Mann schaut besorgt auf das Handy

Hypochonder: Angst vor Krankheit kann tödlich sein

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Menschen mit Hypochondrie gelten als eingebildete Kranke. Tatsächlich kann die psychische Störung gravierende, mitunter sogar tödliche Folgen haben. Was sind die Ursachen?

Hypochondrie wird gern belächelt – ist aber ein ernstzunehmendes Krankheitsbild. Der Leidensdruck ist hoch: Die Betroffenen werden von der Überzeugung geplagt, schwer krank zu sein. Dies löst reale Symptome wie Herzrasen oder Schmerzen aus, für die keine körperliche Ursache gefunden werden – ein Teufelskreis.

Auch umfassende Untersuchungen, die ihnen ihre Gesundheit bescheinigen, können Hypochonder nicht beruhigen. Sie wechseln dann zum nächsten Arzt oder zur nächsten Ärztin.

84 Prozent mehr Tote in 24 Jahren

Forschende vom Karolinska Institut in Stockholm haben das Sterberisiko von Menschen mit Hypochondrie im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung untersucht. Das Ergebnis: Trotz ihrer allgegenwärtigen Angst vor Krankheit und Tod und der hohen Frequenz an Arztbesuchen haben die Betroffenen ein erhöhtes Sterberisiko.

Das Risiko, in einem bestimmten Zeitraum zu sterben, war demnach für Hypochonder um 84 Prozent höher als für Personen ohne die Angststörung. Zudem waren die Verstorbenen mit Hypochondrie-Störung im Schnitt fünf Jahre jünger als Personen ohne das psychische Problem. Männer und Frauen waren gleichermassen gefährdet, vorzeitig zu sterben.

Das Team um David Mataix-Cols hat für seine Untersuchung Daten von mehr als 4100 in Schweden lebenden Personen ausgewertet, die zwischen Januar 1997 und Dezember 2020 die Diagnose Hypochondrie erhalten hatten. Im Schnitt waren sie 34,5 Jahre alt. Jeden einzelnen dieser Männer und Frauen verglich das Team mit je zehn Personen ohne Hypochondrie-Diagnose. Diese hatten einen vergleichbaren Hintergrund bezüglich Geschlecht, Alter, Wohnort, Bildung, Einkommen und Familienstand.

Mehr Herz-Kreislauf-Tote unter Menschen mit Hypochondrie

Die häufigsten natürlichen Todesursachen waren Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkte und Schlaganfälle, gefolgt von Atemwegserkrankungen.

„Unsere Studie kann die Mechanismen hinter den Ergebnissen nicht zeigen. Es ist aber wahrscheinlich, dass mehrere Faktoren, die ineinandergreifen, die erhöhten Risiken erzeugen“, schreiben die Autorinnen und Autoren.

Krankheitsangst erzeugt starken Stress

Als mögliche Ursache heben sie vor allem chronischen Stress hervor, dem Menschen mit Hypochondrie aufgrund ihrer Erkrankung ausgesetzt sind. Dieser begünstigt insbesondere Herz-Kreislauf-Leiden, befeuert aber auch chronische Entzündungsprozesse und schwächt die Immunfunktion.

Ausserdem neigen chronisch gestresste Menschen zu einem ungesunden Lebensstil: Sie ernähren sich häufig schlecht, trinken mehr Alkohol, rauchen häufiger und haben weniger erfüllende soziale Kontakte. All das begünstigt ebenfalls Erkrankungen und einen frühen Tod.

Kein Unterschied bei den Krebstoten

Ausgerechnet jene Todesursache, die unter den Ängsten von Hypochondern eine Hauptrolle spielt, kam in der Gruppe der Hypochonder jedoch nicht häufiger vor: Krebserkrankungen. Das entkräftet die Sorge, dass Hypochonder möglicherweise aufgrund einer skeptischen Haltung der Ärzte ihnen gegenüber nicht gründlich genug untersucht werden, um Krebserkrankungen frühzeitig zu erkennen.

Vierfache Suizidrate unter Hypochondern

Auffällig ist, dass die Zahl der Suizide in der Hypochondrie-Gruppe viermal so hoch war wie in der Vergleichsgruppe. Dies mag bei Menschen, die oft grosse Angst vor einem drohenden Tod haben, erst einmal überraschend erscheinen.

Allerdings ist zum einen der Leidensdruck durch die psychische Störung sehr hoch. Zum anderen könnte die Überzeugung, eine schwere, unheilbare Krankheit zu haben, Suizidgedanken bei den Betroffenen fördern.

Hinzu kommt, dass der Anteil an weiteren psychischen Störungen wie Depressionen in der Hypochondrie-Gruppe erhöht war. Ob dies Folge, Begleiterscheinung oder Ursache einer Hypochondrie ist, ist unklar. Depressionen sind jedoch der grösste Risikofaktor für Suizid.

Hohe Dunkelziffer?

Die Forschenden appellieren, Hypochondrie als Erkrankung ernst zu nehmen. Tatsächlich könnten die tödlichen Folgen noch deutlich häufiger sein, als die Zahlen der aktuellen Untersuchung suggerieren. Denn Hypochondrie wird oft übersehen.

„Die somatischen Symptome dieser Menschen als eingebildet abzutun, kann schlimme Folgen haben“, schreiben die Autorinnen und Autoren. Nicht selten würden die Betroffenen von den Angehörigen der Gesundheitsberufe nicht ernst genommen. Dass die Störung mit einem Stigma behaftet ist, verringert die Wahrscheinlichkeit nachfolgender Hilfsangebote.

„Es sollte mehr getan werden, um die Stigmatisierung zu reduzieren und die Erkennung, Diagnose und angemessene psychiatrische und somatische Versorgung dieser Personen zu verbessern“, schreiben die Autorinnen und Autoren. So liessen sich die psychosomatischen Beschwerden, Suizidalität und Sterblichkeit in dieser Gruppe verringern.

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Quellen:
  • David Mataix-Cols et al. : All-Cause and Cause-Specific Mortality Among Individuals With Hypochondriasis, JAMA Psychiatry, 13.12.2023, doi:10.1001/jamapsychiatry.2023.4744
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