Immunschwäche

Von , Medizinredakteurin und Biologin
Martina Feichter

Martina Feichter hat in Innsbruck Biologie mit Wahlfach Pharmazie studiert und sich dabei auch in die Welt der Heilpflanzen vertieft. Von dort war es nicht weit zu anderen medizinischen Themen, die sie bis heute fesseln. Sie ließ sich an der Axel Springer Akademie in Hamburg zur Journalistin ausbilden und arbeitet seit 2007 für NetDoktor (zwischenzeitlich als freie Autorin).

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Bei einer Immunschwäche (Immundefizienz, Immundefekt) arbeitet die Körperabwehr nicht optimal. Sie kann nur eingeschränkt oder gar nicht ihre Aufgaben erfüllen, also beispielsweise Krankheitserreger abwehren. Neben angeborenen (primären) Immundefekten gibt es auch erworbene (sekundäre) Formen von Immunschwäche. Lesen Sie hier mehr über die Ursachen für ein geschwächtes Immunsystem, welche Symptome bei Betroffenen auftreten und was sich gegen die Abwehrschwäche tun lässt!

Frau hält sich den Kopf

Kurzübersicht

  • Beschreibung: Die Funktionsfähigkeit des Immunsystems ist mehr oder weniger stark eingeschränkt, entweder nur vorübergehend oder aber dauerhaft.
  • Symptome bzw. Folgen: erhöhte Infektanfälligkeit, Infektionen oftmals schwerer verlaufend und langwieriger, Infektionen mit "ungewöhnlichen" Keimen, gestörte Immunregulation (mit wiederkehrendem Fieber, Hautveränderungen, chronischer Darmentzündung etc.), teilweise erhöhtes Krebsrisiko
  • Ursachen: Primäre (angeborene) Immundefekte sind genetisch bedingt. Sekundäre (erworbene) Immundefekte entstehen durch Unterernährung, eine Erkrankung (wie HIV-Infektion, Krebs, Autoimmunerkrankungen) oder eine medizinische Therapie (z.B. Einnahme von Immunsuppressiva, Strahlentherapie, operative Entfernung der Milz).
  • Diagnose: Erhebung der Krankengeschichte, körperliche Untersuchung, Blutuntersuchungen, immunologische und molekulargenetische Untersuchungen etc.
  • Behandlung: Je nach Art und Schwere der Immunschwäche. Bei primären Immundefekten etwa mittels Antikörper-Infusionen oder Stammzelltransplantation. Bei sekundärer Immunschwäche Behandlung von Grunderkrankungen.
  • Vorbeugende Massnahmen: Ratsam bei Immunschwäche sind etwa sorgfältige Händehygiene, Meiden von Patienten mit Infektionskrankheiten (wie Grippe), Meiden von Menschenansammlungen, ggf. vorbeugende Einnahme von Medikamenten gegen Infektionserreger (wie Antibiotika) und verschiedene Impfungen.

Was ist eine Immunschwäche?

Von einer Immunschwäche (Immundefizienz) sprechen Mediziner, wenn das Immunsystem in seiner Funktionsfähigkeit mehr oder weniger stark eingeschränkt ist – entweder vorübergehend oder dauerhaft. Es kann dann seine Aufgaben nicht mehr optimal erfüllen. Diese bestehen darin, Fremdkörper (wie Bakterien, Viren, Schadstoffe) zu bekämpfen und geschädigte oder krankhaft veränderte Zellen (wie Krebszellen) zu beseitigen.

Neben Immunschwäche und Immundefizienz stehen auch die Begriffe Immundefekt und Immunsuppression (Immundepression) für ein geschwächtes Immunsystem.

Teils wird "Immunsuppression" aber auch in einem engeren Sinne verwendet, nämlich nur für eine Immunschwäche, die durch therapeutische Massnahmen zustande kommt. So zielt zum Beispiel eine immunsuppressive Therapie nach einer Organtransplantation darauf ab, das Immunsystem des Patienten so weit zu unterdrücken, dass es das eingepflanzte Fremdorgan nicht abstösst. Mehr über die therapeutische Immunsuppression lesen Sie hier.

Neben medizinischen Therapien können auch diverse angeborene und erworbene Erkrankungen der Grund für eine Abwehrschwäche sein.

Wie äussert sie sich?

Art und Schweregrad einer Immunschwäche bestimmen, welche Symptome ein Patient hat und wie ausgeprägt diese sind.

In der Regel gehen Immundefekte mit einer erhöhten Infektneigung einher: Die Betroffenen sind anfälliger als Immungesunde für Infektionen mit Krankheitserregern. Sie leiden beispielsweise unter wiederkehrenden (rezidivierenden) Atemwegsinfekten.

Weil das geschwächte Immunsystem auch bereits eingedrungenen Erregern schlecht Paroli bieten kann, verlaufen die Infektionen oftmals schwerer und langwieriger als bei einer intakten Körperabwehr. Bei bakteriellen Infekten kann sich die notwendige Antibiotikatherapie daher sehr lange hinziehen.

Ein weiteres mögliches Anzeichen für ein geschwächtes Immunsystem sind Infektionen mit opportunistischen Erregern. Das sind Keime, die nur oder überwiegend bei Immunschwäche eine Infektion hervorrufen können. Ein gesundes Immunsystem dagegen ist imstande, sie in Schach zu halten.

Einer dieser opportunistischen Keime ist Candida albicans. Der Hefepilz kann unter anderem Scheidenpilz und Soor auslösen. Auch der Einzeller Cryptosporidium parvum – ein Durchfall-Erreger – tritt besonders dann in Erscheinung, wenn das Immunsystem geschwächt ist.

