Überbiss

Von , Student der Humanmedizin
Lukas von Kunhardt

Lukas v. Kunhardt studiert Humanmedizin an der LMU München. Seit 2022 ist er Teil der NetDoktor-Redaktion und verfasst dort unter anderem medizinische Fachtexte. Er interessiert sich sehr für die Belange von Patienten und möchte ihnen durch seine Artikel den Zugang zur Medizin erleichtern.

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Ein behandlungsbedürftiger Überbiss ist eine weit verbreitete Zahnfehlstellung, bei der die oberen Frontzähne zu stark über die unteren Frontzähne hinausragen. Das führt zu Schwierigkeiten beim Kauen, Lautbildungsstörungen, einem erhöhten Kariesrisiko und ästhetischen Problemen. Je früher die Fehlstellung diagnostiziert wird, desto besser ist die Prognose. Durch eine individuelle Behandlung kann man den Überbiss korrigieren und das Risiko für Komplikationen verringern.

Mädchen mit Überbiss

Kurzübersicht

  • Typische Symptome: Einen behandlungsbedürftigen Überbiss erkennt man daran, dass die oberen Frontzähne deutlich über die unteren Frontzähne hinausragen. Der Überbiss beeinträchtigt möglicherweise das Kauen, die Aussprache und das Aussehen des Gesichts.
  • Ursachen: Überbisse können erblich bedingt sein oder durch Gewohnheiten wie das Lutschen am Daumen oder Schnuller, aufgrund von Zahnverlust oder Unterschieden im Kieferwachstum entstehen.
  • Behandlung: Die Behandlung unterscheidet sich je nach Schweregrad und Alter der Betroffenen. Möglich sind kieferorthopädische Massnahmen wie Zahnspangen, herausnehmbare Apparaturen, funktionelle Apparaturen und das Ziehen von Zähnen. In schweren Fällen ist manchmal ein kieferchirurgischer Eingriff notwendig.
  • Untersuchung: Die Diagnose eines Überbisses findet in einer zahnärztlichen Praxis statt. Sie umfasst eine gründliche Anamnese, eine klinische Untersuchung, fotografische Aufnahmen, Röntgenbilder und Gebissabdrücke.
  • Prognose: Die Prognose hängt von mehreren Faktoren ab: dem Schweregrad der Fehlstellung, dem Alter (Kinder, Jugendliche oder Erwachsene), der gewählten Behandlungsmethode und davon, wie konsequent die Betroffenen die Therapie umsetzen und beispielsweise eine herausnehmbare Spange tragen. Eine rechtzeitige und angemessene Behandlung verbessert die Prognose und verringert das Risiko für Komplikationen.

Die Zähne des Oberkiefers stehen immer leicht vor den Zähnen des Unterkiefers und überdecken diese. Umgangssprachlich wird mit „Überbiss“ also der behandlungsbedürftige Überbiss bezeichnet, wenn die oberen Schneidezähne zu weit vorstehen.

Überbiss: Beschreibung

Bei einem behandlungsbedürftigen Überbiss ragen die oberen Frontzähne zu weit über die unteren Frontzähne hinaus. Zu dieser Fehlstellung kann es kommen, wenn das Verhältnis zwischen Ober- und Unterkiefer nicht stimmt: Entweder ist der Oberkiefer im Vergleich zum Unterkiefer übermässig stark entwickelt oder der Unterkiefer ist zu schwach ausgeprägt. Manchmal sind auch die oberen Zähne im Verhältnis zu den unteren Zähnen zu weit nach vorne gewachsen. In der Zahnmedizin bezeichnet man einen Überbiss auch als „Angle-Klasse II“ oder „Distalbiss“.

Die Angle-Klassifikation ist ein Ordnungssystem, mit dessen Hilfe Zahn- und Kieferfehlstellungen erfasst werden. Die Angle-Klasse I beschreibt den unauffälligen Neutralbiss, wenn die oberen und unteren Zähne korrekt ineinander beissen.

