abkürzung MS steht für „Multiple Sklerose“ und nicht, wie manchmal fälschlicherweise angenommen wird, für „Muskel-Schwund“. Tatsächlich handelt es sich bei Muskelschwund um eine andere Erkrankung, die nichts mit der Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose zu tun hat.

Multiple Sklerose: Verlaufsformen

Es gibt drei MS-Verlaufsformen:

  • Schubförmig remittierende MS (engl. Relapsing-remitting MS, RRMS): Sie ist die häufigste Verlaufsform. Die MS-Symptome treten hier in Schüben auf; zwischen den Schüben bilden sie sich vollständig oder teilweise wieder zurück.
  • Primär progrediente MS (engl. Primary progressive MS, PPMS): Von Beginn an schreitet die Erkrankung stetig fort – die Beschwerden nehmen immer weiter zu. Es kommen aber auch vereinzelte Schübe vor.
  • Sekundär progrediente MS (engl. Secondary progressive MS, SPMS): Sie entwickelt sich aus der schubförmig remittierenden MS. Das heisst: Nach anfänglich schubförmigem Verlauf nehmen die Beschwerden schliesslich fortschreitend zu (wie bei PPMS) – mit oder ohne aufgesetzte Schübe.

Mehr darüber erfahren Sie im Beitrag Multiple Sklerose (MS) – Verlauf.

Klinisch isoliertes Syndrom (KIS)

Als „klinisch isoliertes Syndrom“ (KIS) bezeichnet man die mutmasslich erste klinische Manifestation einer Multiplen Sklerose – also den ersten Schub mit Störungen der neurologischen Funktion, die mit einer MS vereinbar sind. Weil aber nicht alle Diagnosekriterien erfüllt sind, kann man (noch) keine Multiple Sklerose diagnostizieren.

Im weiteren Verlauf ändert sich das aber unter Umständen, und das klinisch isolierte Syndrom geht in eine tatsächliche Multiple Sklerose über – und zwar in eine schubförmig remittierende MS. Das muss aber nicht passieren, manchmal bleibt es auch bei dem einmaligen Schub.

Häufigkeit

Weltweit sind mehr als zwei Millionen Menschen an Multiple Sklerose erkrankt. Dabei ist die Krankheitsverteilung regional sehr unterschiedlich. Am häufigsten tritt MS in Europa und Nordamerika auf.

Multiple Sklerose beginnt meist im frühen Erwachsenenalter zwischen dem 20. und dem 40. Lebensjahr. In manchen Fällen bricht sie aber auch schon bei Kindern und Jugendlichen sowie bei Erwachsenen höheren Alters aus. Von der weitaus häufigsten Verlaufsform – der schubförmig remittierenden MS – sind Frauen zwei- bis dreimal häufiger betroffen als Männer.

Multiple Sklerose: Diagnose

Eine MS-Diagnose zu stellen, ist nicht so leicht: Zum einen haben die Betroffenen sehr oft unterschiedliche Beschwerden. Zum anderen gibt es keine Symptome, die nur bei MS vorkommen. Für die meisten Beschwerden gibt es auch andere mögliche Ursachen, etwa eine Störung der Durchblutung im Gehirn.

Wie wird MS also diagnostiziert? MS ist eine sogenannte Ausschluss-Diagnose: Der Arzt oder die Ärztin darf die Diagnose „Multiple Sklerose“ nur stellen, wenn sich für die auftretenden Beschwerden sowie für die Befunde aus klinischen Untersuchungen keine bessere Erklärung finden lässt. Einen Multiple-Sklerose-Test gibt es nicht. Um die Diagnose „MS“ trotzdem abzuklären, verläuft die Untersuchung in mehreren Schritten:

  • Untersuchung von Blut und Urin
  • Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese)
  • Neurologische Untersuchung
  • Kernspintomografie (Magnetresonanztomografie, MRT)
  • Untersuchung des Nervenwassers (Liquor-Diagnostik)
  • Neurophysiologische Untersuchungen (Test der Leitfähigkeit von Nervenbahnen, evozierte Potenziale)

Die Multiple-Sklerose-Diagnostik umfasst neben der Krankengeschichte vor allem die Kernspintomografie und die Untersuchung des Liquors. Sie sind für die Abklärung einer möglichen MS von Bedeutung. Ihre Ergebnisse erlauben eine Diagnose der MS anhand der sogenannten McDonald-Kriterien. Diese wurden seit ihrer Einführung mehrfach überarbeitet und betreffen unter anderem die Anzahl der Schübe (bei schubförmigem Krankheitsverlauf) sowie der Entzündungsherde im ZNS.