Bei vielen angeborenen (primären) Immundefekten ist auch eine gestörte Immunregulation ein wichtiges Symptom. Sie kann sich beispielsweise in wiederkehrendem Fieber, Autoimmunerkrankungen, ekzemartigen Hautveränderungen oder chronischer Darmentzündung (mit Blähbauch, wiederkehrenden Durchfällen etc.) manifestieren. Mehr dazu lesen Sie unten im Abschnitt "Wie wird eine Immunschwäche diagnostiziert?".

Eine gestörte Immunregulation ist manchmal das einzige Symptome eines primären Immundefekts – nicht immer besteht auch eine erhöhte Infektanfälligkeit.

Menschen mit einem Immundefekt haben teilweise auch ein erhöhtes Risiko für Krebs. So tritt beispielsweise bei kombinierten Immundefekten – angeborene Formen von Immunschwäche – häufiger Lymphdrüsenkrebs (Lymphome) auf. Auch HIV-Infizierte sind anfälliger für Krebs.

Im nächsten Abschnitt erfahren Sie mehr über das Beschwerdebild ausgewählter Immundefekte.

Welche Ursachen kann Immunschwäche haben?

Grundsätzlich unterscheiden Mediziner:

  • angeborene (primäre) Immunschwäche: Sie ist genetisch bedingt.
  • erworbene (sekundäre) Immunschwäche: Ihre Auslöser sind verschiedene Grunderkrankungen oder äussere Faktoren wie bestimmte Medikamente.

Angeborene (primäre) Immunschwäche

Primäre Immundefekte (PID) sind sehr selten. Sie beruhen auf einem Gendefekt. Dieser wird entweder von den Eltern geerbt oder entsteht spontan während der kindlichen Entwicklung im Mutterleib.

In beiden Fällen kommen die Betroffenen mit dem Immundefekt zur Welt: Elemente ihres Immunsystems fehlen oder sind in ihrer Funktion gestört.

Wann sich primäre Immundefekte zeigen

Primäre Immundefekte können prinzipiell in jedem Lebensalter in Erscheinung treten. Manchmal passiert das schon kurz nach der Geburt. Das ist etwa der Fall, wenn die angeborene (unspezifische) Immunabwehr vom Defekt betroffen ist.

Beruht eine primäre Immunschwäche dagegen in erster Linie auf einer gestörten Antikörperbildung durch B-Zellen (B-Lymphozyten), kommt dies erst etwas später zum Tragen: Nach der Geburt profitieren Babys einige Zeit vom "Nestschutz", also von den mütterlichen Antikörpern (Immunglobuline G), die während der Schwangerschaft auf das Kind übergingen. Sie schützen es in den ersten Lebensmonaten vor Infektionen, werden mit der Zeit aber abgebaut.

Dann übernehmen normalerweise Antikörper, die das kindliche Immunsystem selbst produziert, den Infektionsschutz. Bei manchen primären Immundefekten ist es dazu aber nicht in der Lage – die vorher verdeckte Immunschwäche macht sich nun bemerkbar.

Babys, die gestillt werden, bekommen auch über die Muttermilch mütterliche Antikörper – solche der Klasse Immunglobulin A. Diese üben ihre Schutzwirkung aber nur auf den Schleimhäuten des oberen Verdauungstraktes aus (die mit der Muttermilch in Kontakt kommt). Sie gelangen nicht ins kindliche Blut, sondern werden im Magen abgebaut.

Daneben gibt es primäre Immundefekte, die sich erst später im Leben manifestieren – teils auch erst im Erwachsenenalter.

Einteilung primärer Immundefekte

Heute kennen Mediziner mehr als 300 verschiedene primäre Immundefekte. Sie lassen sich in neun Gruppen einteilen (Klassifikation der International Union of Immunological Societies, IUIS):

1. Kombinierte B- und T-Zell-Defekte

Bei dieser Gruppe von angeborenen Immundefekten ist die Entwicklung oder Funktion sowohl der T-Lymphozyten (T-Zellen) als auch der B-Lymphozyten (B-Zellen) gestört.

Das ist beispielsweise beim Schweren kombinierten Immundefekt (SCID) der Fall. Unter diese Sammelbezeichnung fallen die schwersten Formen von Immunschwäche. Allen liegt ein Defekt der T-Zellen zugrunde. Zusätzlich fehlen bei vielen Formen auch die B-Zellen und/oder die Natürlichen Killerzellen (NK-Zellen).

Nach Verlust des "Nestschutzes" (siehe oben) erkranken die betroffenen Kinder wiederholt an Infektionen, die oft sehr schwer oder sogar tödlich verlaufen. Selbst Kinderkrankheiten wie Windpocken werden für diese Kinder schnell lebensbedrohlich.

2. Definierte Syndrome mit Immundefekt

Hierzu zählen angeborene Immundefekte im Rahmen komplexer genetischer Syndrome, die auch andere Organsysteme betreffen.

Ein Beispiel ist das DiGeorge-Syndrom: Das Immunsystem der betroffenen Kinder ist geschwächt, weil die Thymusdrüse unterentwickelt ist oder ganz fehlt. Dadurch mangelt es den Betroffenen an funktionstüchtigen T-Zellen. Wiederkehrende Virus-Infekte sind die Folge.

Ausserdem haben die Betroffenen unterentwickelte oder fehlende Nebenschilddrüsen. Auffälligkeiten im Gesicht sind ebenfalls typisch, etwa eine sichelförmige Hautfalte im inneren Augenwinkel (Epikanthus), eine kurze Nase und runde, breite Ohrmuscheln. Oft liegen auch eine Gaumenspalte und Herzfehler vor. Die Entwicklung der Kinder ist verzögert. Zudem liegt ein ausgeprägter Kalziummangel vor, der sich in epileptischen Anfällen und übererregbaren Muskeln (Tetanie) äussern kann.

