Frau lehnt Milch ab

Nahrungsmittelallergien: Gift fürs Herz?

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Menschen, die sensibel auf bestimmte Nahrungsmittel reagieren, tragen ein deutlich höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Tückischerweise betrifft das womöglich ausgerechnet jene Personen, deren allergische Reaktion weniger ausgeprägt ist und keine Symptome verursacht.

Herausgefunden hat das ein Team um Corinne Keet von der University of North Carolina. Die Forschenden werteten dazu Daten von zwei Studien mit insgesamt rund 5400 Teilnehmenden aus, die auf ihren IgE-Status hin untersucht worden waren.

IgE verrät Allergieneigung

Das Kürzel IgE steht für Immunglobulin E. Dabei handelt es sich um Antikörper, die das Immunsystem unter anderem bei allergischen Reaktionen vom Typ 1 ausbildet. Ist der IgE-Wert im Blut erhöht, weist das also auf eine Allergie vom Typ 1 hin.

Nahrugnsmittelallergien gehören oft diesem Allergietyp an. Das Immunsystem bildet hierbei IgE-Antikörper, die sich spezifisch gegen bestimmte Bestandteile der betreffenden Lebensmittel richten (z.B. gegen Eiweisse in Kuhmilch).

Die entsprechende Diagnose (z.B. Kuhmilchallergie) wird aber nur gestellt, wenn Betroffene auch tatsächlich Allergie-Symptome zeigen. Der grössere Teil der Personen mit einem erhöhten IGE-Spiegel ist nämlich beschwerdefrei.

Keet und ihr Team hatten sich bei ihrer Datenanalyse auf die Messwerte der Teilnehmenden für spezifischen IgE-Antikörper konzentriert: auf solche gegen Allergieauslöser (Allergene) in Kuhmilch, Ei, Erdnuss, Shrimps und rotes Fleisch (Alpha-Gal) sowie gegen eine Reihe von Allergenen, die inhaliert werden (Inhalations- oder Aeroallergene), etwa von Hausstaubmilben, Katzen, Hunden und Gräserpollen.

Erhöhter IgE-Wert, höheres Herz-Kreislauf-Risiko

Die Auswertung der Daten ergab, dass im Verlauf des Beobachtungszeitraums von durchschnittlich rund zehn Jahren deutlich mehr Personen mit erhöhten lebensmittelspezifischen IgE-Spiegeln an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung verstorben waren als Menschen, die keine Hinweise auf eine solche Sensibilisierung gezeigt hatten.

Das Risiko der Betroffenen für einen tödlichen Herzinfarkt oder Schlaganfall war um 70 Prozent höher als für nicht sensibilisierte Personen. Einflussfaktoren wie Alter, Zigarettenkonsum, Bluthochdruck, Diabetes und Bildung hatten die Forschenden bei ihren Berechnungen berücksichtigt.

Am deutlichsten war der Zusammenhang in der Gruppe der Personen mit einer Sensibilisierung auf Milchprodukte. Hier war das Risiko für einen Herz-Kreislauf-bedingten Tod sogar doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Neigung zu einer Nahrungsmittelallergie.

Beweise fehlen noch

Allerdings sind die Ergebnisse mit Vorsicht zu bewerten. Denn bislang wurde nur ein statistischer Zusammenhang festgestellt. Er ist noch kein Beweis dafür, dass Nahrungsmittelallergien tatsächlich das Risiko eines Herz-Kreislauf-bedingten Todes erhöhen.

Noch dazu ist die Datenlage dünn. Für Milchallergene errechnet er sich beispielsweise gerade mal auf Basis von 166 sensibilisierten Teilnehmenden.

„Es muss noch viel mehr geforscht werden, um zu verstehen, ob lebensmittelspezifisches IgE in einem kausalen Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen steht“, erklärt Keet, Hauptautorin der Studie, auf Nachfrage von NetDoktor.

Sollte sich ein solcher bestätigen, könnte das allerdings durchaus bedeutsam sein: Nach Angaben der Forschenden weisen beispielsweise in den USA rund 15 Prozent der Bevölkerung erhöhte Werte für lebensmittelspezifische IGEs auf.

„Wir wissen noch nicht, wie der Zusammenhang zwischen IgE und Herzerkrankungen zustande kommt“, sagt Corinne Keet gegenüber NetDoktor. Allerdings ist schon lange bekannt, dass entzündliche Prozesse Arteriosklerose und damit Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigen.

Schädigen aktivierte Mastzellen die Blutgefässe?

Die Forscher vermuten, dass Lebensmittel-IgEs spezialisierte Immunzellen, die sogenannten Mastzellen, aktivieren. Diese tragen in der Haut und im Darm zu klassischen allergischen Reaktionen bei.

Mastzellen kommen aber auch in den Blutgefässen und im Herzgewebe vor. Eine anhaltende Aktivierung dieser Zellen könnte hier Entzündungen fördern und zu schädlichen Plaque-Ablagerungen beitragen, die Herzinfarkte und andere Herzschäden verursachen.

Besonders betroffen wären dann Menschen, welche die Lebensmittel, auf die ihr Immunsystem sensibel reagiert, weiter konsumieren. Das dürfte vor allem bei jenen mit einer sillen Immunreaktion der Fall sein - also bei Menschen, die trotz erhöhter spezifischer IgE-Spiegel keine allergischen Symptome verspüren.

Stille Immunreaktion besonders riskant?

„Bei einer stillen Immunreaktion auf Lebensmittel sind die Reaktionen nicht stark genug, um akute allergische Reaktionen auf Lebensmittel auszulösen. Sie können dennoch Entzündungen verursachen und im Laufe der Zeit zu Problemen wie Herzerkrankungen führen“, erklärt Allergieexperte Jeffrey Wilson von der University of Virginia School of Medicine.

Tatsächlich war bei der Gruppe der Sensibilisierten ohne allergische Symptome das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung besonders hoch.

Pollenallergiker sind nicht gefährdet

Interessanterweise scheinen Menschen, die auf Inhalationsallergene wie bestimmte Pollen oder Allergene von Hausstaubmilben reagieren, kein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu haben.

„Die Art der Exposition gegenüber Aeroallergenen und Nahrungsmittelallergenen ist sehr unterschiedlich“, erklärt Keet. „Während über die Schleimhäute der Atemwege nur Nanogramm-Mengen von Aeroallergenen aufgenommen werden, muss der Körper Nahrungsmittelallergene von einigen Gramm verdauen, die nachweislich nach dem Essen in die Blutbahn gelangen“, so die Wissenschaftlerin.

Nahrungsaufnahme ist eine Herausforderung fürs Immunsystem

Für das Immunsystem ist jede Nahrungsaufnahme eine Herausforderung. Eigentlich soll es körperfremde Substanzen abwehren. Über den Darm gelangt mit der Nahrung aber ein Strom fremder Stoffe in den Körper, die das Immunsystem tolerieren muss.

Insbesondere bei Nahrungsmittelproteinen geht während der Einstufung als „harmlos“ oder „verdächtig“ dann mitunter etwas schief: Die Immunzellen mancher Menschen reagieren mit einer Abwehrreaktion – die Immunabwehr bleibt langfristig alarmiert.

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Quellen:
  • Corinne Keet et a.: IgE to common food allergens is associated with cardiovascular mortality in the National Health and Examination Survey and the Multi-Ethnic Study of Atherosclerosis, Journal of Allergy and Clinical Immunology, 9. Nov 2023, doi: https://doi.org/10.1016/j.jaci.2023.09.038
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