Arzneimittelzulassung

Von , Medizinredakteurin und Biologin
Martina Feichter

Martina Feichter hat in Innsbruck Biologie mit Wahlfach Pharmazie studiert und sich dabei auch in die Welt der Heilpflanzen vertieft. Von dort war es nicht weit zu anderen medizinischen Themen, die sie bis heute fesseln. Sie ließ sich an der Axel Springer Akademie in Hamburg zur Journalistin ausbilden und arbeitet seit 2007 für NetDoktor (zwischenzeitlich als freie Autorin).

Alle NetDoktor.ch-Inhalte werden von medizinischen Fachjournalisten überprüft.

Die Suche nach neuen Wirkstoffen gegen bestimmte Krankheiten oder Beschwerden ist langwierig und endet nicht immer mit einem Erfolg. Von 5.000 bis 10.000 Hoffnungsträgern, die in den Forschungslabors der Pharmafirmen getestet werden, landet im Durchschnitt nur einer als fertiges Medikament in der Apotheke. Und dazwischen liegen im Schnitt 13,5 Jahre.

Medikamente; Zulassung; Arzneimittel

Suche nach dem "Target"

Noch bevor Tests mit neuen Substanzen gemacht werden, überlegen sich die Forscher, welche Eigenschaften der gesuchte Stoff haben beziehungsweise welche Reaktion er im Körper auslösen soll. Das kann zum Beispiel die Senkung des Blutdrucks, die Blockierung eines bestimmten Botenstoffes oder die Ausschüttung eines Hormons sein.

Dazu suchen die Forscher nach einem geeigneten "Target", also einem Angriffspunkt im Krankheitsgeschehen, an dem ein Wirkstoff ansetzen und so den Krankheitsprozess günstig beeinflussen kann. In den meisten Fällen ist das Target ein Enzym oder ein Rezeptor (Andockstelle an Zellen für Hormone oder andere Botenstoffe). Manchmal fehlt dem Patienten auch eine bestimmte Substanz. Dann ist schnell klar, dass das gesuchte Medikament diesen Mangel ausgleichen soll. Ein bekanntes Beispiel ist Insulin beim Zuckerkranken (Diabetes mellitus).

Suche nach dem Wirkstoff

Sobald ein Target feststeht, fahnden die Wissenschaftler nach einem Wirkstoff, der auf den gewählten Angriffspunkt einwirken kann (Screening). Das bedeutet meist: testen, testen, testen. Pro Tag werden bis zu 300.000 unterschiedliche Stoffe auf ihre Eignung hin untersucht (High-Troughput-Screening = HTS). Davon zeigt etwa jede 200. bis 1000. Substanz tatsächlich eine Wirkung am gewählten Target, wenn auch manchmal nur eine sehr kleine. Ein solcher Treffer wird als "Hit" bezeichnet.

Die Testsubstanzen sind meistens chemisch - also synthetisch - hergestellt. Seit einiger Zeit gewinnen aber zunehmend auch gentechnisch produzierte Substanzen an Bedeutung. Sie werden mithilfe gentechnisch veränderter Zellen (wie bestimmten Bakterien) gewonnen und bilden die Grundlage von Biopharmazeutika (biologischen Arzneimitteln).

Optimierung

In den meisten Fällen müssen die gefundenen "Hits" noch optimiert werden. Manchmal lässt sich die Wirksamkeit eines Stoffes beispielsweise steigern, wenn seine Struktur geringfügig verändert wird. Bei diesen Versuchen arbeiten die Wissenschaftler oft mit Computersimulationen, mit deren Hilfe sich der Effekt einer chemischen Veränderung an der Substanz im Vorfeld abschätzen lässt. Ist die Prognose gut, wird die Substanz in echt, also im Labor angepasst. Anschliessend wird erneut ihre Wirkung am Target untersucht.

Auf diese Weise verbessern die Forscher schrittweise eine neue Wirksubstanz, was meist mehrere Jahre dauert. Im besten Fall erreichen sie irgendwann den Punkt, an dem der Stoff bereit ist für den nächsten Schritt: Er wird zum Patent angemeldet und dann als sogenannter Wirkstoffkandidat präklinischen Studien unterworfen.

