Wechselwirkung: Verspannungen und Depressionen
Seelische Anspannung macht sich häufig auch körperlich bemerkbar. Das betrifft anscheinend auch Menschen mit depressiven Störungen, die Verspannungen entwickeln. Lässt sich die Stimmung verbessern, indem man verspannte Muskulatur und Bindegewebe durch gezielte Massagen lockert?
Einen Hinweis darauf liefern zumindest zwei Untersuchungen der Universität Witten/Herdecke mit insgesamt 149 Teilnehmenden. Zunächst verglichen die Forscherinnen und Forscher den Zustand der Schulter-Nacken-Partie von depressiven und seelisch gesunden Teilnehmenden.
Steife Schulterpartie bei Depressiven
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Depressive einen höheren Grad von Steifigkeit und weniger Elastizität im Schulter-Nacken-Bereich aufweisen als gesunde Vergleichsprobanden“, erklärt Studienleiter Prof. Johannes Michalak. Entscheidend für die Flexibilität sind dabei die sogenannten Faszien – Strukturen des Bindegewebes, die den ganzen Körper durchziehen, Muskulatur und Organe umgeben, stabilisieren und vernetzen.
Selbstmassage mit der Faszienrolle
Depressive Versuchsteilnehmende erhielten die Anweisung, entweder die Faszien mittels spezieller harter Schaumstoffrollen (Faszienrollen) selbst zu lockern oder leidglich Bewegungen ohne Massageeffekt auszuführen.
Die Wirkung auf die Psyche ermittelten die Forschenden mit einem standardisierten Test. Dazu wurden den Probanden jeweils zehn positiv besetzte Begriffe wie „schön“, „stolz“ oder „selbstbewusst“ über ein Tonband vorgespielt sowie zehn negative Worte wie „schlecht“, „hässlich“ oder „schwerfällig“. Die aktuelle Gemütsverfassung lässt sich an der Zahl der erinnerten positiven und negativen Begriffe erfassen. Ergänzend wurde die aktuelle Stimmung der Teilnehmenden über einen Fragebogen ermittelt
Messbar verbesserte Stimmung
Das Ergebnis: Nach der Selbstmassage mit der Faszienrolle waren die Patientinnen und Patienten besser gestimmt und erinnerten sich an weniger negative Begriffe als die Vergleichsgruppe. „Steifigkeit und geringe Elastizität des muskulären Bindegewebes können möglicherweise mit dazu beitragen, dass Depressive sich nicht so gut aus ihrem negativen Zustand lösen können“, erklärt Studienleiter Michalak das Ergebnis.
Wirkt Massage auch länger?
Die Untersuchung erfasst allerdings nur einen zeitlich sehr begrenzten Effekt einer kurzen Selbstmassage. „Ob eine längerfristige Behandlung des muskulären Bindegewebes, in Kombination mit anderen Behandlungselementen, depressiven Personen dabei helfen könnte, ihre Depression besser zu überwinden, muss in zukünftigen Forschungsarbeiten untersucht werden.“
Ein direkter Zusammenhang von Bewegungsapparat und Psyche ist nicht neu: Zuletzt hatte eine grosse Übersichtsstudie, die mehr als 70 Einzeluntersuchungen zusammenfasste, gezeigt, dass Körperhaltung und Bewegungen sich messbar auf die Psyche auswirken: Beispielsweise beeinflusst aufrechtes Sitzen, Stehen und Gehen die Stimmung positiv, eine zusammengekauerte Haltung und gebeugter Gang hingegen wirken sich negativ aus.
Einfluss der Faszien
Das sogenannte myofasziale System hat hier grossen Einfluss: Es erfüllt grundlegende Aufgaben in der Mechanik des Körpers und der Regulierung der Körperspannung. Es spielt aber auch eine Rolle bei der Entstehung von krankhaften Veränderungen und chronischen Schmerzen. Erste Hinweise deuten darauf hin, dass es auch direkt mit seelischen Faktoren verknüpft ist.
Autoren- & Quelleninformationen
- Emma Elkjær et al.: Expansive and Contractive Postures and Movement: A Systematic Review and Meta-Analysis of the Effect of Motor Displays on Affective and Behavioral Responses, PubMed aps, 22. Jun 2020, https://doi.org/10.1177/1745691620919358