Man unterscheidet beim Überbiss zwei Haupttypen: Bei einem Overjet stehen die oberen Schneidezähne zu weit nach vorne. Man behandelt also die horizontale Lücke zwischen den oberen und unteren Frontzähnen. Bei einem Overbite bedecken die oberen Schneidezähne die unteren Zähne zu sehr. Hier behandelt man die vertikale Lage der oberen und unteren Zähne zueinander. Man spricht auch von einem Tiefbiss.

Ein Überbiss kann skelettale oder dentale Ursachen haben: Beim dentalen Überbiss verursacht die Position der Zähne die Fehlstellung. Beim skelettalen Überbiss sind die Kieferknochenstruktur und das Kieferwachstum die Hauptursachen.

Überbiss: Behandlung

Man behandelt den Überbiss, um Zahn- und Kieferfehlstellungen zu korrigieren und mögliche Komplikationen zu vermeiden. Abhängig vom Schweregrad des Überbisses und dem Alter des Patienten oder der Patientin sind verschiedene Behandlungsmethoden verfügbar:

Kieferorthopädische Behandlung: Meistens behandelt man den Überbiss mit Zahnspangen. Sie üben gezielt Druck auf die Zähne aus und bringen sie schrittweise in die richtige Position.

Herausnehmbare Apparaturen: In manchen Fällen bringt man die Zähne mit herausnehmbaren kieferorthopädischen Geräten in die gewünschte Position. Ein häufiges Beispiel sind „Aligner“, das sind durchsichtige Schienen, die auf den Zähnen sitzen.

Funktionelle Apparaturen: Geräte wie eine Twin-Block-Apparatur oder ein Bionator beeinflussen das Wachstum und die Position des Kiefers und korrigieren so den Überbiss. Sie eignen sich insbesondere für Kinder und Jugendliche, die noch wachsen.

Zahnextraktion: Wenn der Kiefer zu klein ist oder die Zähne zu eng stehen, muss man für die Korrektur des Überbisses manchmal einen Zahn oder sogar mehrere Zähne ziehen.

Kieferchirurgie: Bei Erwachsenen oder in schweren Fällen ist teilweise eine kieferchirurgische Behandlung notwendig. Der Chirurg positioniert den Kiefer in einer Operation neu, um die Fehlstellung zu korrigieren.

Frühzeitige Intervention: Bei Kindern kann man einen Überbiss verhindern oder minimieren, indem bestimmte Gewohnheiten (sogenannte „Habits“), etwa ständiges Nuckeln am Daumen oder Schnuller, frühzeitig reduziert werden.

Überbiss: Symptome

Ein Überbiss hat viele mögliche Auswirkungen. Die folgenden Symptome sind typisch für die Fehlstellung und zeigen, welche Folgen ein Überbiss haben kann. Behandelt man den Überbiss nicht, können zahlreiche Komplikationen entstehen.

Auffällige Zahnstellung: Die oberen Schneidezähne überlappen die unteren Schneidezähne auffällig stark. Diesen Überbiss kann man deutlich sehen.

Schwierigkeiten beim Kauen: Ein Überbiss stört das korrekte Aufeinandertreffen der Zähne beim Kauen, was Schwierigkeiten oder Schmerzen verursacht.

Probleme mit der Aussprache: In einigen Fällen beeinträchtigt ein Überbiss die korrekte Aussprache von Wörtern oder verursacht Lautbildungsstörungen, beispielsweise Lispeln.

Beschädigung von Zähnen und Zahnfleisch: Ein unbehandelter Überbiss führt teilweise dazu, dass die unteren Schneidezähne direkt auf das Zahnfleisch hinter den oberen Schneidezähnen treffen und dort Verletzungen oder einen Zahnfleischrückgang verursachen.

Zahnfleisch- und Knochenprobleme: Ein Überbiss verursacht starken Druck auf das Zahnfleisch und den Kieferknochen. Das kann zu Zahnfleischerkrankungen oder Knochenabbau führen.

Zahnabrieb und Karies: Der ungleichmässige Druck auf die Zähne führt oft zu erhöhtem Abrieb und einem höheren Kariesrisiko.

