Neugierige Ferkel

Organmangel: Ein Schweineherz für ein Menschenleben

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Anfang des Jahres war es so weit: Erstmals schlug ein Schweineherz in einer menschlichen Brust – eine Nachricht, die um die Welt ging. Zwei Monate pumpte es, dann starb David Bennett, ein 57-jähriger Handwerker mit Herzschwäche im Endstadium.

Auf sogenannte Xenotransplantationen wie dieser setzt die Medizin schon lange ihre Hoffnungen: Mit ihrer Hilfe hofft man, dem dramatischen Mangel an Spenderorganen zu begegnen. Doch die Hürden sind hoch: Schon ein menschliches Herz würde, in einen anderen Menschen verpflanzt, normalerweise heftige Abstossungsreaktionen provozieren. Die Fremdheit, auf die das Immunsystem reagiert, ist erwartungsgemäss umso ausgeprägter, wenn das Organ von einer anderen Spezies stammt.

Schweineherzen aus dem Genlabor

Erst die moderne Gentechnik hat die Xenotransplantationen in den Bereich des tatsächlich Möglichen rücken lassen. Einer von denen, die die Schweineorgane für den Einsatz im Menschen rüsten, ist Prof. Eckhard Wolf vom Lehrstuhl für Molekulare Tierzucht und Biotechnologie des Genzentrums der LMU München.

Seit vielen Jahren tüftelt man hier an der genetischen Transformation. Die Schweine, die in den Ställen der Universität leben, sehen nicht anders aus als ihre Artgenossen in irgendeinem Mastbetrieb. Tatsächlich aber unterscheiden sie sich von diesen in fundamentaler Hinsicht.

Verräterische Zuckermoleküle

Zum einen haben die Forscher bei ihnen Gene für Enzyme ausgeschaltet (Knock-out), die spezielle Zuckermoleküle auf der Oberfläche der Schweinezellen erzeugen. „An ihnen erkennt das menschliche Immunsystem, dass es mit fremden Zellen zu tun hat“, erklärt Wolf. Es verfügt zudem über entsprechend spezialisierte Antikörper gegen Schweinezellen – und zwar schon vor dem ersten Kontakt.

Diese Antikörper sind somit sofort zur Stelle, docken an den zuckertragenden Schweinezellen an und aktivieren das sogenannten Komplementsystem, ein besonders schnelles und schlagkräftiges Instrument der Abwehrkräfte. Es umfasst eine ganze Kaskade an Botenstoffen, auf deren Weisung hin beispielsweise Bakterien und andere Fremdlinge schnell und effizient ausgeschaltet werden.

Das gentechnisch erzielte Ausschalten der Zuckermoleküle von der Oberfläche der Schweinezellen verhindert das effektiv.

Abstossungsreaktion ausbremsen

Eine zweite Massnahme, um die Aktivierung des Komplementsystems zu blockieren, besteht darin, menschliche Gene in das Schweine-Erbgut einzuschleusen, die die Reaktion des Systems regulieren (Knock-in). „Sie blockieren die Enzymkaskade an verschiedenen Stellen“, so Wolf im Gespräch mit NetDoktor.

Zusammengenommen reduzieren diese genetischen Eingriffe das Risiko einer Abstossungsreaktion nach Verpflanzung eines Schweineherzens erheblich. Möglicherweise könnte diese sogar deutlich geringer ausfallen als die Reaktion auf menschliche, genetisch unveränderte Spenderherzen. Die Patienten könnten dann möglicherweise mit weniger Medikamenten auskommen, die das Immunsystem unterdrücken.

Eine weitere genetische Modifikation zielt auf die Grösse des Schweineherzens. Forscher haben das Gen für den Wachstumshormon-Rezeptor ausgeschaltet. „Die Schweine werden dann nur halb so gross wie gewöhnlich“, erklärt der Wissenschaftler. So werden die Herzen nicht zu gross für den menschlichen Brustkorb.

Das Problem mit der Blutgerinnung

Zu guter Letzt räumten die Wissenschaftler ein weiteres Problem der Xenotransplantation mit der Genschere aus: die Blutgerinnung. Dabei müssen lösliche Gerinnungsfaktoren im Blut und Faktoren des Endothels - jener Zellschicht, die die Innenseite der Blutgefässe auskleidet - perfekt zusammenspielen.

„Die Blutgerinnung ist ja ein ganz fein ausgestreutes System“, sagt Wolf. Einerseits müssen Wunden schnell verschlossen werden, andererseits dürfen sich keine Blutgerinnsel bilden, die Embolien und Schlaganfälle verursachen können.