Präklinische Studien

In der präklinischen (vorklinischen) Entwicklungsphase wird der Wirkstoffkandidat im Reagenzglas (etwa an Zellkulturen) sowie an Tieren erprobt. Dabei geht es zum einen um pharmakologische Fragestellungen, also zum Beispiel darum, was mit dem Substanz in Zellen beziehungsweise in einem Gesamtorganismus passiert:

  • Wie wird er aufgenommen?
  • Wie verteilt er sich im Körper?
  • Welche Reaktionen löst er aus?
  • Wird er um- oder abgebaut?
  • Wird er ausgeschieden?

Zum anderen untersuchen die Wissenschaftler genau, welche Wirkung der Stoff auf das Target ausübt, wie lange diese anhält und welche Dosis dafür notwendig ist.

Vor allem aber dienen präklinische Studien dazu, Fragen zur Toxizität (Giftigkeit) des Wirkstoffkandidaten zu beantworten. Ist die Substanz giftig? Kann sie Krebs auslösen? Ist sie in der Lage, Gene zu verändern? Kann sie einen Embryo oder Fötus schädigen?

Viele Wirkstoffkandidaten scheitern an den Tests zur Toxizität. Nur jene Substanzen, die alle Sicherheitsprüfungen bestehen, dürfen in die nächste Entwicklungsphase mit Studien an Menschen (klinische Studien) eintreten.

Wann immer möglich, werden präklinische Tests im Reagenzglas durchgeführt, also etwa an Zellkulturen, Zellfragmenten oder isolierten menschlichen Organen. Manche Fragestellungen lassen sich aber nur in Tests an einem lebenden Gesamtorganismus klären - und dafür sind Tierversuche nötig.

Klinische Studien

In klinischen Studien wird der Wirkstoffkandidat erstmals an Menschen getestet. Dabei unterscheidet man drei Studienphasen, die aufeinander aufbauen:

  • Phase I: Der Wirkstoffkandidat wird an wenigen gesunden Freiwilligen (Probanden) getestet.
  • Phase II: Es folgen Tests an wenigen Kranken (z.B. an Bluthochdruckpatienten, wenn der Wirkstoffkandidat ein neuer Blutdrucksenker werden soll).
  • Phase III: Nun erfolgt die Erprobung an einer grossen Zahl von Erkrankten.

Jede Studienphase muss vorab von den zuständigen Stellen genehmigt werden: Zum einen gehört dazu die zuständige nationale Behörde - je nach Wirkstoffkandidat entweder das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) oder das Paul-Ehrlich-Institut (PEI). Zum anderen braucht jede klinische Studie die Erlaubnis einer Ethik-Kommission (bestehend aus Medizinern, Juristen, Theologen und Laien). Dieses Vorgehen soll insbesondere die Studienteilnehmer bestmöglich schützen.

Der Pharmahersteller, der den Wirkstoffkandidaten entwickelt hat, kann die klinischen Studien selbst durchführen. Oder er beauftragt damit eine "Clinical Research Organisation" (CRO). Das ist eine Firma, die sich auf die Durchführung klinischer Studien spezialisiert hat.

Phase I-Studien

Als Testpersonen in Phase I fungieren meist 60 bis 80 gesunde Erwachsene, die sich freiwillig dafür gemeldet haben. Nach einer umfassenden Aufklärung und dem Einverständnis der Studienteilnehmer wird diesen zunächst nur eine kleine Wirkstoffmenge verabreicht.

In bis zu 30 aufeinanderfolgenden Tests prüfen die Wissenschaftler, ob sich die Erkenntnisse aus den Untersuchungen im Reagenzglas und an Tieren auch auf den Menschen übertragen lassen - also ob der Wirkstoff so aufgenommen, verteilt, umgewandelt und wieder ausgeschieden wird, wie man es in den präklinischen Tests ermittelt hat. Ausserdem wird untersucht, wie gut die Probanden den Wirkstoffkandidaten vertragen.