Wie eine MS ärztlich festgestellt werden kann, hängt auch von den Symptomen ab: In manchen Fällen (Sehstörungen, Sprachstörungen usw.) sind zum Beispiel auch neurophysiologische Untersuchungen (evozierte Potenziale) sinnvoll. Untersuchungen von Blut und Urin dienen hauptsächlich dazu, andere Ursachen für die Symptome und Entzündungen im Nervensystem auszuschliessen.

Die MS-Diagnose kann mühsam sein. Oft müssen die Betroffenen mehrere Ärzte aufsuchen und verschiedene Untersuchungen durchführen lassen.

Bei Verdacht auf Multiple Sklerose wenden Sie sich am besten an Ihre hausärztliche Praxis. Dort kann man Sie bei Bedarf an einen Spezialisten überweisen, meist an einen Facharzt oder eine Fachärztin für Neurologie.

Blut- und Urin-Untersuchungen

Die Untersuchung von Blut und Urin im Rahmen der MS-Diagnostik ist vor allem notwendig, um andere mögliche Ursachen für die auftretenden Symptome und Entzündungen im zentralen Nervensystem auszuschliessen. Bei MS sind jedoch keine spezifischen Blutwerte auffällig. Eine MS ist am Blutbild daher nicht so leicht erkennbar.

Bei der Blutanalyse sind unter anderem folgende Parameter von Interesse:

  • Grosses Blutbild
  • Elektrolyte wie Kalium und Natrium
  • Entzündungsmarker C-reaktives Protein (CRP)
  • Blutzucker
  • Leberwerte, Nierenwerte, Schilddrüsenwerte
  • Auto-Antikörper: gegen körpereigenes Gewebe gerichtete Antikörper wie Rheuma-Faktor, Antinukleäre Antikörper (ANA), Anti-Phospholipid-Antikörper oder Lupus-Antikoagulans
  • Antikörper gegen diverse Infektionserreger wie Borrelien (Erreger der Borreliose), Treponema pallidum (Erreger der Syphilis) oder HIV

Mitunter dauert es Wochen, Monate oder sogar Jahre, bis die Multiple-Sklerose-Diagnose eindeutig feststeht. Die Suche nach der „Krankheit mit den 1.000 Namen“ ähnelt einem Puzzle: Je mehr Teile (Befunde) zusammenpassen, desto sicherer liegt tatsächlich eine MS vor.

Krankengeschichte

Der erste Schritt auf dem Weg zur Diagnose von Multipler Sklerose ist ein ausführliches Gespräch, um die Krankengeschichte zu erheben (Anamnese). Der Mediziner oder die Medizinerin fragt dabei zum Beispiel:

  • welche Beschwerden genau bestehen,
  • wann die einzelnen Symptome das erste Mal aufgefallen sind,
  • ob sich die Beschwerden in irgendeiner Weise verändert haben (also zum Beispiel verstärkt oder zwischenzeitlich nachgelassen haben),
  • ob der Betroffene oder enge Verwandte an einer Autoimmunerkrankung leiden oder
  • ob es Fälle von MS in der Familie gibt.

Es ist wichtig, dass Betroffene in diesem Gespräch von allen Beschwerden berichten, an die sie sich erinnern – auch dann, wenn sie harmlos erscheinen oder ein Symptom schon lange wieder abgeklungen ist. Manchmal lassen sich nämlich Beschwerden, die schon Monate oder sogar Jahre zurückliegen, im Nachhinein als die ersten Anzeichen für Multiple Sklerose identifizieren.

Einige Menschen mit MS erinnern sich beispielsweise daran, dass sie einmal für wenige Tage bis Wochen ein „komisches Gefühl“ in einem Arm oder einem Bein hatten – ein möglicher Hinweis auf einen Entzündungsherd im Bereich des Rückenmarks.

Scheuen Sie sich auch nicht, gegebenenfalls von sexuellen Funktionsstörungen oder Problemen bei der Blasen- oder Darm-Entleerung zu erzählen. Diese Informationen sind wichtig für die Diagnose! Je vollständiger und genauer Ihre Schilderungen sind, desto schneller kann man abschätzen, ob tatsächlich eine Multiple Sklerose als Ursache Ihrer Beschwerden infrage kommt.

