Verjüngungskur für Blutgefäße?
Mit dem Alter verändern sich die Blutgefässe: Sie werden steifer und können weniger gut auf Blutdruckänderungen reagieren. Zudem lagern sich Plaques aus Cholesterin, Kalzium und anderen Stoffen in ihnen ab und verengen sie. Diese Gefässverkalkung (Arteriosklerose) erhöht das Risiko für Gefässverschlüsse wie Herzinfarkt und Schlaganfall.
Nahrungsergänzungsmittel wie Fischölkapseln oder Vitamin C und E, die vor solchen Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützen sollen, haben weitgehend enttäuscht. Forscher um Matthew Rossman von der University of Colorado Boulder haben nun aber eine chemisch veränderte Form des natürlich im Körper vorkommendem Coenzyms Q10 getestet, das von den Körperzellen zur Energiegewinnung benötig wird. Dieses sogenannte MitQ soll die Gefässe älterer Menschen um bis zu 20 Jahre verjüngen können.
Nahrungsergänzungsmittel für die Zellkraftwerke
Für das Experiment rekrutierten die Forscher 20 gesunde Männer zwischen 60 und 79 Jahren. Die Hälfte der Teilnehmer nahm täglich 20 Milligramm des Wirkstoffs ein, die andere Hälfte erhielt ein wirkstofffreies Placebo. Nach einer Auswaschphase von zwei Wochen ohne Medikamente erhielten die vormaligen Placebo-Anwender den Wirkstoff und umgekehrt. Die Studie wurde doppeltblind durchgeführt – das heisst, weder die Forscher noch die Patienten wussten, wer welches Präparat erhielt.
Gesunde Gefässe sind flexibel
Nach sechs Wochen untersuchten die Wissenschaftler die Funktion des sogenannten Endothels ihrer Probanden. Diese Zellschicht kleidet die Blutgefässe innen wie eine Tapete aus.
Ein gesundes Endothel lässt die Gefässe flexibel auf Blutdruckveränderungen reagieren. Darüber hinaus beeinflusst das Endothel die Durchlässigkeit der Blutgefässe und hemmt im gesunden Zustand die Anlagerung von Blutplättchen, die das Gefäss verschliessen könnten. Ist die Endothelfunktion gestört, können sich die Gefässe bei steigenden Blutdruckwerten beispielsweise nicht ausreichend erweitern. Dann klettert der Blutdruck weiter in die Höhe.
Um 20 Jahre verjüngte Gefässe
Das Ergebnis: Nach Einnahme des Wirkstoffs verbesserte sich die Endothelfunktion der Teilnehmer jeweils um durchschnittlich 42 Prozent – das entspricht dem Zustand von Gefässen, die 15 bis 20 Jahre jünger sind. Das gehe mit einem um 13 Prozent geringeren Risiko für Herzerkrankungen einher, erklärt Rossman. Den Effekt führen die Forscher auf die Reduktion von oxidativem Stress zurück.
Oxidativer Stress schädigt die Gefässe
Unter oxidativem Stress versteht man ein verstärktes Auftreten sogenannter freier Radikale. Diese aggressiven Sauerstoffverbindungen (ROS) entstehen im Körper bei Stoffwechselprozessen. Sie bilden sich aber auch durch schädliche Umwelteinflüsse wie UV-Strahlen. ROS schädigen Fette und Proteine im Körper und verändern die Erbsubstanz DNA.
Ausserdem sind ROS entscheidend an der Entstehung von Arteriosklerose beteiligt. Sie reagieren mit Stickstoffmonoxid (NO), das normalerweise einer krankhaften Veränderung der Gefässwand entgegenwirkt.
Auch die Energiekraftwerke der Zellen – die Mitochondrien – produzieren im Rahmen der Energiegewinnung freie Radikale, die man mtROS nennt. Unter physiologisch ungünstigen Umständen wie bei Übergewicht oder Diabetes sowie im Rahmen normaler Alterungsprozesse produzieren die Mitochondrien grössere Mengen mtROS, was arteriosklerotische Veränderungen begünstigt.
Freie Radikale werden entschärft
Der Wirkstoff MitQ, den die Probanden einnahmen, schaltet die mtROS gezielt aus. Er bremst so die Produktion von Zytokinen, die Entzündungsreaktionen anstossen. Das gilt auch für entzündliche Prozesse in den Gefässen, die letztlich die arteriosklerotischen Veränderungen bewirken.
„Wenn wir direkt auf die Mitochondrien abzielen, können wir oxidativen Stress reduzieren und die Herz-Kreislauf-Gesundheit während des Alterungsprozesses verbessern“, sagt Rossman.
Gefässschutz in Pillenform
Sport und gesunde Ernährung seien die bekanntesten Stellschrauben für die Herz-Kreislauf-Gesundheit, betonen die Forscher. Realität sei jedoch, dass viele Menschen nicht bereit seien, sich entsprechend zu verhalten. „Wir suchen daher nach Alternativen, die altersbedingten Veränderungen entgegenwirken, die die Gefässe krank machen“, so die Wissenschaftler. Der von ihnen getestete Wirkstoff könnte eine Option dazu sein.
Allerdings sei der Wirkstoff bisher nur an gesunden Patienten getestet worden. Ob auch geschädigte Blutgefässe davon profitieren, dafür fehlt noch der Nachweis.
Autoren- & Quelleninformationen
- Stefano Masi, Agostino Virdis: Targeting Mitochondria in Age-Related Vascular Changes, 1 Jun 2018Hypertension. 2018;71:1023-102