Off-Label-Use

Von , Medizinredakteurin und Biologin
Martina Feichter

Martina Feichter hat in Innsbruck Biologie mit Wahlfach Pharmazie studiert und sich dabei auch in die Welt der Heilpflanzen vertieft. Von dort war es nicht weit zu anderen medizinischen Themen, die sie bis heute fesseln. Sie ließ sich an der Axel Springer Akademie in Hamburg zur Journalistin ausbilden und arbeitet seit 2007 für NetDoktor (zwischenzeitlich als freie Autorin).

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Im Off-Label-Use werden Medikamente ausserhalb ihrer behördlichen Zulassung angewendet. Wenn also beispielsweise der Arzt ein Antibiotikum, das nur für Erwachsene zugelassen ist, einem Kind verordnet, geschieht dies "off label". Welche Gründe es für den Off-Label-Use geben kann und welche Risiken damit verbunden sind, erfahren Sie hier!

Arzt stellt Rezept aus

Was bedeutet "Off-Label-Use"?

Der englische Ausdruck "Off-Label-Use" bedeutet "nicht bestimmungsgemässer Gebrauch" oder "zulassungsüberschreitende Anwendung". Damit gemeint ist die Anwendung eines Medikaments gegen Beschwerden bzw. Krankheiten oder bei bestimmten Patientengruppen, für deren Behandlung das betreffende Arzneimittel eigentlich keine Genehmigung von den Zulassungsbehörden besitzt.

Zulassung ist streng geregelt

Eine solche Genehmigung, sprich Zulassung ist für jedes Medikament erforderlich: Wenn eine Pharmafirma ein neues Medikament entwickelt hat, muss es noch behördlich zugelassen, also geprüft und genehmigt werden. Die zuständige Zulassungsbehörde für die meisten Medikamente in Deutschland ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Für einige Arzneimittel (wie Impfstoffe) muss allerdings das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) die Zulassung erteilen.

Eine solche Zulassung gilt immer nur für ein bestimmtes Anwendungsgebiet - für eine bestimmte Erkrankung beziehungsweise ein bestimmtes Beschwerdebild sowie eine bestimmte Personengruppe (z.B. akute Migräne mit oder ohne Aura bei Erwachsenen). Auch die Art der Anwendung des Medikaments (z.B. als Tablette oder Spritze unter die Haut), die Dosierung und die Anwendungsdauer werden in der Zulassung festgelegt.

Ein Hersteller kann für sein Medikament von vornherein mehrere Zulassungen beantragen, also für mehrere Anwendungsgebiete. Oder er kann bei einer bestehenden Zulassung eine Erweiterung beantragen, etwa, dass ein Grippemedikament für Erwachsene künftig auch für Kinder zugelassen ist.

Für jedes beantragte Anwendungsgebiet muss die Pharmafirma den Zulassungsbehörden Studienergebnisse vorlegen, die die wirksame und sichere Anwendung des Medikaments bei diesem Anwendungsgebiet und in dieser Form belegen.

Off-Label-Use unter bestimmten Bedingungen

In der Praxis erweist sich manches Medikament aber auch als hilfreich bei anderen als den zugelassenen Beschwerden, Krankheiten oder Personengruppen. Der Hersteller könnte dann auch für diese Anwendungsgebiete eine Zulassung beantragen. Weil eine solche aber sehr kosten- und zeitintensiv ist, verzichten Pharmafirmen oft darauf.

So kommt es, dass Ärzte viele Medikamente ausserhalb ihrer Zulassung ("off label") unter bestimmten Bedingungen anwenden. Diesen Off-Label-Use nutzen Mediziner beispielsweise, wenn eine Krankheit sich mit den für sie zugelassenen Medikamenten nicht ausreichend behandeln lässt, aber ein nicht zugelassenes Medikament hier eine Wirksamkeit gezeigt hat.

Off-Label-Use: Die rechtliche Situation

Jedem Arzt ist es grundsätzlich erlaubt, Medikamente ausserhalb der jeweiligen Zulassung zu verordnen. Er sollte das sogar tun, wenn aus seiner fachlichen Sicht das betreffende Präparat für einen bestimmten Patienten die beste Behandlungsoption ist. Allerdings empfehlen ärztliche Fachgesellschaften Medizinern den Off-Label-Use sicherheitshalber nur dann, wenn wissenschaftliche Studien belegen, dass das Medikament auch im nicht zugelassenen Anwendungsgebiet wirkt.

Wenn der Arzt ein Medikament "off label" verordnen möchte, ist er verpflichtet, den Patienten sorgfältig aufzuklären: Er muss darauf hinzuweisen, dass das betreffende Medikament für die geplante Anwendung nicht zugelassen ist. Auch über eventuelle Alternativen, den Ablauf der geplanten Behandlung sowie mögliche Folgen und Risiken muss der Arzt den Patienten informieren.