Neurologische Untersuchung

An das Anamnese-Gespräch schliesst sich eine ausführliche körperlich-neurologische Untersuchung an. Sie dient in erster Linie dazu, die Funktion des Gehirns und der Nerven zu überprüfen. Im Fokus stehen unter anderem:

  • Funktion von Augen und Hirnnerven
  • Empfindung von Berührung, Schmerz und Temperatur
  • Muskelkraft und Muskelspannung
  • Koordination und Bewegung
  • Zusammenspiel der Nervenleitung für Harnblase, Mastdarm und Sexualorgane
  • Reflexe (zum Beispiel sind fehlende Bauchhaut-Reflexe ein häufiges MS-Anzeichen)

Die verschiedenen Parameter werden standardisiert ermittelt und dokumentiert. Zur Anwendung kommt oftmals die „Expanded Disability Status Scale“ (EDSS). Anhand dieser Skala lässt sich der Grad der Behinderung bei Multipler Sklerose systematisch erfassen.

Ein anderes System für die Bewertung neurologischer Ausfälle bei Multipler Sklerose ist die „Multiple Sclerosis Functional Composite Scale“ (MSFC). Hierbei testen Ärzte zum Beispiel die Armfunktion mittels Steckbrett-Test nach Zeit („Nine-Hole-Peg-Test“) und die Bewältigung einer kurzen Gehstrecke nach Zeit („Timed-25-Foot-Walk“)

Kernspintomografie (MRT)

Sehr wichtig beim Verdacht auf Multiple Sklerose ist eine Kernspintomografie (Magnetresonanztomografie, MRT). Mithilfe eines Kontrastmittels, das der Arzt zu Beginn der Untersuchung über eine Vene verabreicht, lassen sich aktive Entzündungsherde im Gehirn und Rückenmark auf den MRT-Bildern sichtbar machen.

Bei Verdacht auf MS wird ein MRT der Wirbelsäule und des Kopfes gemacht, um das ZNS, also das Rückenmark im Wirbelkanal der Wirbelsäule, und das Gehirn abzubilden.

Die Diagnose-Kriterien verlangen bei einer schubförmig verlaufenden MS, dass diese Entzündungsherde räumlich und zeitlich zerstreut (disseminiert) auftreten. Es müssen also an mehr als einem Ort Entzündungsherde im ZNS vorhanden sein. Im Verlauf der Erkrankung müssen ausserdem neue Herde entstehen.

Für die Diagnose ist es hilfreich, MRT-Aufnahmen zu vergleichen: Sind in der Zeit zwischen den Aufnahmen neue Entzündungsherde entstanden, spricht das für MS-typische Veränderungen im ZNS.

Ist beim Verdacht auf Multiple Sklerose das MRT unauffällig, kann der Patient trotzdem an MS erkrankt sein. Da es sich um eine Ausschlussdiagnose handelt, werden immer mehrere Hinweise auf die Erkrankung gesucht. Ein positiver MRT-Befund kann solch ein einzelner Hinweis sein. Dennoch misst man in der Medizin dem MRT inzwischen mehr Bedeutung in der MS-Diagnostik bei als früher.

Lassen sich mittels Kernspintomografie MS-typische Veränderungen im ZNS nachweisen, ohne dass der oder die Betroffene klinische Symptome der Nervenerkrankung zeigt, spricht man vom radiologisch-isolierten Syndrom (RIS). Es handelt sich dabei nicht um Multiple Sklerose!

Liquor-Diagnostik

Ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zur Diagnose ist die Untersuchung des Nervenwassers (Liquor). Dazu sticht der Arzt unter örtlicher Betäubung vorsichtig mit einer feinen Hohlnadel in den Kanal des Rückenmarks (Lumbalpunktion), um eine kleine Probe des Nervenwassers zu entnehmen. Sie wird im Labor genauer analysiert (Liquor-Diagnostik).

Chronisch-entzündliche Prozesse im zentralen Nervensystem, wie sie unter anderem bei Multipler Sklerose ablaufen, führen zu verschiedenen Auffälligkeiten im Nervenwasser. Dazu zählt unter anderem der Nachweis von bestimmten Eiweiss-Mustern, sogenannten oligoklonalen Banden (OKB).

