Gehirn wird durch Magnetimpulse stimuliert

Depressionen: Magnetimpulse normalisieren Hirnaktivität

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Depressionen sind mit Medikamenten und Psychotherapie meist gut behandelbar. Doch bei manchen schwer erkrankten Menschen versagen diese Therapieoptionen. Dann kann häufig die Transkranielle Magnetstimulation (TMS, TKM) schnell und effektiv helfen.

Dabei werden die Hirnfunktionen mittels magnetischer Impulse über die Kopfhaut beeinflusst. Was dabei genau passiert und wie und warum die Methode wirkt, war bislang nicht vollständig geklärt.

Mit TMS gegen schwer behandelbare Depressionen

Forschende gehen davon aus, dass eine schwere depressive Störung durch eine gestörte Kommunikation der hirnweiten Netzwerke verursacht wird. "Die führende Hypothese war, dass eine TMS den Fluss der neuronalen Aktivität im Gehirn verändern könnte", sagt Dr. Anish Mitra von der University of Stanford. Ob das tatsächlich der Fall ist, und was dabei genau passiert, hat der Neurologe in einem Experiment untersucht.

Das Stanford-Team rekrutierte dazu 33 Personen mit behandlungsresistenten schweren Depressionen. Dreiundzwanzig von ihnen erhielten eine Magnetresonanz-Behandlung, zehn eine Scheinbehandlung ohne magnetische Stimulation. Anschliessend verglichen die Forschenden die gewonnenen Daten mit denen von 85 psychisch gesunden Kontrollpersonen.

Signalfluss in die falsche Richtung

Bei der Analyse der Hirnaktivitäten fiel den Forschenden eine Besonderheit auf: Die Signalflüsse im Gehirn waren bei Depressionen verändert.

In normal arbeitenden Gehirnen sendete die sogenannte anteriore Insula - eine Region, die Körperempfindungen verarbeitet - Signale an eine Region, die Emotionen steuert: den anterioren cingulären Kortex.

"Diese Hirnregion empfängt Informationen über den Körper - wie Herzfrequenz oder Temperatur. Auf der Grundlage dieser Signale bestimmt sie, wie die Person sich fühlt", so Mitra.

Bei drei Vierteln der Teilnehmer mit Depressionen verlief der Informationsfluss jedoch in die umgekehrte Richtung: Der anteriore cinguläre Kortex sandte Signale an die anteriore Insula. Je schwerer die Depression war, desto höher war der Anteil der Signale, die in die falsche Richtung liefen.

Wahrnehmung durch einen depressiven Filter

Der cinguläre Kortex wirkte dann offenbar wie ein Filter: „Es ist fast so, als hätte die Person bereits entschieden, wie sie sich fühlt. Dann würde alles, was sie spürt, dadurch gefiltert“, sagte Mitra.

In dem Fall würde die Stimmung die Wahrnehmung dominieren. Das könnte auch ein typisches, belastendes Symptom von Menschen mit Depressionen erklären: Dinge, die ihnen normalerweise viel Freude bereiten, werden ihnen plötzlich gleichgültig.

Zehn Sitzungen in fünf Tagen

Zur Behandlung setzten die Forschenden eine weiterentwickelte Version der TMS ein, die Stanford-Neuromodulationstherapie (SNT). Dabei werden die hochdosierter Magnetimpulse über moderne Bildgebungstechnologie gesteuert. Mit der SNT ist es möglich, die Behandlung individuell an jeden Patienten anzupassen.

Die Geräte ermöglichten es zudem, die Richtung der Signalflüsse im Gehirn zu bestimmen und so die Abweichungen überhaupt aufzudecken.

Normalisierter Fluss der neuronalen Aktivität

Bei depressiven Patienten, die mit SNT behandelt wurden, veränderte sich der Fluss der neuronalen Aktivität innerhalb einer Woche wieder in die normale Richtung. Gleichzeitig verschwanden die depressiven Symptome. Besonders stark profitierten davon Patientinnen und Patienten, die am schwersten unter Depressionen litten.

"Wir waren in der Lage, die Anomalie zu korrigieren, so dass die Gehirne der Menschen wieder wie die von gesunden Kontrollpersonen funktionierten", sagt Studienleiter Nolan Williams, Professor für Psychiatrie und Verhaltenswissenschaften an der Stanford University. Allerdings muss das Verfahren noch an einer grösseren Patientengruppe überprüft werden.

Nicht jeder Betroffene profitiert

Zudem wird längst nicht jede depressive Person auf die SNT ansprechen. Denn insbesondere bei weniger schweren Depressionen verläuft der Fluss der neuronalen Aktivität ohnehin in die richtige Richtung. Bei einer Untersuchung der Hirnaktivität könnte man jedoch vorab feststellen, für welche Patienten eine entsprechende Behandlung vielversprechend wäre.

Bislang wird die SNT in Europa nur in Bologna (Italien) angeboten. Im Vergleich zur herkömmlichen TMS, die tägliche Sitzungen über mehrere Wochen oder Monate erfordert, arbeitet die SNT mit einem beschleunigten Zeitplan von zehn Sitzungen pro Tag über nur fünf Tage.

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Quellen:
  • Anish Mitra, Marcus E. Raichle et al: Targeted neurostimulation reverses a spatiotemporal biomarker of treatment-resistant depression, PNAS, 15. Mai 2023, https://doi.org/10.1073/pnas.2218958120
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