Mädchen begießt Pflanze in dürrem Boden

Was tun gegen die Klimaangst?

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Waldbrände, Überschwemmungen, Stürme, Hitzewellen. Dazu düstere Prognosen für die Zukunft des Planeten. Was macht all das mit der menschlichen Psyche? Und was können wir tun, um nicht zu verzweifeln?

Der 4. Juli 2023 war der weltweit bisher heisseste Tag seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Längst werden auch im gemässigten Mitteleuropa die Folgen des Klimawandels deutlich sichtbar: In Tirol köpfte ein Bergsturz den Südgipfel des Fluchthornmassivs, weil das „ewige Eis“ im Gestein zu tauen beginnt. In Brandenburg gingen im Jahr 2022 ganze 1400 Hektar Wald in Flammen auf.

Einzelereignisse, die eine erste Ahnung davon vermitteln, was in den nächsten Jahren auf uns zukommt, auch hier in unseren gemässigten Breitengraden. Was macht das mit der Psyche?

Globale Erwärmung: 43 Prozent haben davor grosse Angst

Bereits 2017 hat die American Psychological Association den Begriff „Eco-Anxiety“ geprägt, hierzulande spricht man von eher Klimaangst. Sie ist verbreitet: In einer Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung gaben 43 Prozent der Befragten an, grosse Angst vor der globalen Erwärmung zu haben.

„Die Sorge ist eine berechtigte Einschätzung der Situation“, erklärt Nadja Gebhardt im Gespräch mit NetDoktor. Die Psychologin ist Hauptautorin einer Untersuchung zu den psychischen Folgen des Klimawandels, die das Robert-Koch-Institut für den „Sachstandsbericht Klimawandel und Gesundheit“ in Auftrag gegeben hat.

Angst ist überlebenswichtig

Ein zentraler Aspekt ist hier die Klimaangst. Angst ist ein negatives, aber überlebenswichtiges Gefühl. Sie bringt uns dazu, Gefahren zu bannen oder ihnen aus dem Weg zu gehen. Für den menschengemachten Klimawandel aber gibt es keine einfachen Antworten. Das Wissen, als einzelner Mensch nichts ausrichten zu können, lähmt.

In einer Umfrage der Universität Erfurt berichteten rund 25 Prozent der Teilnehmenden, dass Gedanken über den Klimawandel bei ihnen Schlaf- oder Konzentrationsschwierigkeiten hervorriefen.

Im Schnitt gaben rund 10 Prozent der Befragten an, an mehr als der Hälfte der Tage in den vorangegangenen zwei Wochen durch Ängste in Bezug auf den Klimawandel und andere globale Umweltbedrohungen beeinträchtigt gewesen zu sein. Sie grübeln übermässig oder fühlen sich niedergeschlagen.

In Ländern wie den Philippinen, Portugal und Brasilien, in denen sich die Auswirkungen des Klimawandels schon stärker zeigen, ist auch die Zahl der besorgten Menschen höher.

Mehr psychische Erkrankungen durch den Klimawandel?

Schlägt sich die Klimaangst aber auch schon in steigenden Zahlen psychischer Erkrankungen nieder? „Aktuell sehen wir noch keine relevanten Anstiege in der Allgemeinbevölkerung, die wir auf den Klimawandel zurückführen können“, sagt Gebhardt.

Allerdings ist das auch gar nicht so leicht herauszufinden: Denn die potenziellen Auswirkungen der Klimaangst auf die Psychesind schwierig zu messen. Das Problem: „Wir wissen nicht, inwiefern die Menschen den Informationen zum Klimawandel überhaupt ausgesetzt sind. Die konkreten Einflüsse sind daher nicht genau messbar“, so die Wissenschaftlerin.

Die Sorge der jungen Menschen

Nicht zu übersehen ist, dass sich eine Gruppe besonders von Klimaängsten belastet fühlt: Die jungen Menschen machen sich schon heute die grössten Sorgen – und zwar zu Recht.

Der Anteil derjenigen, bei denen die Sorge in eine echte Depression oder Angststörung umschlägt, ist zwar noch nicht sehr hoch. „Er wird aber immer grösser“, so die Psychologin. „Das Problem wächst mit jeder Generation, die in das Alter kommt, in dem sie versteht, was in den nächsten Jahrzehnten auf sie zukommt.“

Weil sie mehr Lebenszeit vor sich haben, sind junge Menschen vom Klimawandel stärker betroffen. „Gleichzeitig stehen sie vor der Situation, dass sie als Individuum den Klimawandel nicht aufhalten können“, sagt die Psychologin.

Der Kopf im Sand

Eine Reaktion ist, die Bedrohung einfach auszublenden. „Prinzipiell ist es sehr verlockend, nicht immer wieder die negativen Emotionen aushalten zu müssen, die hochkommen. Viele vermeiden es darum, sich überhaupt mit dem Thema auseinanderzusetzen“, sagt Gebhardt.