Haftung für Nebenwirkungen

Wenn Mediziner ein Medikament innerhalb dessen Zulassung bestimmungsgemäss (also etwa in der empfohlenen Dosierung) verordnen und dann schwere Nebenwirkungen beim Patienten auftreten, haftet der Hersteller dafür.

Anders die Situation beim Off-Label-Use: Verschreibt der Arzt ein Medikament ausserhalb der Zulassung, kann unter Umständen er für schwere Nebenwirkungen haftbar gemacht werden. Die Pharmafirma trägt hier in der Regel keine Haftung.

Es gibt aber Ausnahmen: Beispielsweise haben einige Hersteller von Valproinsäure-haltigen Medikamenten den Off-Label-Use ihres Präparats zur Vorbeugung von Migräne anerkannt - und damit auch die Haftung bei einer solchen Anwendung übernommen.

Off-Label-Use: Risiken

Die Wirksamkeit eines Medikaments ausserhalb der zugelassenen Anwendungsgebiete wurde meist nicht umfassend wissenschaftlich untersucht und belegt. Auch zu den möglichen Nebenwirkungen und Risiken speziell im Bezug auf den Off-Label-Use fehlen oft gesicherte wissenschaftliche Daten (allgemeine Daten zu unerwünschten Wirkungen eines Medikaments ergeben sich jedoch meist schon aus den Studien der Erstzulassungen).

Die richtige Dosierung ist beim Off-Label-Use ebenfalls nicht immer leicht abzuschätzen, etwa wenn Kinder mit einem Erwachsenenmedikament behandelt werden sollen. Denn Dosis und Wirkung eines Medikaments verhalten sich nicht unbedingt proportional zu den Körpermassen (Grösse, Gewicht, Körperoberfläche). Die Dosis für einen 70 kg schweren Erwachsenen bei der Behandlung eines 35 kg schweren Kindes einfach zu halbieren, kann unter Umständen falsch sein - vielleicht ist die reduzierte Dosis nicht ausreichend wirksam oder immer noch zu hoch für das Kind.

Ärzte orientieren sich beim Off-Label-Use für gewöhnlich an Studien, die den Einsatz eines Medikaments im nicht zugelassenen Bereich untersuchen. Diese Forschungen sind oft qualitativ hochwertig und enthalten etwa Hinweise zur Dosis und Anwendungsdauer. In solchen Fällen wird der Off-Label-Use weniger bedenklich. Sie reichen aber nicht aus, um eine offizielle Zulassung des Medikaments für das Anwendungsgebiet zu erzielen.

Off-Label-Use: Beispiele

Es gibt eine Reihe von Wirkstoffen, die Ärzte im Off-Label-Use einsetzen. Im Folgenden sind einige Beispiele genannt.

Erwachsenenmedikamente für Kinder

Bei manchen Medikamenten, die auf dem Markt sind, wurden Wirksamkeit und Sicherheit nur bei Erwachsenen getestet und auch nur eine Zulassung für die Behandlung von Erwachsenen erteilt. Die für die Zulassung notwendigen Studien an Erwachsenen sind für Pharmafirmen nämlich weniger aufwendig als entsprechende Untersuchungen bei Kindern.

Das bedeutet: Bei der Behandlung von Kindern müssen Ärzte unter Umständen auf "Erwachsenenmedikamente" zurückgreifen, weil es keine entsprechenden zugelassenen Präparate für Kinder gibt.

Eine seit 2007 geltende EU-Verordnung bietet Pharmaherstellern unter anderem besondere Anreize, Kinderarzneimittel auf den Markt zu bringen - also Präparate, deren wirksame und sichere Anwendung bei Kindern ausreichend geprüft und dann zugelassen wurde.

Zugleich stellt die Verordnung sicher, dass die Medikamente qualitativ hochwertig erforscht werden und ordnungsgemäss zugelassen sind.

Epilepsiemedikament gegen Migräne

Der Arzneistoff Valproinsäure wirkt krampflösend und ist für die Behandlung von Epilepsie und bipolaren Störungen zugelassen. Studien zufolge kann er ausserdem einer Migräne vorbeugen, also bei erwachsenen Patienten die Anzahl von Migräneattacken wirksam senken.

Deshalb wird der Wirkstoff unter bestimmten Bedingungen im Off-Label-Use zur Migräneprophylaxe bei Erwachsenen eingesetzt. Eine der Bedingungen ist, dass zugelassene Medikamente zur Migräneprophylaxe bei dem Patienten nicht gewirkt haben oder nicht angewendet werden dürfen.

Bei Kindern und Jugendlichen kann Valproinsäure einer Migräne nicht besser vorbeugen als ein Scheinmedikament (Placebo). Deshalb eignet sich der Wirkstoff bei dieser Patientengruppe nicht zur Migräneprophylaxe.