Temporomandibuläre Gelenkstörungen (TMJ): Ein unbehandelter Überbiss verursacht Probleme im Kiefergelenk. Das kann Schmerzen, eine eingeschränkte Bewegung und Knacken oder Knirschen im Kiefer verursachen.

Aussehen: Ein Überbiss beeinflusst das Erscheinungsbild des Gesichts. Betroffene sind unzufrieden mit dem eigenen Aussehen, was das Selbstbewusstsein und die Lebensqualität beeinträchtigt.

Überbiss: Ursachen und Risikofaktoren

Ein Überbiss entsteht durch eine Kombination aus ererbten (genetischen) und erworbenen Faktoren. Die Hauptursachen sind:

Genetik: Vererbung spielt eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung eines Überbisses, da die Grösse und Form der Kieferknochen und Zähne genetisch festgelegt sind. Hat ein Elternteil einen Überbiss, ist die Wahrscheinlichkeit grösser, dass ein Kind ebenfalls solch eine Fehlstellung entwickelt.

Angewohnheiten: Bestimmte Gewohnheiten, sogenannte „Habits“, in der frühen Kindheit tragen zur Entwicklung eines Überbisses bei, etwa langes Nuckeln an Daumen, Schnuller oder an der Flasche. Diese Gewohnheiten üben Druck auf die heranwachsenden Zähne und den Kiefer aus, wodurch Fehlstellungen entstehen.

Zungenstossen: Wenn die Zunge beim Schlucken oder Sprechen gegen die Vorderzähne drückt, übt das dauerhaft Druck auf die Zähne aus. Dadurch verschieben sie sich nach vorne.

Mangelhafte Zahnpflege: Eine schlechte Mundhygiene, unregelmässige zahnärztliche Kontrollen und eine unzureichende kieferorthopädische Versorgung können ebenfalls dazu führen, dass sich Zähne verschieben oder Abstände verengen. Das trägt zur Entwicklung von Fehlstellungen bei.

Zahnverlust: Der Verlust von Zähnen, insbesondere im Kindesalter, ist eine mögliche Ursache. Gehen Zähne verloren, rutschen benachbarte Zähne in den leeren Raum, wodurch sich der Zahnbogen verändert und Fehlstellungen entstehen.

Unterschiedliches Kieferwachstum: Wachsen die Kiefer unterschiedlich schnell, kommt es zu einem Überbiss, wenn der Oberkiefer weiter hervorragt als der Unterkiefer.

Überbiss: Untersuchung und Diagnose

Die Diagnose eines Überbisses beginnt mit einer gründlichen Untersuchung. In einer zahnärztlichen oder kieferorthopädischen Praxis wird der Zustand von Zähnen, Zahnfleisch und Kiefer beurteilt. Der Diagnoseprozess umfasst mehrere Schritte:

Anamnese: Der Zahnarzt oder Kieferorthopäde sammelt Informationen über die medizinische und zahnmedizinische Vorgeschichte des Patienten oder der Patientin sowie über mögliche Risikofaktoren und Symptome, die auf einen Überbiss hindeuten.

Klinische Untersuchung: Anschliessend werden die Zähne, das Zahnfleisch und die Kiefer untersucht, um Anzeichen für einen Überbiss oder andere Zahnfehlstellungen zu erkennen. Dabei prüft man die Okklusion, also das Aufeinandertreffen der oberen und unteren Zähne, und man misst den Grad des Überbisses.

Fotografische Aufnahmen: Mit Fotos kann man den Behandlungsverlauf dokumentieren. Sie ermöglichen eine genauere Beurteilung der ästhetischen Auswirkungen des Überbisses. Man fotografiert das Gesicht mit einem neutralen und einem lächelnden Ausdruck.

Röntgenbilder: Panorama- und Fernröntgenaufnahmen von Kopf und Kiefer geben Aufschluss über die Position der Zähne, das Kieferwachstum und mögliche Auffälligkeiten der Kieferknochen, die zur Entwicklung eines Überbisses beitragen.

