Reihe mit Einwegspritzen

Was machen 200 Covid-Impfungen mit dem Immunsystem?

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Mehr als 200 Corona-Impfungen liess ein Mann sich injizieren. Nun stellt er sich der Forschung zur Verfügung. Wie wirkt sich das Impfbombardement auf sein Immunsystem aus?

Was passiert mit dem Immunsystem, wenn man immer wieder gegen denselben Erreger impft? Diese Frage beschäftigt die Wissenschaft. Im Zuge der Corona-Auffrischimpfungen haben Fachleute sie erneut intensiv diskutiert. Stumpfen die Abwehrkräfte irgendwann ab? Oder bleibt die Wirksamkeit der Booster-Impfungen auch über Jahre bestehen?

Ermüden die Abwehrkräfte durch zu viele Impfungen?

Hinweise auf ein mögliches Nachlassen der Immunkräfte liefern Infektionen mit Viren wie HIV oder Hepatitis B. Sie überdauern im Körper und lassen die Krankheiten immer wieder aufflackern. Hier hat man tatsächlich eine Ermüdung wichtiger Abwehrzellen beobachtet, und zwar der sogenannten T-Zellen, die immer wieder aufs Neue mit dem Virus konfrontiert waren.

Doch gilt das auch für die Corona-Impfungen? Eine erste Antwort liefert nun das Beispiel eines Mannes, der sich nach eigenen Angaben 217-mal impfen liess – aus persönlichen Gründen, wie er sagt. 134 dieser Impfungen sind offiziell bestätigt.

Verändert sich die Immunantwort?

Für die Immunforschung ist dieser extreme Fall von Hypervakzinierung interessant: Wie verändert sich dadurch die Antwort des Immunsystems?

„Wir sind durch Zeitungsberichte auf ihn aufmerksam geworden“, erklärt Privatdozent Dr. Kilian Schober vom Uniklinikum Erlangen, der Leiter der Studie. Man habe daraufhin Kontakt zu dem Mann aufgenommen und ihn eingeladen, sich in Erlangen diversen Tests zu unterziehen. „Daran hatte auch er grosses Interesse“, berichtet der Immunologe.

Ein Glücksfall für die Forschenden war, dass der vielfach geimpfte Mann sich schon in den Jahren zuvor verschiedenen Bluttests unterzogen hatte. Mit seiner Erlaubnis konnte das Team, an dem auch Forschende aus München und Wien beteiligt waren, auf diese Ergebnisse zurückgreifen und teilweise sogar eingefrorene Blutproben selbst analysieren.

Zudem liess sich der Mann auf eigenen Wunsch ein weiteres Mal gegen Covid impfen. Anschliessende Blutproben lieferten weitere wertvolle Informationen: „Mit diesen Proben konnten wir die direkte Reaktion des Immunsystems auf die Impfung nachvollziehen“, so Schober.

Kein Ermüdungseffekt in Sicht

Das Ergebnis: Der Proband verfügte über eine grosse Menge bestimmter spezifischer Immunzellen gegen SARS-CoV-2, sogenannte T-Effektorzellen. Ihre Zahl war gegenüber einer Vergleichsgruppe von dreifach geimpften Personen sogar erhöht. Einen Ermüdungseffekt konnten die Forschenden hier somit nicht feststellen: Die Abwehrspezialisten waren ähnlich effektiv wie die von normal vakzinierten Probandinnen und Probanden.

Besonders interessiert war das Team auch an den Auswirkungen der vielen Impfungen auf die sogenannten T-Gedächtniszellen. Bei erneutem Kontakt mit dem Virus produzieren diese rasch neue Generationen von T-Effektorzellen.

Fitte Gedächtniszellen

Auch hier konnten die Forschenden keine negative Auswirkung der vielen Impfungen entdecken: „Die Zahl der Gedächtniszellen war bei unserem hypervakzinierten Probanden genauso hoch wie in der Vergleichsgruppe“, erklärt Katharina Kocher, eine der beiden Erstautorinnen der Studie. „Insgesamt fanden wir also keine Anzeichen für eine schwächere Immunantwort – eher das Gegenteil.“

Zudem zeigte selbst die 217. Impfung, die der Mann während der Studie hatte vornehmen lassen, noch Wirkung: Die Zahl der Antikörper gegen das SARS-Coronavirus-2 erhöhte sich durch sie ebenfalls deutlich.

Immunabwehr gegen andere Erreger bleibt unbeschadet

Ein weiteres wichtiges Ergebnis: Auch die Schlagkraft des Immunsystems gegen andere Erreger wurde durch die vielen Corona-Impfungen nicht beeinträchtigt. Das zeigten weitere Tests. Das Abwehrsystem als solches scheint durch die vielen Impfungen also keinen Schaden genommen zu haben.

„Die Beobachtung, dass es trotz dieser ausserordentlichen Hypervakzinierung nicht zu erkennbaren Nebenwirkungen gekommen ist, steht im Einklang mit der grundsätzlich guten Verträglichkeit der Präparate“, so Schober.

Ein Einzelfall lässt keine allgemeinen Schlüsse zu

Die Forschenden weisen jedoch ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei der untersuchten Person um einen Einzelfall handle. Weitreichende Schlüsse lassen sich daraus nicht ableiten. Auch nicht, dass sehr häufiges Impfen einen besseren Schutz bietet. „Nach heutigem Kenntnisstand bleibt eine dreimalige Impfung und gegebenenfalls eine regelmässige Auffrischung bei vulnerablen Gruppen die Vorgehensweise der Wahl. Darüber hinausgehende Impfungen sind nicht indiziert.“

Autoren- & Quelleninformationen

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Quellen:
  • Kocher, Katharina et al.: Adaptive immune responses are larger and functionally preserved in a hypervaccinated individual, in: The Lancet Infectious Diseases, 04.03.2024, doi: 10.1016/S1473-3099(24)00134-8
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