Mittels Liquor-Diagnostik lässt sich auch abklären, ob die Entzündung im Nervensystem möglicherweise durch Keime (wie die Erreger der Borreliose) und nicht durch Multiple Sklerose verursacht wird.

Neurophysiologische Untersuchung

Neurophysiologische Untersuchungen sind unter Umständen hilfreich, um klinisch nicht nachweisbare Schäden im zentralen Nervensystem nachzuweisen und bestehende Symptome objektiv zu erfassen. Möglich ist dies über die sogenannten evozierten Potenziale. Sie erlauben eine Aussage über die Erregungsübertragung an das zentrale Nervensystem.

Dazu messen Ärzte elektrische Spannungsunterschiede, die bei gezielter Reizung bestimmter Nervenbahnen auftreten. Die Erfassung erfolgt mittels Elektroden, meist per EEG (Elektroenzephalografie). Im Rahmen der MS-Diagnostik sind die folgenden evozierten Potenziale hilfreich:

Visuell evozierte Potenziale (VEP): Zur Beurteilung der Sehbahn im Gehirn reizt der Arzt die Netzhaut (Retina). Dazu schaut sich der Betroffene auf einem Monitor beispielsweise ein Schachbrettmuster an, dessen Felder rasch hintereinander in unterschiedlicher Helligkeit erscheinen. Die so ausgelösten und über den Sehnerv weitergeleiteten Potenziale werden über Elektroden am Kopf abgeleitet und aufgezeichnet.

Somato-sensibel evozierte Potenziale (SSEP): Dabei reizt der Arzt sensible Nerven in der Haut mithilfe von elektrischem Strom, zum Beispiel die Nerven für das Tastempfinden.

Motorisch evozierte Potenziale (MEP): Über einen speziellen Magnet-Stimulator werden motorische Nervenbahnen im ZNS gereizt, um Zuckungen bestimmter Muskeln auszulösen. Angebrachte Elektroden messen diese motorische Antwort. Die Zeit, die zwischen Reizung und motorischer Antwort vergeht, gibt Aufschluss über die Funktion der getesteten Nervenbahnen. Da hier zur Nervenreizung ein Magnetfeld eingesetzt wird, sprechen Mediziner auch von transkranieller Magnet-Stimulation.

Akustisch evozierte Potenziale (AEP): Bei der AEP werden den Betroffenen über einen Kopfhörer Töne vorgespielt. Anschliessend misst man mithilfe von Elektroden, wie schnell diese akustischen Reize ins Gehirn weitergeleitet werden.

Multiple Sklerose: Ursachen und Risikofaktoren

Die Ursachen von MS unterscheiden sich von den Ursachen der MS-Symptome: Ausgelöst werden kann Multiple Sklerose durch Infekte, Genetik, Umweltfaktoren, den Lebensstil oder andere Faktoren, etwa das Geschlecht. Zu den Symptomen einer MS kommt es jedoch aufgrund der fortschreitenden Verlangsamung und dem Abbau der Nervenleitgeschwindigkeit.

Multiple Sklerose wird im Allgemeinen zu den Autoimmunerkrankungen gezählt. Das sind Erkrankungen, bei denen die Abwehrzellen des Immunsystems aufgrund einer Fehlsteuerung körpereigenes Gewebe „aus Versehen“ angreifen.

Bei MS richtet sich der Angriff gegen das zentrale Nervensystem (ZNS). Die Abwehrzellen – insbesondere T-Lymphozyten, aber auch B-Lymphozyten – verursachen dort Entzündungen im Bereich der Nervenzellen. Der entzündliche Schaden betrifft vor allem das Myelin, die „weisse Substanz“. Das ist die Schutzschicht, welche die Nervenfasern abschnittsweise umhüllt. Diese Myelinscheiden (Markscheiden) funktionieren wie eine elektrische Isolierung und ermöglichen ausserdem eine schnelle Weiterleitung der Nervenimpulse (Erregungsweiterleitung).

Man geht davon aus, dass bei MS unter anderem bestimmte Eiweisse (Proteine) auf der Oberfläche der Myelinscheiden attackiert werden. Dadurch werden Entzündungsprozesse in Gang gesetzt. Die Folge ist eine Zerstörung der umhüllenden Myelinscheide. Das bezeichnet man als Entmarkung oder Demyelinisierung.

