Frau wandert in den Bergen

Bewegung schützt das Herz – aber wie?

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Alle NetDoktor.ch-Inhalte werden von medizinischen Fachjournalisten überprüft.

Dass körperliche Aktivität das Herz schützt, weiss man schon lange: Bewegung wirkt Risikofaktoren entgegen wie Übergewicht, Bluthochdruck oder der Bildung von Plaque-Ablagerungen an den Gefässwänden – die sogenannte Arteriosklerose.

Damit liessen sich aber nur rund 60 Prozent des positiven Effekts von körperlicher Aktivität auf die Reduktion von Herz-Kreislauf-Erkrankungen erklären, schreibt ein Team der Harvard Medical School in Boston. „Daher sind hier möglicherweise weitere Mechanismen im Spiel“, erklärt Leiter Dr. Ahmed Tawakol.

Körperliche Aktivität reduziert die Stressreaktionen im Gehirn

Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen hat er einen weiteren Mechanismus identifiziert und untersucht: Körperliche Aktivität reduziert die stressbedingte Gehirnaktivität. Und genau davon scheinen Herz und Gefässe erheblich zu profitieren.

„Stress wird von einem Netzwerk verschiedener Gehirnregionen verarbeitet“, erklärt der Erstautor der Studie auf Nachfrage von NetDoktor. Eine Schlüsselrolle spiele dabei die Amygdala – zu Deutsch: der Mandelkern.

Wenn der Mandelkern gestresst reagiert

Zwei Mandelkerne gibt es: Je einer sitzt im vorderen Teil der beiden Temporallappen. Ihre Aufgabe ist es, Sinneseindrücke emotional zu bewerten und besonders eindrückliche Erfahrungen im Gedächtnis zu speichern. Das ermöglicht unter anderem schnelle Reaktionen auf Gefahrensituationen. Dazu beeinflusst die Amygdala auch Herzschlag und Atmung.

Ein wichtiger Gegenspieler ist der präfrontale Kortex, der an der Entscheidungsfindung und Impulskontrolle beteiligt ist: „Er beruhigt und kontrolliert die Amygdala und ihre negativen Signale“, sagt Tawakol.

Mehr Bewegung bedeutet weniger Stress im Hirn

Tatsächlich stellten der Wissenschaftler und sein Team fest, dass bei Personen, die sich mehr bewegten, die stressbedingte Hirnaktivität tendenziell geringer war. Diese lässt sich mithilfe eines sogenannten PET-Scans feststellen, der die Aktivität der verschiedenen Hirnregionen erfasst.

Solche Scans zeigten auch, dass dieser Effekt vornehmlich auf eine verbesserte Funktion des präfrontalen Kortex zurückzuführen war. „Darüber hinaus kann körperliche Betätigung die Aktivität der Amygdala auch direkt verringern. Allerdings scheint die Wirkung auf den Kortex grösser zu sein“, erklärt Tawakol gegenüber NetDoktor.

150 Minuten Sport pro Woche

Seine Forschungsgruppe hatte Daten von mehr als 50.0000 Teilnehmenden ausgewertet. Diese hatten Angaben zu ihrer körperlichen Aktivität und anderen gesundheitsrelevanten Faktoren gemacht.

Als Massstab für ausreichende körperliche Aktivität dienten die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO. Diese liegen bei mindestens 150 Minuten moderater sportlicher Aktivität pro Woche oder 75 Minuten intensiven Trainings.

Anschliessend wurde die gesundheitliche Entwicklung der Teilnehmenden über einen Zeitraum von durchschnittlich zehn Jahren begleitet. 774 von ihnen hatten sich zusätzlich einem PET-Scan unterzogen.

Das Ergebnis: Rund 13 Prozent aller Teilnehmenden entwickelten in dieser Zeit eine Herz-Kreislauf-Erkrankung. Für Personen, die die Empfehlungen der WHO für körperliche Aktivität erfüllten, war das Risiko um 23 Prozent geringerer.

Menschen mit Depressionen profitieren doppelt

Am eindrucksvollsten profitierten Personen, die unter Depressionen litten, von Bewegung: „Körperliche Aktivität senkte das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Menschen mit Depressionen etwa doppelt so effektiv“, sagt Tawakol. Die psychische Erkrankung geht mit einer höheren stressbedingten Hirnaktivität einher. „Das könnte die Ergebnisse erklären“, so der Wissenschaftler.

Die Beobachtung ist umso bedeutsamer, als Menschen mit Depressionen ohnehin besonders häufig Herz-Kreislauf-Erkrankungen entwickeln – und umgekehrt. Dazu trägt sicher auch bei, dass eine Depression sich negativ auf den Lebensstil auswirkt: Den Betroffenen fehlt die Energie dafür, sich gesund zu ernähren und zu bewegen, ihre sozialen Kontakte zu pflegen, und sie trinken häufig verstärkt Alkohol.

Dass Sport bei ihnen ein so mächtiger Hebel zum Herzschutz ist, ist eine wichtige Botschaft. Ohnehin weiss man, dass körperliche Aktivität auch eine direkte antidepressive Wirkung entfaltet. Denkbar wäre, dass auch hier der Einfluss der Bewegung auf die Stressreaktionen im Gehirn eine zentrale Rolle spielt.

Welche Rolle spielt aktiviertes Knochenmark?

Die genauen Mechanismen, über die Sport die Herz-Kreislauf-Gesundheit beeinflusst, hat Tawakol bereits in einer früheren Studie untersucht. Damals fand das Team heraus, dass eine erhöhte Amygdala-Aktivität mit einer erhöhten Stoffwechselaktivität des Knochenmarks und der Arterien einhergeht.

Tawakol stellte damals die Hypothese auf, dass die Amygdala bislang noch unbekannte Signale ans Knochenmark sendet, das daraufhin die Produktion weisser Blutkörperchen hochfahren könnte. Und diese könnten wiederum eine Entzündungsreaktion in den Arterien anstossen und so atherosklerotische Gefässveränderungen begünstigen.

Noch sind diese Mechanismen aber nicht belegt. Dazu seien weitere Studien nötig, die Zusammenhänge nachweisen, betonen die Forschenden.

Autoren- & Quelleninformationen

Jetzt einblenden
Datum :
Autor:

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Quellen:
  • Tawakol, A. et al.: Relation between resting amygdalar activity and cardiovascular events: a longitudinal and cohort study, in: Lancet 11.01.2017
  • Zureigat, H. et al.: Effect of Stress-Related Neural Pathways on the Cardiovascular Benefit of Physical Activity, in: Journal of the American College of Cardiology, 23.04.2024
Teilen Sie Ihre Meinung mit uns
Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie NetDoktor einem Freund oder Kollegen empfehlen?
Mit einem Klick beantworten
  • 0
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
  • 6
  • 7
  • 8
  • 9
  • 10
0 - sehr unwahrscheinlich
10 - sehr wahrscheinlich