Tablette, Spritze oder Salbe?

Nach erfolgreich abgeschlossener Phase I kommt die sogenannte Galenik ins Spiel: Die Wissenschaftler tüfteln nun an der optimalen "Verpackung" für den Wirkstoff - sollte er besser als Tablette, Kapsel, Zäpfchen, Spritze oder Infusion in die Vene verabreicht werden?

Die Antwort auf diese Frage ist sehr wichtig: Die Darreichungsform bestimmt nämlich wesentlich mit, wie zuverlässig, wie schnell und wie lange der Wirkstoff seine Aufgabe im Körper erfüllen kann. Ausserdem beeinflusst sie die Art und Stärke möglicher Nebenwirkungen. So sind manche Wirkstoffe als Spritze wesentlich besser verträglich, als wenn sie in Tablettenform über den Magen-Darm-Trakt in den Körper gelangen.

Ausserdem prüfen Galeniker, ob und welche Hilfsstoffe dem neuen Präparat sinnvollerweise zugesetzt werden sollten. Das kann zum Beispiel etwas sein, das den Geschmack des Medikaments verbessert oder als Trägersubstanz oder Konservierungsmittel dient.

Mehr über die Suche nach der richtigen "Verpackung" eines neuen Wirkstoffes und nach geeigneten Hilfsstoffen lesen Sie im Beitrag Galenik - Herstellung von Arzneimitteln.

Phase II- und Phase III-Studien

Nach den gesunden Probanden in Phase I sind ab Phase II Kranke an der Reihe, den Wirkstoffkandidaten zu testen:

  • Phase II: Hier wird der neue Medikamentenanwärter an meist 100 bis 500 Patienten getestet. Im Fokus stehen die Wirksamkeit, optimale Dosierung und Verträglichkeit des Präparates.
  • Phase III: Hier wird das Gleiche überprüft wie in Phase II, nur an wesentlich mehr Patienten (mehrere Tausend). Zusätzlich wird hier auf eventuelle Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten geachtet.

In beiden Phasen werden jeweils unterschiedliche Behandlungen miteinander verglichen: Nur ein Teil der Patienten erhält das neue Präparat, die restlichen bekommen entweder ein übliches oder gewohntes Standardmedikament oder ein Placebo - ein Präparat, das genauso aussieht wie das neue, aber keinen Wirkstoff enthält (Scheinmedikament). In der Regel wissen dabei weder Patient noch behandelnder Arzt, wer was bekommt. Solche "Doppel-Blind-Studien" sollen verhindern, dass Hoffnungen, Befürchtungen oder skeptische Einstellungen von Ärzten und Patienten das Ergebnis der Behandlung beeinflussen.

Erteilung der Zulassung

Auch wenn ein neues Medikament alle vorgeschriebenen Studien und Tests bestanden hat, darf es nicht einfach so verkauft werden. Dafür muss die Pharmafirma zuerst eine Arzneimittelzulassung bei der zuständigen Behörde beantragen (siehe unten: Möglichkeiten der Zulassung). Diese prüft sorgfältig alle Studienergebnisse und erteilt dann im besten Fall dem Hersteller die Erlaubnis, das neue Medikament auf den Markt zu bringen.

Phase IV

Auch nach einer Arzneimittelzulassung behalten Behörden und Pharmafirma das neue Präparat im Auge, etwa im Hinblick auf seltene Nebenwirkungen. Das sind unerwünschte Effekte, die bei weniger als 1 von 10.000 behandelten Patienten auftreten und daher kaum in den vorhergehenden Studienphasen (mit kleineren Patientengruppen) erfassbar sind. Ärzte sind verpflichtet, alle unvorhergesehenen Nebenwirkungen eines Medikaments zu melden.

Gegebenenfalls verlangt die Zulassungsbehörde dann vom Hersteller, in der Packungsbeilage auf diese neu entdeckten Nebenwirkungen hinzuweisen. Sie kann aber auch Anwendungsbeschränkungen erlassen: Wurden etwa seltene, aber schwere Nebenwirkungen im Nierenbereich entdeckt, kann die Behörde verfügen, dass das Medikament nicht mehr bei Menschen mit bestehenden Nierenerkrankungen angewendet werden darf.