Nervenzellen im Vergleich – gesunde und MS-Nervenzelle
Nervenzellen bei MS
Bei Multipler Sklerose sind die Nervenhüllen so beschädigt, dass die Nervenfasern teilweise freiliegen. Dies führt zu einer gestörten Reizweiterleitung.

Bei Menschen mit MS finden sich mit der Zeit in Gehirn und Rückenmark zahlreiche (multiple) Areale mit solch einer Myelinschädigung und nachfolgender Narbenbildung (Sklerose). Diese Areale bezeichnet man auch als Plaques. Die betroffenen Nervenfasern sind ohne ihre schützende Hülle nicht mehr in der Lage, die Signale (Impulse) richtig weiterzuleiten, und es kommt zu Ausfällen der Nerven. Diese sind sehr vielfältig – je nachdem, wo sich die Entzündungsherde im ZNS befinden.

Welche Faktoren diese autoimmune Reaktion bei MS auslösen, weiss man noch nicht genau. Vermutlich kommen bei den Betroffenen mehrere Faktoren zusammen, die gemeinsam die Krankheit auslösen (multifaktorielle Krankheitsentstehung). Man geht derzeit von einer genetischen Veranlagung aus, auf deren Basis gewisse Umweltfaktoren zum Ausbruch der Krankheit führen.

Genetische Faktoren

Verschiedene Beobachtungen deuten auf eine genetische Komponente bei der Entstehung von MS hin.

Zum einen kommt Multiple Sklerose in manchen Familien gehäuft vor: Für Verwandte ersten Grades von MS-Betroffenen besteht ein erhöhtes Risiko, ebenfalls die chronische Nervenerkrankung zu entwickeln.

Zum anderen scheinen bestimmte genetische Konstellationen mit dem Auftreten von MS in Verbindung zu stehen. Im Blickpunkt stehen hier besonders die sogenannten Humanen-Leukozyten-Antigene (HLA). Sie spielen eine Rolle bei der Immunabwehr. Auch alle anderen genetischen Risikofaktoren, die wissenschaftlich bislang mit Multipler Sklerose in Verbindung gebracht wurden, hängen mit dem Immunsystem zusammen.

Zu einem gewissen Teil ist Multiple Sklerose also vererbbar – allerdings wird nicht die Erkrankung selbst vererbt, sondern nur die Neigung, an MS zu erkranken. Erst im Zusammenspiel mit anderen Faktoren (vor allem Umweltfaktoren wie Infektionen) kommt es bei einigen Menschen zum Ausbruch der Krankheit.

Infektionen

Möglicherweise sind auch Infektionen mit Viren und Bakterien am Ausbruch von Multipler Sklerose beteiligt. Entsprechende Hinweise gibt es besonders zum Epstein-Barr-Virus (EBV). Das ist ein Vertreter der Herpes-Viren, der das Pfeiffersche Drüsenfieber verursacht.

Wie genau eine Infektion mit EBV (oder anderen Erregern) zur Entstehung von MS beiträgt, ist bislang nicht bekannt. Möglicherweise lösen die normalen Reaktionen des Immunsystems auf eine Infektion bei entsprechend veranlagten Menschen die Entstehung von MS aus.

Gegen Multiple Sklerose gibt es keinen Impfstoff. Ein Impfstoff gegen das Eppstein-Barr-Virus befindet sich aber derzeit in der Entwicklung. Da Infektionen mit dem Virus als Risikofaktor für MS gelten, könnte die Impfung möglicherweise in Zukunft dazu beitragen, Menschen auch vor MS zu schützen.

Lebensstil und Umwelt

Umwelt- beziehungsweise bestimmte Lebensstil-Faktoren wirken möglicherweise ebenfalls bei der Entstehung von Multipler Sklerose mit. Ein ungesunder Lebensstil ist für sich genommen aber nicht ausreichend, um MS auszulösen.

Ein kritischer Faktor bei der MS-Krankheit ist offenbar Rauchen. So haben Raucher im Vergleich zu Nichtrauchern ein höheres Risiko, an Multipler Sklerose zu erkranken. Zudem scheint Nikotin den Krankheitsverlauf zu verschlechtern.

EinenMangel an Vitamin D – dem „Sonnenvitamin“ – diskutieren Wissenschaftler ebenfalls als möglichen Risikofaktor für Multiple Sklerose. Dieser Verdacht basiert auf der Beobachtung, dass es einen Zusammenhang zwischen MS und der geografischen Breite gibt: Je weiter man sich vom Äquator entfernt (in Richtung Nord- beziehungsweise Südpol), desto häufiger tritt Multiple Sklerose in der Bevölkerung auf.