Auch das Wiskott-Aldrich-Syndrom ist mit einer Immunschwäche verbunden. Zunächst aber fällt im Blutbild der Kinder ein angeborener Mangel an Blutplättchen (Thrombozyten) auf. Er ist der Grund, warum die Babys zu Blutungen neigen:

Schon kurz nach der Geburt treten punktförmige Blutungen (Petechien) in der Haut und an den Schleimhäuten auf. Später kommen oft Blutungen des Verdauungstraktes oder innerhalb des Schädels hinzu. Typisch für das Wiskott-Aldrich-Syndrom sind auch Ekzeme, die einer Neurodermitis ähneln und sich meist schon vor dem 6. Lebensmonat entwickeln.

Die Immunschwäche zeigt sich ab dem 2. Lebensjahr mit wiederkehrenden opportunistischen Infektionen. Diese können sich beispielsweise als Ohrenentzündung, Lungenentzündung oder Hirnhautentzündung manifestieren.

Zudem treten beim Wiskott-Aldrich-Syndrom gehäuft Autoimmunreaktionen auf, etwa im Sinne einer autoimmun bedingten Gefässentzündung (Vaskulitis). Auch das Krebsrisiko ist erhöht.

3. Defekte mit verminderter Antikörperproduktion

Die allermeisten angeborenen Immundefekte gehören in diese Gruppe. Hier steht ein Antikörpermangel im Vordergrund. Dabei kann die Bildung der Antikörper (Immunglobuline) durch die B-Lymphozyten an verschiedenen Stellen gestört sein. Auch das Ausmass der Störung variiert:

Manchmal kann der Körper nur eine bestimmte Antikörper-Klasse nicht produzieren. Bei anderen Immundefekten dieser Gruppe ist die Bildung mehrerer oder sogar aller Antikörperklassen beeinträchtigt. Beispiele für solche Immundefekte sind:

Selektiver IgA-Mangel: Das ist der häufigste angeborene Immundefekt. Den Betroffenen fehlen Antikörper vom Typ Immunglobulin A. Viele merken davon allerdings nichts. Andere neigen zu Infektionen der Atemwege, des Magen-Darm- und des Harntraktes. Zudem begünstigt das geschwächte Immunsystem Zöliakie-ähnliche Symptome, Allergien, Autoimmunerkrankungen und bösartige Tumoren.

Einigen Betroffenen mangelt es zusätzlichen an einzelnen oder mehreren Subklassen der Antikörperklasse Immunglobulin G. Sie sind dann noch häufiger von Infekten geplagt.

Allgemeiner variabler Immundefekt (CVID): Auch Variables Immundefektsyndrom genannt. Es handelt sich dabei um den zweithäufigsten Immundefekt. Die Blutspiegel von Immunglobulin G und Immunglobulin A sind hier erniedrigt und oft auch der von Immunglobulin M.

Bei den Betroffenen macht sich dies meist zwischen dem 10. und 20. Lebensjahr zum ersten Mal bemerkbar – in welcher Weise dies geschieht, variiert:

Möglich sind zum Beispiel wiederkehrende Infektionen der oberen und unteren Atemwege oder des Magen-Darm-Traktes, geschwollene Lymphknoten (Lymphadenopathie) und eine Vergrösserung der Milz (Splenomegalie). Betroffene entwickeln auch häufiger Autoimmunerkrankungen sowie Krebs (v.a. Lymphdrüsenkrebs).

Bruton-Syndrom (Bruton-Gitlin-Syndrom, X-chromosomale Agammaglobulinämie): Menschen mit diesem primären Immundefekt können gar keine Antikörper bilden, weil ihnen die B-Lymphozyten fehlen.

Der zugrundeliegende Gendefekt wird über das X-Chromosom vererbt. Deshalb sind im Wesentlichen nur Jungen davon betroffen. Diese haben nämlich nur ein X-Chromosom in ihren Körperzellen. Bei Mädchen sind es dagegen zwei, sodass es eine "Reserve" gibt, falls auf einem der X-Chromosomen ein Gendefekt vorliegt.

Die gestörte Antikörperbildung tritt etwa ab sechs Lebensmonaten in Erscheinung, sobald der Nestschutz schwindet. Die Kinder sind dann anfällig für schwere wiederkehrende Infekte, zum Beispiel in Form von Bronchitis, Nasennebenhöhlenentzündung, Lungenentzündung und "Blutvergiftung" (Sepsis).

Kinder ab dem zweiten Lebensjahr erkranken oft an chronischer Hirnhautentzündung (Meningitis), ausgelöst durch Echoviren.

4. Erkrankungen mit Störungen der Immunregulation

Hier liegen Gendefekte vor, die über unterschiedliche Mechanismen die komplexe Regulation von Immunreaktionen stören.

Ein Beispiel für solche primäre Immundefekte ist die Familiäre hämophagozytische Lymphohistiozytose (FHLH). Diese lebensbedrohliche Erkrankung, von der es verschiedene Formen gibt, manifestiert sich meist schon vor dem zweiten Lebensjahr.

Bei den betroffenen Säuglingen kommt es zu einer unkontrollierten schnellen Vermehrung (Proliferation) von aktivierten Lymphozyten und Makrophagen. Diese Immunzellen schütten grosse Mengen entzündungsfördernder Botenstoffe aus, sogenannte Zytokine. In der Folge bekommen die Kinder hohes Fieber. Leber und Milz vergrössern sich (Hepatosplenomegalie).

Die Spiegel von zwei oder allen drei Arten von Blutzellen – roten und weissen Blutkörperchen, Blutplättchen – fallen ab (Bizytopenie bzw. Panzytopenie). Der zunehmende Mangel an neutrophilen Granulozyten (eine Untergruppe der weissen Blutkörperchen) begünstigt schwere bakterielle Infekte sowie Pilz-Infektionen, die oftmals tödlich verlaufen.

Weitere mögliche Symptome sind geschwollene Lymphknoten, Gelbsucht (Ikterus), Gewebsschwellungen (Ödeme), Hautausschläge (Exantheme) und neurologische Anzeichen wie epileptische Anfälle.