Krebsmedikamente "off label"

Bis das aufwendige Zulassungsverfahren für ein Medikament abgeschlossen ist, vergeht viel Zeit - Zeit, die man bei der Behandlung von Krebspatienten oftmals nicht hat. Daher ist ein Off-Label-Use in der Krebstherapie keine Seltenheit:

Vielfach wurden die vorgelegten Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit eines Medikaments bereits von der Zulassungsbehörde geprüft und die positiven Ergebnisse dieser Prüfung auch schon veröffentlicht, aber das Zulassungsverfahren ist noch nicht ganz abgeschlossen. Bis es soweit ist, wird das Medikament dann oftmals schon standardmässig in der Krebstherapie eingesetzt und sogar in den medizinischen Leitlinien dafür empfohlen.

Eine weitere Möglichkeit: Ein Medikament, das für die Behandlung etwa von Lungenkrebs zugelassen ist, hat sich auch als wirksam bei Magenkrebs erwiesen. Der Hersteller kann dann eine Erweiterung der Zulassung beantragen, was wiederum zeitaufwendig ist. In der Zwischenzeit (also vorübergehend) können Ärzte das Lungenkrebs-Medikament dann im Off-Label-Use gegen bösartige Magentumoren nutzen.

Manchmal ersparen sich Hersteller auch eine zeit- und kostenaufwendige weitere Zulassung. Dann kann es sein, dass der Off-Label-Use praktisch von Dauer ist.

"Off-label"-Medikamente: Zahlt die Krankenkasse?

Eine "off-label"-Therapie müssen Patienten meist aus eigener Tasche bezahlen. Nur unter bestimmten Voraussetzungen übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten.

Eine Voraussetzung dafür ist, dass Experten den Off-Label-Use positiv bewerten. Sie prüfen dazu wissenschaftliche Daten zur Wirksamkeit des Medikaments im nicht zugelassenen Anwendungsgebiet. Ausserdem berücksichtigen sie, ob es sich um eine schwerwiegende Erkrankung handelt, wie es mit anderen Therapiemöglichkeiten aussieht und wie die Aussichten auf einen Erfolg der "off-label"-Therapie sind.

Darüber hinaus muss das betreffende Medikament in Deutschland irgendeine Zulassung besitzen, wenn eine Krankenkasse die "off-label"-Anwendung bezahlen soll.

Eine weitere Voraussetzung für eine Kostenübernahme ist, dass der Hersteller des betreffenden Medikaments dem Off-Label-Use zustimmt - also den Einsatz seines Präparats im nicht zugelassenen Anwendungsgebiet anerkennt und so die Haftung dafür übernimmt. Dann können die gesetzlichen Krankenkassen die Kostenübernahme beschliessen.

Möglich ist das zum Beispiel für die oben erwähnten Valproinsäure-haltigen Medikamente, bei denen die Hersteller dem Off Label-Use zur Migräneprophylaxe zugestimmt haben.

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autor:

Martina Feichter hat in Innsbruck Biologie mit Wahlfach Pharmazie studiert und sich dabei auch in die Welt der Heilpflanzen vertieft. Von dort war es nicht weit zu anderen medizinischen Themen, die sie bis heute fesseln. Sie ließ sich an der Axel Springer Akademie in Hamburg zur Journalistin ausbilden und arbeitet seit 2007 für NetDoktor (zwischenzeitlich als freie Autorin).

Quellen:
  • Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: "Pharmakotherapie häufiger Kopfschmerzsyndrome", in: Arzneiverordnung in der Praxis, Ausgabe 4, Oktober 2016; unter: www.akdae.de
  • Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): "EU-Kinderverordnung"; unter: www.bfarm.de (Abruf: 17.04.2020)
  • Europäische Kommission: "Kinderarzneimittel in der EU: Bestandsaufnahme", 26. Oktober 2017, unter: ec.europa.eu (Abrufdatum: 26.04.2020)
  • Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA): "Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Off-Label-Use"; unter: www.g-ba.de (Abruf: 17.04.2020)
  • Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG): "Off-Label-Use: Worauf muss man achten?"; unter: www.gesundheitsinformation.de (Abruf: 17.04.2020)
  • Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB): "Off-Label-Use von Valproinsäure zur Migräneprophylaxe im Erwachsenenalter" (Stand: 29.02.2016); unter: www.kvb.de
  • Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums: "Chance oder Risiko: Einsatz nicht zugelassener Medikamente zur Krebstherapie"; unter: www.krebsinformationsdienst.de (Abruf: 17.04.2020)
  • Pharmazeutische Zeitung: "Kinderarzneimittel: EU-Verordnung regelt Anforderungen", Meldung vom 16.06.2009; unter: www.pharmazeutische-zeitung.de
  • Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung, in Kraft getreten am 10. April 2020, unter: www.g-ba.de (Abrufdatum: 26.04.2020)
  • Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD): "Off-Label-Use von Medikamenten" (Stand: 27.09.2019); unter: www.patientenberatung.de (Abrufdatum: 26.04.2020)
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