Im Extremfall kann die Behörde einem Medikament auch die Zulassung ganz entziehen, wenn sich mit der Zeit nicht vertretbare Risiken durch die Anwendung gezeigt haben. Manchmal nimmt der Hersteller ein solches Präparat dann aber auch freiwillig vom Markt.

In Protokollen halten Ärzte ausserdem fest, wie sich das neue Medikament im Alltag bei ihren Patienten bewährt. Die Ergebnisse solcher Anwendungsbeobachtungen nutzt der Hersteller beispielsweise für Verbesserungen hinsichtlich Dosierung oder Darreichungsform des Präparates.

Manchmal zeigt sich im Praxisalltag auch, dass der Wirkstoff noch gegen weitere Krankheiten hilft. Der Hersteller forscht dann meist in dieser Richtung weiter –mit neuen Phase II- und III-Studien. Bei Erfolg kann er auch für diese neue Indikation eine Zulassung beantragen.

Möglichkeiten der Zulassung

Prinzipiell kann eine Pharmafirma die Zulassung für ein neues Medikament entweder gleich für die gesamte EU beantragen oder aber nur für einen einzelnen Mitgliedsstaat:

Zentralisiertes Zulassungsverfahren

Die Arzneimittelzulassung wird hier direkt bei der Europäischen Arzneimittelagentur (European Medicines Agency, EMA) beantragt. An der anschliessenden Prüfung wirken auch die Zulassungsbehörden der EU-Mitgliedsstaaten mit. Wird der Antrag genehmigt, darf das Präparat überall in der EU verkauft werden. Dieses Zulassungsverfahren dauert im Schnitt eineinhalb Jahre und ist für manche Arzneimittel zwingend vorgeschrieben (z.B. für biotechnologisch hergestellte Präparate sowie für Krebsmedikamente mit neuen Wirkstoffen).

Nationales Zulassungsverfahren

Der Zulassungsantrag wird bei nationalen Behörden und damit nur in dem betreffenden Land gestellt. In Deutschland sind dafür das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) zuständig. Das BfArM kümmert sich um die Mehrzahl der Humanarzneimittel, das PEI um Sera, Impfstoffe, Testallergene, Testsera und Testantigene, Blut und Blutprodukte, Gewebe sowie Arzneimittel für Gentherapie und Zelltherapie.

Arzneimittelzulassung in mehreren EU-Ländern

Darüber hinaus gibt es noch zwei weitere Möglichkeiten, wenn eine Pharmafirma eine Zulassung in mehreren EU-Ländern erzielen möchte:

  • Dezentralisiertes Verfahren: In einem "Decentralised Procedure" (DCP) kann eine Pharmafirma die nationale Zulassung für ein neues Arzneimittel in mehreren Ländern des europäischen Wirtschaftsraumes gleichzeitig beantragen.
  • Verfahren der gegenseitigen Anerkennung: Gibt es für ein Medikament bereits eine nationale Zulassung in einem Staat des europäischen Wirtschaftsraumes, kann diese im Rahmen des "Mutual Recognition Procedure" (MRP) von anderen Mitgliedsstaaten anerkannt werden.

Der Antrag auf Zulassung für ein neues Medikament kommt Pharmafirmen sehr teuer. Beispielsweise kostet die Bearbeitung eines Zulassungsantrags für einen ganz neuen Wirkstoff bei der EMA im einfachsten Fall ungefähr 260.000 Euro.

Standardzulassung

Manche Arzneimittel werden über eine Standardzulassung für den Verkauf freigegeben: Es handelt sich dabei nicht um neu entwickelte Präparate, sondern um solche, deren Herstellung sich an bestimmte vom Gesetzgeber festgelegte Monographien orientiert. Ausserdem darf von diesen Arzneimitteln keine Gefahr für Mensch und Tier ausgehen. In einer Monographie (z.B. für Paracetamol-Zäpfchen 250 mg) ist unter anderem die Zusammensetzung und Dosierung des betreffenden Präparats genau festgelegt - ebenso wie das Anwendungsgebiet.