Das liegt eventuell an der abnehmenden Sonnen-Exposition: Je weiter entfernt vom Äquator die Menschen leben, desto weniger intensiv ist die Sonnen-Einstrahlung. Und je weniger Sonne auf die Haut fällt, desto weniger Vitamin D wird in der Haut produziert.

Weitere Faktoren

Das Geschlecht wirkt ebenfalls mit bei der Entstehung von MS. Frauen erkranken häufiger an Multipler Sklerose als Männer. Warum das so ist, weiss man bislang nicht.

Untersuchungen zufolge erhöhen eine fettreiche „westliche“ Ernährung und ein damit verbundenes Übergewicht das Risiko für MS. Als weitere mögliche beeinflussende Faktoren werden eine erhöhte Kochsalz-Zufuhr und die Darmflora diskutiert.

Die ethnische Zugehörigkeit scheint ebenfalls einen Einfluss zu haben: Beispielsweise ist Multiple Sklerose bei weissen Menschen deutlich häufiger anzutreffen als bei anderen Ethnien. So erkranken männliche Schwarze, die in den USA leben, seltener an MS als männliche weisse US-Amerikaner – allerdings häufiger als männliche Schwarze in Afrika. Hier scheint wieder der Einfluss anderer Faktoren zum Tragen zu kommen.

Multiple Sklerose: Ernährung

Bisher konnte für keine Ernährungsform oder Diät eine positive Wirkung auf den Verlauf und die Symptome von MS nachgewiesen werden. Experten empfehlen allgemein eine abwechslungsreiche und ausgewogene Kost mit viel frischem Gemüse, Obst, Fisch und ungesättigten Fettsäuren, aber wenig Fleisch und Fett.

Den Nutzen einer speziellen „Multiple-Sklerose-Ernährung“ haben Experten bislang nicht wissenschaftlich nachgewiesen.

Auch eine Heilung von MS durch eine Ernährungsumstellung konnte bisher nicht belegt werden.

Multiple Sklerose: Krankheitsverlauf und Prognose

Multiple Sklerose ist nicht heilbar. Die Befürchtung vieler Menschen, dass man mit MS zwangsläufig früher oder später auf einen Rollstuhl angewiesen ist, trifft aber nicht zu. Dank verbesserter Therapien nimmt MS heutzutage bei vielen Betroffenen einen günstigeren Verlauf als früher.

Wie die Prognose im Einzelfall aussieht, lässt sich nicht vorhersagen. Es gibt jedoch Anhaltspunkte. Folgende Faktoren sprechen zum Beispiel für einen ungünstigen Krankheitsverlauf:

  • Männliches Geschlecht
  • Später Krankheitsbeginn
  • Krankheitsbeginn mit mehreren Symptomen
  • Frühe motorische Symptome, das Kleinhirn betreffende (zerebelläre) Symptome wie Intentionstremor oder Schliessmuskel-Beschwerden (Sphinkter-Symptome) wie Harninkontinenz
  • Unvollständige Rückbildung von Schub-Symptomen
  • Hohe Schub-Frequenz

Welche unterschiedlichen Verlaufsformen es bei MS gibt und wie die Lebenserwartung aussieht, lesen Sie im Text Multiple Sklerose (MS) – Verlauf.

Leben mit Multipler Sklerose

Als chronische und schwere Erkrankung stellt Multiple Sklerose die Betroffenen und ihre Angehörigen vor viele Herausforderungen. Die Erkrankung betrifft alle Bereiche des Lebens – angefangen bei Partnerschaft, Sexualität und Familienplanung über das Sozialleben und Hobbys bis hin zu Ausbildung und Beruf.

Kann man auch mit Multipler Sklerose Kinder bekommen? Sind Urlaubsreisen trotz MS möglich? Soll die Chefin oder der Abteilungsleiter über die Erkrankung informiert werden oder besser nicht? Welche Jobs sind günstig, welche eher ungünstig? Diese und viele weitere Fragen beschäftigen Menschen mit MS.

Mehr darüber, wie sich Multiple Sklerose auf den Alltag von Betroffenen auswirkt und wie man damit umgehen kann, lesen Sie im Beitrag Leben mit Multipler Sklerose.