Es gibt neben der familiären (genetisch bedingten) Krankheitsform auch eine erworbene (sekundäre) Form der hämophagozytischen Lymphohistiozytose. Ihr Auslöser kann beispielsweise eine Infektion sein.

5. Defekte der Anzahl und/oder Funktion der Phagozyten

Phagozyten sind Immunzellen, die eingedrungene Krankheitserreger in sich aufnehmen und unschädlich machen. Man nennt sie daher auch "Fresszellen". Unter anderem zählen verschiedene Leukozyten (Granulozyten und Monozyten) dazu.

Ein primärer Immundefekt, der den sauerstoffabhängigen Stoffwechsel der Phagozyten beeinträchtigt, ist die Septische Granulomatose. Sie ist der häufigste Phagozyten-Defekt.

Typische Symptome dieser erblichen Erkrankung sind wiederkehrende eitrige Infekte mit verschiedenen Bakterien sowie Hefepilzinfekte. Oft entwickeln sich auch chronische Infekte, die mit der Bildung abgekapselter Eiterherde (Abszesse) etwa an Haut und Knochen einhergehen.

6. Defekte der angeborenen Immunität (innate immunity)

Die angeborene Immunität stützt sich auf Mechanismen und Strukturen, die unspezifisch Krankheitserreger und andere Fremdstoffe abwehren. Es zählen dazu beispielsweise die Fresszellen (Phagozyten), verschiedene Eiweisse (wie Akute-Phase-Proteine) sowie die Haut und Schleimhäute (als Barrieren nach aussen).

Defekte dieser angeborenen Immunität ziehen ebenfalls eine Immunschwäche nach sich, so zum Beispiel bei der seltenen Erkrankung Epidermodysplasia verruciformis:

Hier ist eine chronische, nicht behandelbare (therapieresistente) Infektion mit Humanen Papillomviren die Folge der angeborenen Immunschwäche. Typische Symptome betreffen die Haut: Fast überall am Körper bilden sich Läsionen, die an Flachwarzen erinnern. Weitere Hautveränderungen wie rötliche Plaques kommen hinzu. Ausserdem haben die Betroffenen ein erhöhtes Risiko für Hautkrebs.

Mehr über Epidermodysplasia verruciformis lesen Sie im Beitrag Humane Papillomviren (HPV).

7. Autoinflammatorische Syndrome

Bei diesen Erkrankungen rufen überschiessende Immunreaktionen Entzündungsprozesse im Körper und wiederkehrende Fieberschübe hervor.

Dieser Krankheitsmechanismus liegt beispielsweise dem familiären Mittelmeerfieber zugrunde. Bei dieser seltenen Erkrankung liegen genetische Veränderungen (Mutationen) in jenem Gen vor, das den Bauplan für das Protein Pyrin enthält. Dieses ist wesentlich an der Regulation entzündungsfordernder Stoffe beteiligt.

Als Folge leiden die Betroffenen wiederholt an akutem Fieber, das nach ein bis drei Tagen von allein wieder abklingt. Hinzu gesellen sich Schmerzen, die durch die Entzündung seröser Häute wie Brust- oder Bauchfell entstehen (Schmerzen im Brustkorb, Bauchschmerzen, Gelenkschmerzen etc.). Manche Betroffene entwickeln auch einen Hautausschlag und/oder Muskelschmerzen.

8. Komplementdefekte

Diesen Formen von primärer Immunschwäche liegen Defekte im Komplementsystem zugrunde. Dabei handelt es sich um einen Abwehrmechanismus, der auf verschiedenen Eiweissen (Komplementfaktoren) basiert. Diese können beispielsweise Krankheitserreger "markieren", sodass sie von den Phagozyten (Fresszellen) leichter erkannt werden.

Genetische Defekte in den Bauplänen solcher Komplementfaktoren verursachen eine Immunschwäche, die sich unterschiedlich äussern kann. Beispielsweise kann sich das Immunsystem beim Faktor D-Defekt nur schwer gegen Bakterien der Gattung Neisseria wehren. Diese Erreger können unter anderem eine Hirnhautentzündung auslösen.

Bei einem C1r-Defekt dagegen entwickelt sich ein Krankheitsbild, das dem systemischen Lupus erythematodes ähnelt. Zudem neigen die Betroffenen zu Infektionen mit bekapselten Bakterien (wie Neisseria).

Mehr über das Komplementsystem erfahren Sie hier.

9. Phänokopien primärer Immundefekte

Um den Begriff Phänokopie zu verstehen, muss man zuerst wissen, was "Genotyp" und "Phänotyp" bedeuten. Der Genotyp ist die Kombination von Erbanlagen, auf denen ein Merkmal beruht. Die sichtbaren Eigenschaften dieses Merkmals nennt man Phänotyp.

Während der Schwangerschaft kann das Einwirken äusserer Faktoren im Zusammenspiel mit bestimmten Erbanlagen dazu führen, dass sich die Ausbildung eines Merkmals verändert – und zwar so, dass die äusserlichen Erscheinungen wie die eines anderen Genotyps aussehen. Das nennen Mediziner eine Phänokopie.

Solche Phänokopien gibt es auch bei primären Immundefekten. Einige davon stehen im Zusammenhang mit Autoantikörpern (= Antikörper, die körpereigenes Gewebe attackieren). So können beispielsweise Autoantikörper gegen den Komplementfaktor H ein atypisches hämolytisch-urämisches Syndrom (aHUS) auslösen. Der Ausfall von Faktor H aktiviert bei Betroffenen einen alternativen Weg im Komplementsystem. Es bilden sich Blutgerinnsel in kleinen Gefässen. Unbehandelt hat dies vor allem ein Nierenversagen zur Folge. Oft ist auch das zentrale Nervensystem beteiligt, was sich mit Krampfanfällen und neurologischen Ausfällen äussern kann.