Eine gute Lösung ist die totale Abschottung eher nicht. Eine Möglichkeit, sich zu informieren, ohne dabei in den Strudel der negativen Klimaschlagzeilen zu geraten, ist hingegen, dem Thema zwar Zeit und Raum zu geben, diese aber konsequent zu begrenzen. Wer in den Sog bedrückender Nachrichten gerät, läuft Gefahr, Klimaangst zu entwickeln.

Radikale Akzeptanz kann helfen

Für einen psychisch gesunden Umgang mit den Herausforderungen ist entscheidend, die negativen Emotionen als berechtigt anzuerkennen, statt sie zu verleugnen. „Es ist ganz natürlich, dass Menschen Sorgen, Traurigkeit oder Stress empfinden, wenn es um die Zukunft der Umwelt geht“, sagt Gebhardt.

Keine einfache, aber eine wirksame Möglichkeit ist dagegen eine Strategie der radikalen Akzeptanz. Dabei geht es darum, in einer Situation, die man nicht kontrollieren kann, die negativen Gefühle bewusst wahrzunehmen, sie auszuhalten und anzuerkennen. „In dem Augenblick, in dem ich eine Angst akzeptieren kann, kann ich Abstand von ihr gewinnen und ihr Einfluss schrumpft“, sagt Gebhardt.

Diese konfrontative Strategie wird schon lange in der Therapie von Angststörungen und hier insbesondere bei Phobien eingesetzt. Ein Mensch mit ausgeprägter Spinnenangst kann mit dieser Methode schrittweise, aber überraschend zügig seine Ängste abbauen und am Ende eine riesige Tarantel auf der Hand halten.

Angesichts existenzieller Bedrohungen – wie eigenem Tod und Klimawandel – funktioniert das im Prinzip ähnlich. Zwar verschwinden existenzielle Ängste nicht vollständig, sie werden aber deutlich erträglicher. Evolutionsbiologisch ist das sinnvoll: „Sonst verliert man den Antrieb, sich um sich selbst zu kümmern – oder um die Welt“, erklärt Gebhardt.

Engagement gegen die Hilflosigkeit

Neben der Angst ist es das Gefühl der Ohnmacht, das bei Menschen die stärkste negative Emotion in Hinblick auf den Klimawandel auslöst. Dagegen hilft, sich zu engagieren: „Wenn solche Gefühle aufkommen, nutzen Sie sie als Motivation, um aktiv zu werden“, sagt Gebhardt. Die eigenen Ängste und Sorgen in Handlung umzusetzen, könne für die Psyche sehr wichtig sein. Damit lässt sich das verloren gegangene Gefühl von Kontrolle zurückgewinnen, das für die seelische Balance so wichtig ist.

Am besten funktioniere das, wenn man Teil einer Gemeinschaft wird, die sich engagiert und Räume findet, in denen man seine Gedanken und Gefühle mitteilen kann. Bei „Fridays for Future“ könnten sich junge Menschen als Teil einer Bewegung fühlen, die gemeinsam etwas bewirken, sagt Gebhardt. „Wenn man stattdessen alleine zu Hause sitzt, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass man in Depression und Angst verfällt oder das Thema wegschiebt, weil es nicht aushaltbar ist“, so die Psychologin.

Wer allerdings merkt, dass er schon tief in der Spirale aus Klimaangst und Hoffnungslosigkeit steckt, sollte psychotherapeutische Beratung annehmen. „Es gibt praktische Strategien und Techniken, mit denen sich Emotionen regulieren lassen“, sagt Gebhardt. Oft reichen dann schon wenige Gespräche im Rahmen einer Kurzintervention aus, die den Umgang mit der Angst vor den Folgen des Klimawandels erleichtert.

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Quellen:
  • Caroline Hickman: Climate anxiety in children and young people and their beliefs about government responses to climate change: a global survey, The Lancet Planetary Health, Dez. 2021, doi: https://doi.org/10.1016/S2542-5196(21)00278-3
  • Clayton, S. et al: Mental Health and Our Changing Climate: Impacts, Implications, and Guidance, American Psychological Association, März 2017
  • Marlis Wullenkord et al: Anxiety and Climate Change: A Validation of the Climate Anxiety Scale in a German-Speaking Quota Sample and an Investigation of Psychological Correlates, Climatic Change, 22. Okt. 2021, doi: https://doi.org/10.1007/s10584-021-03234-6
  • Sachstandsbericht Klimawandel und Gesundheit (2023) Teil 2 - Journal of Health Monitoring S4/2023: Auswirkungen des Klimawandels auf nicht-übertragbare Erkrankungen und die psychische Gesundheit, RKI, Sept. 2023
  • Stephan Heinzel et al: Anxiety in response to the climate and environmental crises: validation of the Hogg Eco-Anxiety Scale in Germany, Front. Psychol., 21. September 2023, Sec. Quantitative Psychology and Measurement, Volume 14, 2023 doi: https://doi.org/10.3389/fpsyg.2023.1239425
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