Krankes Kind mit Mutter im Bett

Kindermedizin: Wie wird der nächste Winter?

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Mitten im Sommer denkt kaum jemand an die kalte Jahreszeit mit ihren vielen Infekten. Doch auf dem 16. Kongresses für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (KIT 2023) haben Experten sich insbesondere zum Problem der medizinischen Versorgung der Jüngsten Gedanken gemacht.

In der Wintersaison 2022/23 herrschte Ausnahmezustand in der Kindermedizin: Pädiater schoben Überstunden, mit schwer kranken Kindern überfüllte Kinderstationen schlugen Alarm. Hauptgrund dafür waren coronabedingte „Ausfälle“ von Infektionen, die die Jüngsten nun nachholten. Kommt es diese Saison wieder so schlimm?

Weniger Infektionen in der Pandemie

Während die Kinder aufgrund der Infektionsschutzmassnahmen wie Masken und Kitaschliessungen in den Pandemiejahren deutlich seltener mit Krankheitserregern konfrontiert waren, beobachteten die Mediziner in der letzten Wintersaison einen erheblichen Anstieg schwerer und akuter Infektionen.

Hauptgrund waren viele Erkältungsinfekte, darunter vor allem mit dem RS-Virus, unter denen insbesondere Kinder leiden. „Kinder unter vier Jahren führten die Statistik an“, berichtet Priv.-Doz. Nicole Töpfner vom Universitätsklinikum Dresden. Die Zahl der Klinikbehandlung mit RSV habe sich verfünffacht, darunter waren zirka 17.000 Neugeborene.

Zahlen auf Intensivstationen mehr als verdreifacht

Hinzu kamen mehr bakterielle Infektionen wie Streptokokken und Pneumokokken, ausserdem schwere Verläufe von Scharlach und viele Mandelinfekte. Allein auf den Intensivstationen seien die Zahlen auf das 350-Fache angestiegen.

Normalerweise durchlaufen Kinder jedes Jahr rund acht Infektionen pro Jahr. Diesmal seien es eher zehn bis zwölf gewesen, berichtet die Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin. „Die kommende Saison wird nochmal deutlich stärker verlaufen als die Jahre vor der Pandemie“, erklärt sie.

Immunlücken brauchen Zeit, um sich zu schliessen

In den letzten ein bis zwei Jahren seien Immunlücken entstanden, die sich nicht innerhalb einer Saison schliessen liessen. Dem noch nicht ausgereiften Immunsystem der Kinder fehlt es an Training. „Kinder lernen nicht nur Krabbeln, Sprechen und Laufen, ihr Immunsystem durchläuft ebensolche Meilensteine und lernt, sich mit Krankheitserregern auseinanderzusetzen“, so die Pädiaterin. Darum steckten sie sich aktuell so viele Kinder an.

Wann sich die Lage während der Winterhalbzeit wieder normalisiert, sei derzeit noch nicht abzuschätzen. „Das wird noch mehrere Saisons benötigen.“

Töpfner rechnet daher mit ähnlichen Infektionszahlen wie im Vorjahr. „Wir versuchen derzeit, die Strukturen zu verbessern.“ Denn nicht nur in der Erwachsenenmedizin herrsche ein Pflegemangel, sondern auch in der Pädiatrie und in der Neugeborenen-Medizin.

Ersatzlisten für Kinderantibiotika

Hinzu kommt die schwierige Versorgungslage mit Medikamenten. „Wir Kinderärzte lernen gerade mit Ersatzlisten zu arbeiten“, sagt sie „Allerdings müssen Antibiotika und andere Medikamente auch in kindgerechten Darreichungsformen vorrätig sein.“ Neugeborene könnten keine 1,5 Zentimeter langen Tabletten schlucken und Eltern könnten nicht anfangen, Tabletten zu mörsern. Derzeit erstelle man eine Liste mit antibiotischen Alternativpräparaten.

Fehlendes Monitoring

Die Medizinerin moniert, dass es kein Monitoring der jeweils aktuellen Situation gebe. „Wir sollten ein bundesweites Erfassungssystem für Kinder und Jugendgesundheit entwickeln, um Engpässe eher zu erkennen und eher handeln zu können.“

Noch bestünde die Chance, sich besser vorzubereiten, sagt Töpfner an die Verantwortlichen gerichtet. „Kinder sind nicht nur 13 Prozent der Bevölkerung, sondern 100 Prozent unserer Gegenwart und Zukunft!“

Mit Impfungen Infekten vorbeugen

Eltern rät sie, gemäss den Impfempfehlungen auf Immunisierungen zu setzen wie den Pneumokokken-Impfschutz für Säuglinge. Gegen RS-Viren gibt es derzeit für gefährdete Kinder lediglich Passivimmunisierungen, die diese vorbeugend mit Antikörper versorgen.

Denn während Erwachsene und grössere Kinder im Kontakt mit den Erregern in der Regel bereits einen grundlegenden Immunschutz gegen RSV entwickelt haben, haben Säuglinge und Kleinkinder die Antikörper noch nicht im Blut. Ein weiterer Grund für schwere Verläufe sind ihre noch engen Atemwege. Sie schwellen bei Erkältungen schneller zu als bei grösseren Menschen.

Passiv-Immunisierung gegen RSV

Die aktuell verfügbaren passiven RSV-Impfstoffe müssen allerdings monatlich verabreicht werden. Im Winter 2023/24 könnte jedoch ein neues Präparat auf den Markt kommen, das den Kindern komplett über den Winter hilft.

Ansonsten rät die Pädiaterin, möglichst auch gesunde Kinder aus der Kita zu nehmen, wenn gerade ein Infekt umgeht. Dass man Infektionsketten so wirksam unterbrechen kann, habe die Pandemie gezeigt. Ob das allerdings bei den Eltern auf Gegenliebe stösst, ist zu bezweifeln.

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Quellen:
  • Pressekonferenz, 16. Kongresses für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin – KIT 2023, 16. Juni 2023
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