Erworbene (sekundäre) Immunschwäche

Viel häufiger als ein primärer Immundefekt ist eine sekundäre Immunschwäche. Sie kann verschiedene Ursachen haben:

Medizinische Behandlungen

Mit immunsuppressiven Medikamenten lässt sich das Immunsystem gezielt schwächen. Das macht man etwa bei Autoimmunerkrankungen (z.B. Multiple Sklerose) oder nach einer Transplantation. Im ersten Fall will man damit das fehlgesteuerte Immunsystem unter Kontrolle bringen, im zweiten Fall eine Abstossung des eingepflanzten fremden Gewebes verhindern.

Krampflösende Mittel, die gegen epileptische Anfälle helfen (Antikonvulsiva), können ebenfalls das Immunsystem beeinträchtigen.

Die gleiche Nebenwirkung kennt man von Zytostatika. Mediziner verabreichen diese Wirkstoffe Krebspatienten als Chemotherapie. Auch eine Krebsbehandlung mittels Strahlentherapie kann der Grund für eine sekundäre Immundefizienz sein, wenn die Bestrahlung im Knochenmark die Bildung von Blutzellen und damit von wichtigen Immunzellen (weisse Blutkörperchen) beeinträchtigt.

Krebs

Verschiedene Krebserkrankungen können Elemente des Immunsystem betreffen, also die Körperabwehr auf direktem Wege schwächen.

Das ist zum Beispiel bei Leukämie der Fall. Hier vermehren sich unkontrolliert entartete weisse Blutkörperchen (Leukozyten). Der zunehmende Mangel an funktionstüchtigen Exemplaren verursacht eine Immunschwäche.

Bösartige Lymphome ("Lymphdrüsenkrebs") sowie das Plasmozytom beziehungsweise das Multiple Myelom gehen von bestimmten Typen von Leukozyten aus. Als Folge entwickelt sich auch hier eine Immunschwäche.

Infektionen

Verschiedene Krankheitserreger können das Immunsystem schwächen. Ein bekanntes Beispiel sind HI-Viren (HIV). Das Endstadium der nicht heilbaren, aber mit Medikamenten beherrschbaren HIV-Infektion ist die Erkrankung AIDS.

Auch Epstein-Barr-Viren (EBV) können für einen sekundären Immundefekt verantwortlich sein. Sie lösen das Pfeiffersche Drüsenfieber aus. Zudem sind sie an der Entstehung verschiedener Krebserkrankungen beteiligt. Dazu zählen etwa das Burkitt-Lymphom (ein Vertreter der Non-Hodgkin-Lymphome) und einige Morbus-Hodgkin-Erkrankungen.

Masernviren können ebenfalls für ein geschwächtes Immunsystem sorgen, und zwar auch noch einige Zeit nach überstandener Erkrankung. Grippeviren (Influenza-A- und -B-Viren) dämpfen ebenfalls vorübergehend die Schlagkraft der Körperabwehr.

Systemisch entzündliche Erkrankungen

Bei manchen Menschen ist die Immunschwäche auf die Autoimmunkrankheit Systemischer Lupus erythematodes (SLE) zurückzuführen. Bei dieser entzündlichen Bindegewebserkrankung greifen fehlgesteuerte Antikörper überall im Körper Gewebestrukturen an. Ist das blutbildende System betroffen, kann die Zahl der Leukozyten (Immunzellen!) und anderer Blutzellen sinken.

Eine sekundäre Immunschwäche ist auch bei anderen entzündlichen Autoimmunerkrankungen wie Rheumatoider Arthritis und Sarkoidose möglich.

Eiweiss-Verlust

Manchmal entwickeln Menschen eine Immundefizienz, weil es ihnen an Eiweiss (Protein) mangelt. Der Körper braucht die Bausteine der Eiweisse – die Aminosäuren – nämlich unter anderem für die Bildung von Immunzellen.

Bei verschiedenen Erkrankungen kann der Körper über gehäufte Durchfälle übermässig viel Eiweiss verlieren – mit resultierender Immunschwäche. Das kann zum Beispiel bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa), Zöliakie und Darmtuberkulose passieren.

Eine Immundefizienz durch grossen Eiweissverlust kann aber auch die Folge einer Nierenerkrankung sein, etwa einer Erkrankung der Nierenkörperchen (Glomerulopathie).

Über grossflächige Brandwunden kann ebenfalls viel Eiweiss verloren gehen, was unter anderem in eine Abwehrschwäche münden kann.

Weitere Ursachen für sekundäre Immundefekte

Unterernährung ist weltweit die häufigste Ursache für eine erworbene Immunschwäche. Für starke Abwehrkräfte braucht der Körper nämlich unter anderem ausreichend Eiweiss, Vitamine und Mineralstoffe (z.B. Kupfer, Zink).

Bei manchen Betroffenen ist eine Asplenie der Grund für ein geschwächtes Immunsystem. Mit diesem Begriff bezeichnen Mediziner das Fehlen einer funktionsfähigen Milz: Entweder das Organ fehlt von Geburt an beziehungsweise wurde operativ entfernt (anatomische Asplenie) oder die Milzfunktion ist krankheitsbedingt ausgefallen, zum Beispiel bei Sichelzellanämie.

In jedem Fall sind die Betroffenen anfällig für schwere Infektionen, die sogar lebensbedrohlich verlaufen können. Die Milz ist nämlich ein wichtiger Teil des Immunsystems.

Weitere mögliche Ursachen für sekundäre Immundefizienz sind etwa:

  • Alkoholembryopathie (Fetales Alkoholsyndrom, FAS): vorgeburtliche Schädigung eines Kindes durch mütterlichen Alkoholkonsum in der Schwangerschaft
  • Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus)
  • Lebererkrankungen

Wie wird eine Immunschwäche diagnostiziert?