Bei Einhaltung all dieser Vorgaben muss der Hersteller also keine eigene, individuelle Medikamentenzulassung beantragen. Damit kann er recht preiswert Arzneimittel auf den Markt bringen. Standardzulassungen gibt es etwa für Kohle-Tabletten (250 mg), Atropin-Augentropfen und -Lösungen verschiedener Konzentrationen sowie Paracetamol-Zäpfchen und Acetylsalicylsäure-Tabletten in unterschiedlichen Dosierungen.

Auch Apotheker dürfen beispielsweise eine Kochsalz-Lösung nach der Anleitung in der betreffenden Arzneibuchmonographie herstellen und dann verkaufen. Sie müssen aber die Nutzung einer solchen Standardzulassung bei der Zulassungsbehörde und der zuständigen Landesbehörde angeben.

Weitere Wege bei Arzneimittelzulassungen

Bei der EU gibt es neben dem herkömmlichen Zulassungsverfahren auch Möglichkeiten, ein neues Arzneimittel früher zugänglich zu machen als üblich. Dabei handelt es sich nicht nur um Schnellzulassungen. Vielmehr versucht man auf verschiedenem Wege, dass Betroffene auch ohne klassische Arzneimittelzulassung von Wirkstoffen profitieren können. Fachleute sprechen von sogenannten Adaptive-Pathways:

Härtefallprogramme (compassionate use)

Hierbei erhalten ganz bestimmte Patienten Medikamente, sie sich eigentlich noch in der klinischen Erprobung befinden. Voraussetzung ist, dass es keine andere Behandlungsmöglichkeit mehr gibt und der Patient nicht an einer entsprechenden Studie zu diesem Medikament teilnehmen kann. Diese Ausnahmeregelungen müssen für jeden einzelnen Patienten gesondert beantragt werden.

Bedingte Arzneimittelzulassung (conditional approval)

Hierbei handelt es sich gewissermassen um eine Schnellzulassung. Die strengen Wirksamkeits- und Sicherheitsprüfungen müssen dabei nicht in dem Umfang vorliegen, wie es sonst üblich ist. Allerdings gelten bestimmte Bedingungen:

  • Die bedingte Arzneimittelzulassung ist befristet.
  • Der Hersteller muss die noch fehlenden Belege nachliefern, die für eine reguläre Arzneimittelzulassung notwendig sind

Die bedingte Zulassung wird zum Beispiel bei Pandemien angewandt, um rasch ein geeignetes Medikament gegen die Infektionskrankheit zur Verfügung zu stellen.

Arzneimittelzulassung unter aussergewöhnlichen Umständen (approval under exceptional circumstances)

Diesen Sonderweg gibt es zum Beispiel bei seltenen Erkrankungen. Da es nur sehr wenige Erkrankte gibt, ist es der Pharmafirma nicht möglich, die sonst notwendige Datenmenge zur Prüfung vorzulegen. Bei dieser Arzneimittelzulassung muss der Hersteller jedoch in der Regel jährlich prüfen, ob es neue Daten und Erkenntnisse gibt.

Beschleunigte Arzneimittelzulassung (accelerated assessment)

Dabei werden die Zulassungsunterlagen durch den zuständigen EMA-Ausschuss schneller geprüft und bewertet – statt in den üblichen 210 in 150 Tagen. Dieser Weg ist möglich, wenn es einen aussichtsreichen Wirkstoff gegen eine Erkrankung gibt, die bisher nicht richtig behandelt werden konnte.

Vorrangige Arzneimittel (priority medicines = PRIME)

In solchen Fällen eines noch ungedeckten Bedarfs können die EMA und der Medikamentenhersteller auch schon sehr früh zusammenarbeiten – und zwar schon während der ersten Tests. So können die Experten frühzeitig Wirksamkeit und Sicherheit bewerten und weitere Verfahren zügiger einleiten, wenn sich das Medikament als vielversprechend erweist.