Gebissabdrücke: Mithilfe von Abdrücken erhält man ein genaues dreidimensionales Modell der Zahnstellung. Dieses Modell hilft bei der Planung der geeigneten Behandlung zur Korrektur des Überbisses.

Die gesammelten Daten werden analysiert, um einen individuellen Behandlungsplan zu erstellen. So kann man den Überbiss korrigieren und spätere Komplikationen vermeiden.

Überbiss: Verlauf und Prognose

Die Prognose hängt von verschiedenen Faktoren ab: dem Schweregrad der Fehlstellung, dem Alter der Betroffenen und der Behandlungsmethode. Im Allgemeinen verbessern sich die Ergebnisse, wenn die Überbiss-Behandlung frühzeitig beginnt und der Patient oder die Patientin eng mit dem Zahnarzt oder Kieferorthopäden zusammenarbeitet. Wird ein Überbiss rechtzeitig und professionell behandelt, lässt sich die Fehlstellung erfolgreich korrigieren. Das trägt zur Verbesserung von Funktion, Ästhetik und allgemeinem Wohlbefinden bei Kindern und Erwachsenen bei.

Schweregrad: Leichtere Überbiss-Fälle können in kürzerer Zeit und mit weniger komplexen Methoden behandelt werden. Bei ausgeprägten Fehlstellungen muss man mit einer längeren Behandlungsdauer rechnen, weil die Korrektur aufwändiger ist.

Alter: Kinder und Jugendliche haben eine bessere Prognose, weil ihr Kiefer noch wächst und sich leichter formen lässt. Bei Erwachsenen ist der Kieferknochen bereits verfestigt. Dadurch verlängert sich die Behandlungsdauer und manchmal sind kieferchirurgische Eingriffe erforderlich.

Behandlungsmethode: Die gewählte Therapie beeinflusst die Prognose. Eine individuelle und professionell durchgeführte Behandlung korrigiert den Überbiss erfolgreich und reduziert das Risiko für Komplikationen.

Compliance: Als Compliance oder auch Adhärenz bezeichnet man die Bereitschaft der Patienten und Patientinnen, den ärztlichen Anweisungen zu folgen. Das konsequente Tragen von Zahnspangen oder herausnehmbaren Apparaturen spielt eine entscheidende Rolle für den Verlauf der Behandlung. Eine gute Zusammenarbeit zwischen Patient und Arzt erhöht die Erfolgschancen.

Nachsorge: Hat man den Überbiss erfolgreich korrigiert, überprüft man das bei Nachsorge-Terminen. Manchmal klebt man auch einen sogenannten Retainer auf die Innenseite der Zähne. Das ist ein dünner Metalldraht, der ein erneutes Verschieben verhindert, wenn beispielsweise keine Spange mehr getragen werden muss. So kann man die Ergebnisse dauerhaft erhalten.

Autoren- & Quelleninformationen

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autor:
Lukas v. Kunhardt
Lukas von Kunhardt

Lukas v. Kunhardt studiert Humanmedizin an der LMU München. Seit 2022 ist er Teil der NetDoktor-Redaktion und verfasst dort unter anderem medizinische Fachtexte. Er interessiert sich sehr für die Belange von Patienten und möchte ihnen durch seine Artikel den Zugang zur Medizin erleichtern.

Quellen:
  • Gujer, A.K.: Facharztwissen Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Springer-Verlag, 2013
  • Hamdan, A. M et al.: Does overbite reduction affect smile esthetics?, in: The Angle orthodontist 2019; 89(6); 847–854; doi: 10.2319/030819-177.1
  • Ruf, S. et. al.: Zahn- und Kieferfehlstellungen – gesundheitliche Relevanz und Behandlung, in: Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz, 2021; 64(8): 918–923; doi: 10.1007/s00103-021-03372-3
  • Schwenzer, N. et. Ehrenfeld, M. (Hrsg.): Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, Georg Thieme Verlag KG, 4. Auflage, 2010
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