Der Verdacht auf eine Immundefizienz kann sich beispielsweise ergeben, wenn jemand auffallend häufig Infekte hat, diese oft kompliziert verlaufen und nur langsam ausheilen. Nähere Informationen zur Krankheitsgeschichte (Anamnese) helfen dem Arzt, der Ursache auf den Grund zu gehen.

Wichtig ist zum Beispiel, wie oft und welche Infektionen jemand in der letzten Zeit hatte und wie diese verlaufen sind. Auch Angaben zu Autoimmunerkrankungen sowie Auffälligkeiten in der gründlichen körperlichen Untersuchung (wie Hautausschläge oder eine tastbar vergrösserte Milz) können für den Mediziner aufschlussreich sein.

Warnzeichen für primäre Immundefekte

Wenn bei einem Patienten bestimmte Parameter gegeben sind, vermuten Ärzte einen primären Immundefekt. Diese Warnzeichen bei Kindern beziehungsweise Erwachsenen sind:

Kinder

Erwachsene

krankhafte Infektionsanfälligkeit (ELVIS - siehe unten)

gestörte Immunregulation (GARFIELD - siehe unten)

Gedeihstörung

Gewichtsverlust, meist mit Durchfall

auffällige Familienanamnese (z.B. Immundefekte, krankhafte Infektanfälligkeit, Lymphome bei engen Blutsverwandten)

Mangel an Antikörpern (Hypogammaglobulinämie), Mangel an neutrophilen Granulozyten (Neutropenie), Mangel an Blutplättchen (Thrombozytopenie)

genetischer Hinweis auf einen primären Immundefekt oder ein positives Neugeborenen-Screening auf primäre Immundefekte

ELVIS

Die ELVIS-Parameter sprechen für eine krankhafte Infektanfälligkeit aufgrund eines primären Immundefekts:

E für Erreger: Infektionen mit opportunistischen Erregern (z.B. Lungenentzündung durch Pneumocystis jirovecii) weisen auf ein geschwächtes Immunsystem hin. Das Gleiche gilt für wiederkehrende schwere Infekte mit "gewöhnlichen" Erregern (wie Pneumokokken).

L für Lokalisation: Infektionen in verschiedenen oder wechselnden Körperregionen (polytope Infektionen) können Anzeichen einer systemischen Abwehrschwäche sein. Das ist auch der Fall, wenn Patienten Infektionen in ungewöhnlichen (atypischen) Bereichen entwickeln, zum Beispiel einen abgekapselten Eiterherd im Gehirn (Hirnabszess) durch Schimmelpilze der Gattung Aspergillus.

V für Verlauf: Infektionen, die ungewöhnlich lang andauern (protrahierter Verlauf) oder nur unzureichend auf Antibiotika ansprechen (bei bakterieller Ursache), sind ebenfalls ein möglicher Hinweis auf eine krankhafte Immunschwäche.

Verdächtig ist es auch, wenn die abgeschwächten Erreger eines Lebendimpfstoffes (z.B. MMR-Impfung) eine Erkrankung auslösen und diese mit Komplikationen verläuft.

I für Intensität: Schwerwiegende Infektionen (sogenannte "Major-Infektionen") sind besonders häufig bei einer primären Immunschwäche. Es zählen dazu Entzündungen der Lunge, der Hirnhäute und des Knochenmarks, "Blutvergiftung" (Sepsis) sowie invasive Abszesse (abgekapselte Eiterherde) von sogenannten "Minor-Infektionen" wie Mittelohrentzündung, Nasennebenhöhlenentzündung und Bronchitis.

Auch solche "Minor-Infektionen" können – wenn sie hartnäckig verlaufen oder immer wiederkehren – auf einen primären Immundefekt hinweisen.

S für Summe: Wenn jemand sehr oft eine Infektion hat, ergibt sich ebenfalls der Verdacht auf ein geschwächtes und damit besonders krankheitsanfälliges Immunsystem.

Allerdings lässt sich nur schwer sagen, wie viele Infektionen noch normal sind und ab welcher Anzahl von einer krankhaften Infektanfälligkeit auszugehen ist. Die Häufigkeit von Infekten hängt nämlich von vielen Faktoren ab. Bei kleinen Kindern spielt es etwa eine Rolle, wie gross die Familie ist, in der sie leben, und ob sie eine Kindertagesstätte besuchen.

GARFIELD

Das Akronym GARFIELD fasst Parameter zusammen, die typisch für eine gestörte Immunregulation sind – ein weiteres Leitsymptom von primären Immundefekten:

G für Granulome: Erste Manifestation eines primären Immundefekts können kleinherdige Gewebeknötchen (Granulome) sein, die nicht mit dem Untergang von Gewebe (Nekrose) einhergehen und aus bestimmten Zellen (Epitheloidzellen) bestehen. Sie bilden sich besonders in der Lunge, in lymphatischem Gewebe, im Darm und in der Haut.

A für Autoimmunität: Die gestörte Immunregulation bei primären Immundefekten kann sich auch in Autoimmunreaktionen niederschlagen, also in Angriffen des Immunsystems gegen körpereigenes Gewebe.

Sehr oft werden Blutzellen attackiert, wodurch sich deren Anzahl deutlich vermindert (Autoimmunzytopenie). Auch die Schilddrüse ist ein häufiges Angriffsziel eines fehlgeleiteten Immunsystems (Autoimmunthyreoiditis oder Hashimoto-Thyreoiditis).

Weitere Beispiele für autoimmun bedingte Folgen eines Immundefekts sind rheumatoide Arthritis, Vaskulitis, Leberentzündung (Hepatitis), Zöliakie, Haarausfall (Alopezie), Weissfleckenkrankheit (Vitiligo), Typ-1-Diabetes und Morbus Addison.