Multiple Sklerose: Symptome

Die Symptome bei Multipler Sklerose sind vielfältig, aber individuell verschieden. Zu den ersten Anzeichen zählen in der Regel Sehstörungen und motorische Störungen.

Weitere Informationen über frühe Symptome sowie typische und seltene Beschwerden bei MS finden Sie in unserem Beitrag Multiple Sklerose - Symptome.

Multiple Sklerose: Behandlung

Zur Behandlung von MS zählen Medikamente, spezielle Therapien und Reha-Massnahmen. Welche Therapie in welchem individuellen Fall richtig ist, besprechen Arzt und Patient gemeinsam. Die Multiple-Sklerose-Therapie stützt sich dabei auf verschiedene Säulen.

Wie genau die verschiedenen Therapieformen aussehen, lesen Sie im Beitrag Multiple Sklerose - Therapie.

Autoren- & Quelleninformationen

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Vorlage:
Dr. med. Felicitas Witte
Autoren:

Martina Feichter hat in Innsbruck Biologie mit Wahlfach Pharmazie studiert und sich dabei auch in die Welt der Heilpflanzen vertieft. Von dort war es nicht weit zu anderen medizinischen Themen, die sie bis heute fesseln. Sie ließ sich an der Axel Springer Akademie in Hamburg zur Journalistin ausbilden und arbeitet seit 2007 für NetDoktor (zwischenzeitlich als freie Autorin).

Julia Kerkhoff studiert Humanmedizin am Medizincampus Oberfranken in Bayreuth. Sie interessiert sich vor allem für das Fachgebiet der Kinderheilkunde, beschäftigt sich aber auch eingehend mit der allgemeinen Krankheitslehre und Krankheitsprävention. Seit 2023 schreibt sie für NetDoktor und möchte mit ihrer Leidenschaft für das Wunderwerk Mensch Leserinnen und Leser für Gesundheitsthemen begeistern.

ICD-Codes:
H46G35
ICD-Codes sind international gültige Verschlüsselungen für medizinische Diagnosen. Sie finden sich z.B. in Arztbriefen oder auf Arbeitsunfähigkeits­bescheinigungen.
Quellen:
  • Achtnichts, L. et al.: Besonderheiten der Immuntherapie der Multiplen Sklerose in der Schweiz, in: Swiss Medical Forum – Schweizerisches Medizin-Forum 2019; 19(41-42): 676-685
  • Appel, K. et al.: Multiple Sklerose: Taschenatlas spezial, Thieme Verlag, 1. Auflage, 2004
  • Kip, M. et al.: Weißbuch Multiple Sklerose: Versorgungssituation in Deutschland, Springer Verlag, 1. Auflage, 2016
  • Krämer, G. et Besser, R.: Multiple Sklerose – Antworten auf die 111 wichtigsten Fragen, TRIAS Verlag, 6. Auflage 2006
  • Leray, E. et al.: Epidemiology of multiple sclerosis, in: Rev Neurol (Paris) 2016; 172(1): 3-13; doi: 10.1016/j.neurol.2015.10.1006
  • Pschyrembel Online: Multiple Sklerose (MS), unter www.pschyrembel.de (Abrufdatum: 05.03.2024)
  • S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie: Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose, Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen und MOG-IgG-assoziierten Erkrankungen, Stand: November 2022, unter: www.awmf.org (Abrufdatum: 05.03.2024)
  • Schmidt, R.M. et al.: Multiple Sklerose, Elsevier/Urban & Fischer Verlag, 8. Auflage 2021
  • Schwarz, S. et al: Alternative und komplementäre Therapien der Multiplen Sklerose, in: Psychopharmakotherapie 2008; 15(05); doi: 10.1055/s-2004-830248
  • Steinlein Egli, R. et al.: Multiple Sklerose verstehen und behandeln: Hintergründe und Studienergebnisse – Untersuchung und Behandlung – Clinical Reasoning in Fallbeispielen, Springer Verlag, 1. Auflage, 2011
  • Thanarajah, S.E. et al. : Akute psychotische Störung als erste klinische Manifestation einer Multiplen Sklerose – eine Kasuistik, in: Der Nervenarzt 2022; 93: 77-79; doi: 10.1007/s0115-021-01107-y
  • Wiendl, H. et al.: Multiple Sklerose – Klinik, Diagnostik und Therapie, Kohlhammer Verlag, 2. Auflage 2021
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