Neue Arznei soll allergische Schocks verhindern
Ein allergischer Schock kann tödlich enden. Darum müssen manche Allergiker extrem vorsichtig sein. Neue Medikamente könnten die Lage entschärfen.
Manche Menschen regieren schon auf winzige Spuren eines Allergens sehr heftig – beispielsweise auf Spuren von Nüssen in Lebensmitteln oder auf Bienengift nach einem Stich. Dann droht eine Schockreaktion mit zuschwellenden Atemwegen und Kreislaufkollaps. „Anaphylaktischer Schock“ nennen Mediziner diese massive Form einer allergischen Reaktion.
Für den Fall der Fälle tragen die Betroffenen ein schnell wirksames Adrenalin zur Injektion bei sich - sonst kann der Notfall tödlich verlaufen. Die Furcht vor einem solchen Vorfall und die Notwendigkeit, das Allergen im Alltag strikt zu vermeiden, können die Lebensqualität deutlich einschränken. Insbesondere Eltern hoch allergischer Kinder belastet das permanente Risiko.
Allergische Reaktion wird ausgebremst
Neue Medikamente könnten da eine enorme Entlastung bedeuten: Sie sollen solche Schockreaktionen bereits im Vorfeld unterbinden. Die Wirkstoffe bremsen die allergische Reaktion aus, bevor sie überhaupt in Gang kommt. „Damit hätten wir zum ersten Mal eine medikamentöse Möglichkeit, einen anaphylaktischen Schock zu verhindern“, sagt Dr. Bruce Bochner von der University Feinberg School of Medicine.
Mastzellen werden stillgelegt
Ansatzpunkt der medikamentösen Intervention sollen die sogenannten Mastzellen sein. Diese Immunzellen spielen bei allergischen Reaktionen eine zentrale Rolle: Beim Kontakt mit der Substanz, auf die der Patient allergisch reagiert, schütten sie Histamin aus. Auf diesen Botenstoff reagiert der Körper oft innerhalb von Sekunden mit einer allergischen Reaktion.
Die Wirkstoffe, die das Verhindern sollen, sind sogenannte BTK-Inhibitoren. BTK steht für das Enzym „Brutons Tyrosinkinase“, das sich in vielen Körperzellen, darunter auch den Mastzellen, befindet. Wird es blockiert, schüttet die Mastzelle kein Histamin aus – die allergische Reaktion bleibt aus.
Mäuse mit menschlichen Immunzellen
Bochner und sein Team haben verschiedene BTK-Inhibitoren getestet, darunter auch ein bereits zu einem anderen Zweck zugelassenes Medikament. Zunächst überprüften die Forscher die Wirkung der Inhibitoren auf menschliche Mastzellen im Labor, später auch an speziell präparierten Mäusen.
Diesen hatte man zuvor menschliche Zellen implantiert, die zu Mastzellen heranreiften. In beiden Versuchsanordnungen verliefen die Experimente vielversprechend: Eine allergische Reaktion auf den jeweiligen Allergieauslöser wurde mithilfe der BTK-Inhibitoren erfolgreich unterbunden.
„Lebensverändernde Medikamente“
„Solche Medikamente könnten buchstäblich lebensverändernd sein und Leben retten“, sagte Bochner. Vor einem Restaurantbesuch oder einer Essenseinladung beispielsweise könnten Personen mit einer schweren Nahrungsmittelallergie künftig eine Tablette einnehmen, für den Fall, dass sich doch Spuren des Allergens im Essen befinden.
Sollten sich die Medikamente als sicher und bezahlbar erweisen, könnten Allergiker sie sogar einnehmen, um bewusst auch Lebensmittel geniessen zu können, die sie sonst strikt meiden müssen.
Menschen mit Allergien auf Antibiotika könnten entsprechende Medikamente zudem den Zugang zu den wirksamen Arzneien eröffnen.
90 Prozent geringere Allergiereaktion
Bereits im Vorfeld hatten der Forscher und seine Kollegen herausgefunden, dass BTK-Inhibitoren die Reaktionen in Hauttests auf Pollen und Lebensmittel bei Allergikern um bis zu 90 Prozent abschwächen können. Das spricht dafür, dass entsprechende Medikamente auch in Hinblick auf allergische Schocks bei Menschen anschlagen könnten.
Bis zur Zulassung eines solche Medikaments müssen jedoch noch klinische Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit an Menschen vorgenommen werden. Das kann sich noch über Jahre hinziehen. Sollte sich der bereits zugelassene BTK-Inhibitor, der in Bochners Studie getestet wurde, als wirksam erweisen, könnte es auch schneller gehen.
Jeder fünfte Erwachsene leidet unter einer Allergie
Die Zahl der Allergiker hat in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. Derzeit leidet in Deutschland jeder fünfte Erwachsene an einer Allergie. Besonders häufig treten anaphylaktische Schocks bei Insektengiftallergikern auf, zu denen 2,8 Prozent der Bevölkerung gehören, sowie bei bestimmte Nahrungsmittelallergien, die insgesamt 4,7 Prozent der Erwachsenen betreffen.