R und F für rezidivierendes Fieber: Auch ein wiederkehrendes Fieber, für das es keine Infektion als Erklärung gibt, kann eine gestörte Immunregulation anzeigen.

E für ekzematöse Hauterkrankungen: Bei vielen primären Immundefekten finden sich ekzemartige Hautveränderungen. Diese treten oft schon früh (bald nach der Geburt) auf und lassen sich nur schwer behandeln.

L für Lymphoproliferation: Der Begriff steht für die krankhafte Vergrösserung von Milz, Leber und Lymphknoten beziehungsweise die Entstehung von tertiärem lymphatischem Gewebe vor allem in Lunge und Verdauungstrakt. Als tertiär wird lymphatisches Gewebe bezeichnet, wenn es neu in der Nähe von Entzündungen entsteht.

D für chronische Darmentzündung: Manchmal treten angeborene Immundefekte als Erstes mit einer chronischen Darmentzündung in Erscheinung. Besonders bei einem chronischer Durchfall, der früh im Leben auftritt und/oder sich kaum behandeln lässt, kommt eine Immundefizienz als Ursache in Betracht.

Blutuntersuchungen

Zur Abklärung eines möglichen Immundefekts schauen sich Mediziner immer auch das Blutbild der Patienten an. Besonders aufschlussreich ist die Aufschlüsselung der verschiedenen Untergruppen von Leukozyten im Differenzialblutbild (dieses ergibt zusammen mit dem kleinen Blutbild das grosse Blutbild). Auf einen Immundefekt können auffällige Befunde hindeuten, zum Beispiel ein Mangel an Lymphozyten oder an neutrophilen Granulozyten.

Mittels Blutausstrich lassen sich die verschiedenen Leukozyten-Gruppen und andere Blutzellen unter dem Mikroskop begutachten. Dazu wird ein Tropfen Blut auf einem Glasplättchen (Objektträger) dünn ausgestrichen.

Dann schaut sich ein Fachmann die Blutzellen unter dem Mikroskop genauer an. Manche Immundefekte sind mit typischen Veränderungen der Blutzellen verbunden. Beispielsweise finden sich beim angeborenen Immundefekt Chediak-Higashi-Syndrom grosse Körnchen (Riesengranula) im Inneren der neutrophilen Granulozyten.

Mithilfe der Serum-Elektrophorese lässt sich die Eiweisszusammensetzung im Blutserum analysieren. Dabei werden die im Serum enthaltenen Eiweissstoffe, zu denen auch die Antikörper (Immunglobuline) gehören, nach ihrer Grösse und elektrischen Ladung in verschiedene Fraktionen aufgeteilt und gemessen. Das hilft etwa bei Verdacht auf einen Immundefekt, der mit einem Antikörpermangel einhergeht.

Die Serum-Elektrophorese kann Antikörper aber nur insgesamt bestimmen – ohne Differenzierung zwischen den verschiedenen Antikörper-Klassen. Dafür ist eine direkte Immunglobulin-Bestimmung nötig (siehe nächster Abschnitt).

Immunologische Untersuchungen

Die Bestimmung der Antikörper im Blut (IgM, IgG, IgA, IgE) ist ein weiterer wichtiger Schritt bei der Abklärung von Immundefekten. Damit können Mediziner herausfinden, ob bei einem Patienten eine oder mehrere Antikörper-Klassen unterrepräsentiert sind oder komplett fehlen.

Manchmal sind auch spezielle immunologische Untersuchungen angezeigt. Beispielsweise kann man die verschiedenen Subklassen der IgG-Antikörper messen. Oder man bestimmt die Impfantikörper, um mehr über die Funktionsfähigkeit vieler Elemente des Immunsystems zu erfahren. Funktionstests an Phagozyten ("Fresszellen") sind ebenfalls möglich.

Molekulargenetische Untersuchungen

Bei angeborenen (primären) Immundefekten sind in manchen Fällen auch molekulargenetische Untersuchungen notwendig. Die Diagnose kann sich aber nicht allein auf solche Gentests stützen, und zwar aus zwei Gründen:

Zum einen kann sich ein und derselbe Gendefekt mit ganz unterschiedlichen Symptomen äussern. Es besteht also keine strikte Korrelation zwischen Gendefekt und symptomatischem Erscheinungsbild. Zum anderen können ähnliche symptomatische Erscheinungsbilder auf Defekten in unterschiedlichen Genen beruhen.

Mediziner interpretieren die Ergebnisse molekulargenetischer Untersuchungen daher immer nur im Zusammenhang mit weiteren Befunden (z.B. immunologischen Untersuchungen).

Molekulargenetische Untersuchungen können eventuell auch bei nahen Angehörigen von Patienten mit primären Immundefekten sinnvoll sein.

Weitere Untersuchungen

Je nach Einzelfall führen Mediziner oft noch weitere Untersuchungen durch. Das kann zum Beispiel ein HIV-Test sein, um eine HIV-Infektion als Ursache für eine erworbene Immunschwäche festzustellen oder auszuschliessen. Oder sie messen die Eiweissausscheidung im Urin, falls ein gesteigerter Eiweissverlust das Immunsystem schwächt.

Wie kann man eine Immunschwäche behandeln?

Ob und wie Mediziner eine Immunschwäche behandeln, hängt in erster Linie von ihrer Ursache und ihrem Schweregrad ab.

Behandlung primärer Immundefekte

Primäre Immundefekte sind in den meisten Fällen nicht heilbar. Eine frühzeitige und passende Behandlung kann aber die Lebensqualität der Betroffenen verbessern – und manchmal sogar lebensrettend sein!

Die meisten primären Immundefekte beruhen auf einem Mangel an Antikörpern. Zum Ausgleich sind viele Betroffene lebenslang auf eine Immunglobulin-Ersatztherapie angewiesen: Sie erhalten regelmässig fertige Antikörper, entweder als Infusion direkt in eine Vene oder als Infusion oder Injektion (Spritze) unter die Haut.

