Mann liegt mit schwerer Covid-19-Erkrankung auf der Intensivstation

Impfdurchbruch: Krank trotz Impfung

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Weltweit sind bereits Millionen Menschen geimpft. Damit steigt auch die Zahl von Personen, die trotz vollständigen Impfschutzes erneut an dem Virus erkranken – manche von ihnen auch schwer.

So wurden etwa Deutschland nach Angaben des Robert Koch Instituts RKI bislang mehr als 5300 solcher Impfdurchbrüche gezählt – ohne Angaben zur Erkrankungsschwere (Stand 14.07.2021). Laut Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen, dem BASG waren es in Österreich bis 314. In der Schweiz geht das BAG (Bundesamt für Gesundheit) von 391 Ansteckungen trotz vollständiger Immunisierung. Doch das ist kein Grund, an den Impfungen zu zweifeln.

100 Prozent Schutz gibt es nicht

Denn eines war von Anfang an klar: Auch eine vollständige Impfung garantiert keine 100-prozentige Sicherheit. Selbst eine zweimalige Injektion von mRNA-Impfstoffen von BioNTech oder Moderna bietet zwar einen sehr hohen Schutz vor einer Erkrankung – aber keinen perfekten.

Schon in den Studien, die für die Zulassung der Impfstoffe nötig waren, erkrankten einige der geimpften Teilnehmer. Doch kein einziger Teilnehmer erkrankte schwer – und erst recht verstarb keiner an einer Sars-CoV-2-Infektion.

Abhängig davon, wie hoch ihr Anteil an den Erkrankten war, errechneten die Hersteller Wirksamkeiten von 95 bis 66 Prozent. Allerdings bezogen sich diese Zahlen – je nach Studie – nur auf einige Tausend bis einige Zehntausend Teilnehmer. Dass es angesichts vieler Millionen Geimpfter nicht immer so glimpflich ausgeht, und Einzelne dennoch schwer erkranken, leuchtet ein.

Zudem haben die Zulassungsstudien überwiegend Teilnehmer „mittleren bis mittelhohen“ Alters rekrutiert. Die reale Vielfalt der Bevölkerung können sie nicht abbilden. Zu vielfältig sind die unterschiedlichen individuellen Faktoren, die den Impferfolg beeinflussen – etwa Alter, körperlicher Allgemeinzustand, Vorerkrankungen und soziale Einflussfaktoren.

Der Einfluss der Mutanten

Vor allem aber haben inzwischen zunächst die Beta- und nun auch die nochmals deutlich ansteckendere Delta-Variante den ursprünglichen Erreger zunehmend verdrängt.

Die Welt hat zwar erleichtert zur Kenntnis genommen, dass die Impfstoffe auch vor diesen Varianten hervorragend schützen. Aber im Vergleich zum ursprünglichen Virus ist die Wirksamkeit dennoch etwas reduziert. Damit steigt möglicherweise das Risiko für schwere Verläufe und Tod trotz doppelter Impfung – insbesondere in den Risikogruppen.

Und noch ein Faktor könnte hinzukommen: Menschen, die sich beispielsweise mit der Delta-Variante infiziert haben, beherbergen in der Regel grössere Mengen an Viren im Rachen. Nicht nur die Wahrscheinlichkeit, andere anstecken, ist daher höher, sondern auch, dass diese schwer erkranken. Denn je grösser die Virenmenge ist, die jemand einatmet, desto wahrscheinlicher ist ein schwerer Verlauf. Es ist daher nicht auszuschliessen, dass auch aus diesem Grund Impfdurchbrüche häufiger vorkommen könnten.

Wen trifft ein Impfdurchbruch?

Wertvolle Informationen darüber, welche Gruppen besonders von Krankheitsdurchbrüchen betroffen sind, liefert eine aktuelle israelische Untersuchung. Dort sind bereits rund 60 Prozent der Bevölkerung zweifach mit BioNTech geimpft (Stand 21. Juli 2021).

Etwa 300 von ihnen sind dennoch so schwer an Covid-19 erkrankt, dass sie im Krankenhaus behandelt werden mussten. 152 Fälle davon hat eine Gruppe Wissenschaftler der Universitätsklinik in Ashdod ausgewertet. 38 von ihnen mussten beatmet werden, 34 starben. Angesichts von mehr als 5,1 Millionen vollständig geimpfter Israelis (Stand 21. Juli 2021) bei gleichzeitig weitgehenden Lockerungen, ist das bei aller Tragik eine sehr kleine Zahl. Allerdings mahnen diese Erkenntnisse zu einem weiterhin umsichtigen Verhalten.

Alte, Vorerkrankte – und Männer

Doch welche Menschen trafen diese schweren Impfdurchbrüche? Auch wenn einer der Betroffenen erst 22 Jahre alt war, waren die übrigen meist ältere Menschen. So lag das durchschnittliche Alter der Betroffenen bei 71 Jahren. Rund zwei Drittel von ihnen waren Männer.

Zudem litten 96 Prozent an Vorerkrankungen: Bluthochdruck, Diabetes, Herzschwäche, chronische Nieren- und Lungenerkrankungen, Demenz oder Krebs. Nur sechs der Patienten waren nicht vorerkrankt.

Ein schwaches Immunsystem ist auch für Geimpfte riskant

Besonders auffällig: Bei 40 Prozent der Patienten war das Immunsystem geschwächt. Ein Teil nahm Kortikosteroide ein, andere erhielten aufgrund einer Krebserkrankung eine Chemotherapie oder eine Antikörpertherapie (Anti-CD20). Wieder andere mussten aufgrund einer Organtransplantation immunschwächende Medikamente einnehmen, um eine Abstossungsreaktion zu vermeiden.

Die Studie beleuchtet damit einen wichtigen Faktor, den man bei der Betrachtung des Schutzeffektes berücksichtigen muss: Ebenso wie unter den Ungeimpften, sind auch unter den Geimpften drei Gruppen besonders gefährdet: Vorerkrankte, Alte und Immunschwache.

Doppelt geimpfte 80-Jährige so gefährdet wie ungeimpfte 50-Jährige

Der britische Statistiker David Spiegelhalter äusserte sich dazu in einem Gastbeitrag in der Onlineausgabe der britischen Zeitschrift The Guardian. Ihm zufolge habe ein über 80-jähriger doppelt Geimpfter ein ähnliches Sterberisiko wie ein ungeimpfter 50-jähriger Mensch.

Tatsächlich könnte der ohnehin schwächere Immunschutz der Älteren insbesondere gegenüber den Virusvarianten noch etwas weiter abfallen. In dem Fall sind ältere Menschen zusätzlich geschützt, wenn die Jüngeren um sie herum ebenfalls geimpft sind.

Noch kritischer könnte es für Menschen mit ausgeprägter Immunschwäche aussehen. Aus Sicherheitsgründen hatten sie nicht an den Zulassungsstudien teilgenommen. Inzwischen wird erwogen, ihnen eine dritte Immunisierung zu geben.

Masken können auch für Geimpfte sinnvoll bleiben

Fazit: Vollständige Immunisierungen senken das Risiko für Erkrankungen deutlich – aber sie sind nicht „unfehlbar“. Je mehr Menschen geimpft sind, desto besser ist jeder vor Impfdurchbrüchen geschützt – insbesondere auch die Gruppe der besonders Gefährdeten.

Spätestens in Zeiten mit hochansteckenden Varianten und hohen Inzidenzen – wie sie für den kommenden Herbst erwartet werden – kann zusätzlicher Schutz durch Abstandhalten und Masketragen weiterhin wichtig sein – nicht nur für Menschen mit erhöhtem Risiko.

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