Fortlaufende Überprüfung (Rolling Review)

Bei dringend benötigten Arzneimitteln und Impfstoffen kann die EMA - wie schon angemerkt - die Wirkstoffe "bedingt" zulassen oder schon früh mit den Herstellern vor einer endgültigen Zulassung zusammenarbeiten. In wichtigen Fällen beginnt vor diesen Zulassungen das sogenannte Rolling-Review-Verfahren. Die Experten bewerten dabei schon vorhandene Daten, bevor der Hersteller alle sonst für eine Zulassung relevanten Unterlagen einreichen kann. Überdies prüfen sie fortlaufend alle neu erhobenen Ergebnisse, die aus weiteren Studien hervorgehen.

Die EMA hat beispielsweise bei der bedingten Zulassung des Virusmittels Remdesivir während der Coronavirus-Pandemie das Rolling-Review-Verfahren angewandt. Auch im Rahmen der Zulassungsverfahren von Corona-Impfstoffen prüften die Experten noch während laufender Phase-III-Studien die schon vorliegenden und dann gewonnenen Ergebnisse.

Arzneimittel für Kinder

Neue Medikamente durchlaufen zwar in der Regel mehrere Studien, bevor sie auf den Markt kommen dürfen. Eine Patientengruppe blieb in der Forschung jedoch lange Zeit weniger beachtet: Kinder und Jugendliche. Für die Behandlung von Minderjährigen wurde oft einfach die bei Erwachsenen erprobte Dosierung eines Medikaments verringert.

Seit 2007 muss in der EU aber jedes neue Medikament in den Phase II- und III-Studien auch an Minderjährigen getestet werden, wenn es später in dieser Altersgruppe eingesetzt werden soll. Dabei wird mit den Tests an Kindern beziehungsweise Jugendlichen oft erst begonnen, wenn die Phase II-Studien an Erwachsenen erfolgreich abgeschlossen sind. Details entscheidet ein eigene Expertengruppe der europäischen Arzneimittelagentur EMA, das Paediatric Committee.

Die Zulassungstests an Minderjährigen sind deshalb sinnvoll, weil der Körper von Kindern und Jugendlichen oft anders auf ein Medikament reagiert als der von Erwachsenen. Wirksamkeit und Verträglichkeit können also anders ausfallen. Für Minderjährige muss die Dosierung deshalb meist angepasst werden. In vielen Fällen ist auch eine andere Darreichungsform bei Medikamenten für Kinder notwendig - etwa Tropfen oder ein Pulver anstelle der grossen Tabletten, die erwachsene Patienten erhalten.

Pflanzliche Arzneimittel

Bei der Neuentwicklung von pflanzlichen Arzneimitteln (Phytotherapeutika) gestaltet sich der Wirksamkeitsnachweis, wie er in Form klinischer Studien vorgeschrieben ist, schwierig:

Während chemische Arzneimittel meist nicht mehr als ein bis zwei Reinsubstanzen enthalten, produziert jede Pflanze ein Wirkstoffgemisch. Meistens variiert dieser Mix auch in den verschiedenen Teilen der Pflanze. So kann zum Beispiel das Brennnesselkraut auf die Nieren wirken, die Brennnesselwurzel hingegen auf den Hormonstoffwechsel der Prostata. Ausserdem fallen diese Wirkstoffgemische je nach Herkunft und Zubereitung der Pflanze sehr unterschiedlich aus, was auch die Wirksamkeit beeinflusst.

Um solche Fragen zu klären, wurde 1978 eine Gruppe von Fachleuten eingesetzt, die sogenannte Kommission E. Bis 1994 hat diese Expertengruppe mehr als 300 Heilpflanzen und verschiedene Zubereitungsarten begutachtet und ihre Ergebnisse in Form von Monographien (gewissermassen Steckbriefe) veröffentlicht. Diese enthalten die zum betreffenden Zeitpunkt bekannten Informationen über die Zusammensetzung, Wirkung und möglichen Nebenwirkungen der verschiedenen Heilpflanzen.