In schweren Fällen von primärer Immunschwäche kann eine Stammzelltransplantation eine Behandlungsoption darstellen. Die Patienten bekommen über einen Venenzugang blutbildende Stammzellen eines geeigneten Spenders verabreicht. Aus diesen gehen dann neue Blutzellen hervor, darunter auch gesunde Immunzellen (weisse Blutkörperchen). Mehr über die Übertragung von Blutstammzellen erfahren Sie hier.

Eine Heilung schwerer primärer Immundefekte erhoffen sich Forscher mittels Gentherapie. Im Prinzip geht es hier darum, defekte Gene durch funktionsfähige Gene zu ersetzen. Das ist aber grösstenteils noch Gegenstand der Forschung.

Allerdings ist für bestimmte Fälle von schwerem kombiniertem Immundefekt (SCID) in einigen Ländern schon eine Gentherapie verfügbar – nämlich für Patienten, bei denen der Immundefekt auf einer Veränderung (Mutation) in jenem Gen beruht, das den Bauplan für das Enzym ADA (Adenosin-Desaminase) enthält. Durch den Gendefekt mangelt es den Betroffenen an diesem Enzym, was die Bildung von Lymphozyten beeinträchtigt. Daraus resultiert eine schwere, lebensbedrohliche Immunschwäche.

Diese versucht man in der Regel, mit einer Transplantation von Blutstammzellen entgegenzuwirken. Ist eine solche Behandlung aber nicht möglich, kommt die Gabe eines Gentherapeutikums in Betracht. Es wird für jeden Patienten individuell hergestellt, und zwar aus Zellen, die man zuvor seinem Knochenmark entnimmt. Im Labor setzen Wissenschaftler diesen Zellen mittels Gentherapie ein funktionierendes ADA-Gen ein.

Anschliessend werden die genetisch veränderten Zellen als Infusion wieder in den Körper des Patienten geleitet. Im Knochenmark angelangt produzieren sie normale Lymphozyten und damit gesunde Immunzellen.

Das Gentherapeutikum zur Behandlung von ADA-SCID ist in der EU zugelassen, aber (bislang) nicht in der Schweiz.

Behandlung sekundärer Immundefekte

Steckt hinter einem Immundefekt eine Erkrankung als Ursache, gilt es, diese angemessen zu behandeln.

Nicht immer ist dabei allerdings eine Heilung möglich, so etwa bei einer HIV-Infektion. Betroffene sollten aber frühzeitig und dauerhaft Medikamente einnehmen, welche die Aids-Erreger in Schach halten. Damit lässt sich das Fortschreiten der erworbenen Immunschwäche verhindern und die Körperabwehr sogar wieder stärken. Mehr über die HIV-Therapie lesen Sie hier.

Auch bei anderen chronischen Erkrankungen, die das Immunsystem belasten (systemischer Lupus erythematodes, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen etc.), ist eine dauerhafte Behandlung wichtig.

Andere Erkrankungen, die mit einem geschwächten Immunsystem einhergehen, sind dagegen nur vorübergehend und heilen zum Teil sogar von allein aus (ggf. unterstützt durch symptomatische Massnahmen). Das ist etwa bei Masern und Grippe der Fall.

Eine therapiebedingte Immunschwäche klingt nach dem Ende der Behandlung (z.B. Chemotherapie) normalerweise ab. Manche Menschen sind aber lebenslang auf eine immunsuppressive Therapie angewiesen, so zum Beispiel nach einer Transplantation. Der behandelnde Arzt gibt Betroffenen Ratschläge, wie sie den Folgen der Abwehrschwäche wie einem erhöhten Infektionsrisiko begegnen sollten (siehe unten).

Vorbeugende Massnahmen bei Immunschwäche

Manchmal verschreiben Mediziner bei einem Immundefekt vorbeugend Medikamente gegen Infektionen, wie sie auch zur Behandlung solcher Infekte eingesetzt werden: Antibiotika (gegen bakterielle Infekte), Antimykotika (gegen Pilz-Infektionen), Virostatika (gegen Virus-Infektionen).

Um das Ansteckungsrisiko zu verringern, sollten Menschen mit einem geschwächten Immunsystem Menschenansammlungen möglichst meiden (z.B. volle U-Bahnen). Ausserdem sollten sie sich, wenn möglich, von ansteckenden Patienten fernhalten (z.B. Kinder mit Masern oder Grippekranke).

Sinnvoll ist es bei einem Immundefekt auch, auf eine angemessene Hygiene zu achten. Dazu gehört zum Beispiel regelmässiges Händewaschen. Besonders wichtig ist das etwa nach dem Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel.

Ebenfalls sehr ratsam bei einer Immunschwäche sind Impfungen. Denn viele Infektionen können bei geschwächter Abwehr schnell gefährlich werden. Manche Impfungen sind bei Immunschwäche aber kritisch beziehungsweise strikt verboten. Mehr dazu und welche Besonderheiten beim Impfen unter Immundefizienz noch zu beachten sind, erfahren Sie im Beitrag Immunsuppression und Impfung.

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Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autor:

Martina Feichter hat in Innsbruck Biologie mit Wahlfach Pharmazie studiert und sich dabei auch in die Welt der Heilpflanzen vertieft. Von dort war es nicht weit zu anderen medizinischen Themen, die sie bis heute fesseln. Sie ließ sich an der Axel Springer Akademie in Hamburg zur Journalistin ausbilden und arbeitet seit 2007 für NetDoktor (zwischenzeitlich als freie Autorin).

ICD-Codes:
D82D83D89D81B21D84B20D80D90B23B22B24
ICD-Codes sind international gültige Verschlüsselungen für medizinische Diagnosen. Sie finden sich z.B. in Arztbriefen oder auf Arbeitsunfähigkeits­bescheinigungen.
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