Trifft menschliches Blut auf ein Schweineherz, treten schnell Probleme auf. Darum haben die Genetiker die Schweine zusätzlich zu ihrem eigenen Gerinnungsregulator Thrombomodulin mit menschlichem Thrombomodulin ausstattet „So kann man sicherstellen, dass sich keine Blutgerinnsel bilden, wenn Menschenblut durch Schweineblutgefässe fliesst“, sagt Wolf.

Schweineviren gefährden die Patienten

Und dann ist da auch noch die Sache mit den porcinen Viren, also auf Schweine spezialisierte Erreger. Für Schweine sind sie harmlos, denn ihr Immunsystem ist darauf trainiert, sie in Schach zu halten. Dem Menschen aber können sie sehr gefährlich werden.

Auch David Bennett ist wohl ein solches porcines Zytomegalovirus zum Verhängnis geworden: Obwohl man das Spendertier darauf getestet hatte, war die Infektion übersehen worden. Gängige Tests springen vor allem auf aktive Infektionen an. Schlummert das Virus im Gewebe, ist es aber nur sehr schwer aufzuspüren.

Antikörpertests als Sicherheitsnetz

Wolfs Team hat daher nicht nur sensiblere Testverfahren entwickelt, sondern testet die Schweine auch auf Antikörper gegen die porcinen Viren. „Haben diese auch als erwachsene Tiere keine Antikörper im Blut, kann man davon ausgehen, dass sie nie Kontakt mit ihnen hatten“, sagt der Forscher.

Auch wenn David Bennent ohnehin bei sehr schlechter Gesundheit war: Die Infektion dürfte zu seinem Ableben zumindest beigetragen haben. Die gute Nachricht bei diesem tragischen Fall: Bennetts Körper hat das Schweineherz offenbar bis zum Ende hin toleriert. Das spricht dafür, dass das Verfahren grundsätzlich funktioniert.

Erst kürzlich haben New Yorker Mediziner einen weiteren Transplantationsversuch unternommen – diesmal an zwei herzkranken Patienten, die bereits einen Hirntod erlitten hatten. Die Herzen stammten aus demselben Genlabor wie das, das man Bennett eingepflanzt hatte. Nach drei Tagen beendeten die Mediziner das Experiment. Die Untersuchung der Organe ergab keinerlei Abstossungsreaktionen. Auch eine Infektion mit porcinen Viren konnten die Forscher ausschliessen.

Herzen aus dem Drucker?

Angesprochen auf die futuristisch anmutende, aber durchaus vorangetriebene Alternative, Organe künftig per Bioprinter drucken zu lassen, winkt Wolf ab. „Das was derzeit präsentiert wird, sind organförmige Gebilde, aber sie haben keine Funktion. Es reicht ja nicht, dass man die einzelnen Zelltypen mit dem Bioprinting in der richtigen Anordnung nebeneinanderklatscht. Die müssen lernen, miteinander zu kommunizieren und zu interagieren“, so der Wissenschaftler.

Zudem bräuchte man Hallen voller Zellinkubatoren, um die Masse verschiedener Zelltypen herzustellen. Das sei extrem aufwendig und extrem teuer. „Ein Spenderschwein hingegen kann man für ein paar tausend Euro produzieren“, so der Wissenschaftler.

Genetisch optimierte Schweine liessen sich zudem ohne grösseren Aufwand unbegrenzt nachzüchten. Derzeit stehen rund 100 potenzielle Herzspenderschweine in den Ställen der Universität.

Herzen sind noch die einfachste Übung

Dass bald weitere Schweineherzen in menschlichen Körpern schlagen werden, scheint daher sehr wahrscheinlich. Bei anderen Organen, die dringend gebraucht werden, ist die Sache hingegen noch einmal komplizierter.

Während das Herz eine rein mechanische Aufgabe zu erfüllen hat, sind Leber und Nieren an vielfältigen Stoffwechselprozessen beteiligt und produzieren zahlreiche Enzyme. Mit der jeweiligen Schweinevariante der Botenstoffe wird der menschliche Körper aber kaum etwas anfangen können.

Doch würden Xeno-Organe überhaupt von den Patienten akzeptiert? Zumindest in diesem Punkt ist Wolf sich sicher: „Niemand, der gesund ist, kann sich vorstellen, wie sehr man leidet, wenn man terminal herzinsuffizient ist.“ Auch wenn einzelne Betroffene dennoch verzichten würden: „Die allermeisten Patienten würden alles nehmen, was ihre Lebensqualität verbessert.“

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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