Weil die Monographien der Kommission E seit 1994 nicht mehr aktualisiert wurden, stützt man sich heute stattdessen auf die Monographien des "Committee on Herbal Medicinal Products" (HMPC). Das ist der für pflanzliche Arzneimittel zuständige Ausschuss der Europäischen Arzneimittelagentur. Er kümmert sich um die wissenschaftliche Bewertung solcher Arzneimittel.

Von modernen pflanzlichen Arzneimitteln zu unterscheiden sind traditionelle pflanzliche Arzneimitteln: Statt einer Zulassung ist hier eine Registrierung vorgesehen. Mehr dazu im nächsten Abschnitt.

Registrierung statt Zulassung

Als Arzneimittel "besonderer Therapierichtungen" sind traditionelle pflanzliche Arzneimittel ebenso wie etwa homöopathische Präparate von der Zulassungspflicht ausgenommen. Für sie ist stattdessen eine Registrierung notwendig:

Dafür muss - wie bei der Zulassung "normaler" Arzneimittel - ein Nachweis über die Unbedenklichkeit und die angemessene pharmazeutische Qualität des Homöopathikums oder traditionellen pflanzlichen Arzneimittels vorgelegt werden.

Bei einem traditionellen pflanzlichen Arzneimittel muss zudem die pharmakologische Wirkung oder Wirksamkeit plausibel dargelegt werden - und zwar über den sogenannten Traditionsbeleg. Das heisst, der Hersteller muss etwa über bibliographische Angaben unter anderem belegen, dass das traditionelle pflanzliche Arzneimittel seit mindestens 30 Jahren und davon seit mindestens 15 Jahren in der EU medizinisch verwendet wird.

Klinische Studien zum Nachweis der Wirksamkeit, wie sie die klassische Arzneimittelzulassung vorschreibt, sind dagegen weder bei homöopathischen noch bei traditionellen pflanzlichen Arzneimitteln notwendig, damit sie eine Firma verkaufen kann.

Im Gegensatz zu klassischen Medikamenten der Schulmedizin fehlt bei alternativen Heilmitteln meist der umfangreiche wissenschaftliche Beleg für Wirksamkeit, zumal kein aufwändiges Verfahren der Arzneimittelzulassung erforderlich ist.

Autoren- & Quelleninformationen

Jetzt einblenden
Datum :
Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Vorlage:
Melanie Iris Zimmermann
Autor:

Martina Feichter hat in Innsbruck Biologie mit Wahlfach Pharmazie studiert und sich dabei auch in die Welt der Heilpflanzen vertieft. Von dort war es nicht weit zu anderen medizinischen Themen, die sie bis heute fesseln. Sie ließ sich an der Axel Springer Akademie in Hamburg zur Journalistin ausbilden und arbeitet seit 2007 für NetDoktor (zwischenzeitlich als freie Autorin).

Quellen:
  • Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): "Arzneimittelentwicklung", unter: www.bfarm.de (Abruf: 10.08.2020)
  • Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): "FAQ Arzneimittelzulassung", unter: www.bfarm.de (Abruf: 10.08.2020)
  • Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), unter: www.iqwig.de (Abrufdatum: 24.08.2020)
  • Veit, M.: "Arzneimittelrecht - Zugelassen oder registriert", Deutsche Apotheker Zeitung (DAZ) 2014, Nr. 31, S. 44, unter: www.deutsche-apotheker-zeitung.de
  • Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (vfa): "So entsteht ein neues Medikament" (Stand: 10.02.2018), unter: www.vfa.de
  • Vogt, B. & Winter, B.: "Pflanzliche Arzneimittel - Monographien als Richtschnur", Pharmazeutische Zeitung online vom 24.03.2014, unter: www.pharmazeutische-zeitung.de
Teilen Sie Ihre Meinung mit uns
Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie NetDoktor einem Freund oder Kollegen empfehlen?
Mit einem Klick beantworten
  • 0
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
  • 6
  • 7
  • 8
  • 9
  • 10
0 - sehr unwahrscheinlich
10 - sehr wahrscheinlich