Darmkrebs: Risiko durch Übergewicht deutlich unterschätzt
Dass Menschen mit Übergewicht häufiger an Darmkrebs erkranken, weiss man schon länger. Allerdings hat man den Einfluss des Körpergewichts auf die Tumorerkrankung bislang erheblich unterschätzt. Die überschüssigen Fettspeicherkönnten für fast 20 Prozent der Krebsfälle verantwortlich sein.
Gewichtsverlust vor der Diagnose verzerrt das Bild
Der Grund: Viele Patientinnen und Patienten verlieren in den Jahren vor ihrer Darmkrebs-Diagnose unbeabsichtigt an Gewicht. In Studien, die allein das Körpergewicht zum Zeitpunkt der Diagnose berücksichtigen, wird der Zusammenhang zwischen Fettleibigkeit und Darmkrebsrisiko verzerrt. „Das hat dazu geführt, dass der Risikobeitrag von Übergewicht deutlich unterschätzt wurde“, erklärt Hermann Brenner, Epidemiologe und Präventionsexperte am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ).
Eine Möglichkeit, das tatsächliche Krebsrisiko für Übergewichtige zu berechnen, liefern Daten der UK-Biodatenbank, die die gesundheitliche Entwicklung von fast einer halben Million Männer und Frauen verfolgt. Sie waren zwischen 2006 und 2010 im Alter von 40 bis 69 Jahren rekrutiert worden und werden seither nachbeobachtet.
Risikosteigerung doppelt so hoch wie bisher gedacht
Innerhalb eines Beobachtungszeitraums von bis zu 13 Jahren erkrankten 4.794 der insgesamt 453.049 Teilnehmenden an Darmkrebs. Die Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Diagnose lag für übergewichtige Frauen in einer ersten Auswertung bereits um 13 Prozent höher als für normalgewichtige Teilnehmerinnen, für übergewichtige Männer war sie um 23 Prozent erhöht.
Ein deutlich höheres Risiko ergab sich allerdings, als die Forschenden die Krebsdiagnosen der ersten sieben Jahre des Beobachtungzeitraums ausklammerten. In dem Fall war das Risiko für Übergewichtige sogar doppelt so hoch wie für Normalgewichtige: Für Frauen war es im Vergleich zu Normalgewichtigen um 26 Prozent erhöht, für Männer sogar um 42 Prozent.
Bei Krebserkrankungen steigt der Energieverbrauch
Unerkannte Darmkrebserkrankungen, die in den ersten Jahren mit einem Gewichtsverlust einhergingen und so das Körpergewicht bei Diagnosestellung bereits reduziert hatten, sind eine mögliche Erklärung für die verzerrte Risikoeinschätzung. Denn bei Darmkrebs beschleunigt sich der Stoffwechsel nicht nur durch den Tumor selbst, sondern der Körper reagiert mit Entzündungsprozessen, die den Energiebedarf des Körpers zusätzlich steigern.
In den durchschnittlich drei bis sechs Jahren, die der Krebs unerkannt wuchert, nehmen daher viele Patienten ungewollt ab. „Ein unbeabsichtigter Gewichtsverlust im Erwachsenenalter kann also auch ein Hinweis auf eine unerkannte Krebserkrankung sein und die Ursache dafür sollte daher sorgfältig abgeklärt werden“, so Brenner.
Fast jeder fünfte Darmkrebsfall auf Übergewicht zurückzuführen
Statistische Auswertungen der Forschenden ergaben, dass der Anteil des Übergewichts an den aufgetretenen Darmkrebsfällen nicht – wie auf Basis der Daten konventionell geschätzt – bei 11,3, sondern bei 19 Prozent lag. Frühere Schätzungen gingen sogar teilweise von nur 5 Prozent aus. „Übergewicht ist offenbar für einen weitaus grösseren Teil der Darmkrebsfälle verantwortlich als bisher angenommen“, sagt Studienleiter Brenner.
Für das individuelle Darmkrebsrisiko sei wahrscheinlich weniger das aktuelle Gewicht ausschlaggebend, sondern all die Lebensjahre, in denen ein Mensch das Übergewicht schon mit sich herumträgt, erklärt Studienleiter Brenner.
Der hohe und in grossen Teilen der Welt weiterhin wachsende Anteil übergewichtiger Menschen werde in den kommenden Jahren die Darmkrebs-Fallzahlen in vielen Ländern vermutlich weiterhin erheblich ansteigen lassen.
Autoren- & Quelleninformationen
- Fatemeh Safizadeh et al.: The underestimated impact of excess body weight on colorectal cancer risk: Evidence from the UK Biobank cohort, British Journal of Cancer, 13. Juli 2023, https://doi.org/10.1038/s41416-023-02351-6