Corona: Was bedeutet die steigende Reproduktionszahl?
Nach verschiedenen Ausbrüchen stieg die Reproduktionszahl der Coronavirusinfektionen auf 2,88. Ziel war ein Wert unter 1. Wie kritisch ist die Lage?
Die Zahl der Sars-CoV-2-Infektionen steigt in Deutschland wieder an. Ein Betroffener steckt derzeit im Schnitt zwei bis drei Mitmenschen an. Das Robert Koch-Institut (RKI) hatte am Sonntag einen Reproduktions-Wert von 2,88 herausgegeben - der höchste Wert seit den Lockerungen der bundesweiten Pandemiebeschränkungen.
Mithilfe der Kontaktbeschränkungen hatte man diesen für das Infektionsgeschehen wichtigen Wert erfolgreich auf unter 1 gedrückt – und so die Pandemie eingehegt. Wie alarmierend ist die aktuelle Zahl? Und steht Deutschland eine neue Infektionswelle bevor?
Eine zweite Welle verhindern
„Eine zweite Welle kann auch in Deutschland kommen, aber ich bin zuversichtlich, dass wir sie verhindern können“, sagt RKI-Chef Lothar Wieler in einer Pressekonferenz am Dienstagvormittag.
Ein gravierender Unterschied zu der Lage vor zwei Monaten ist: Die Zahl der Neuinfektionen ist insgesamt noch immer verhältnismässig gering. Lag sie damals bundesweit teilweise bei fast 7000 am Tag, sind es derzeit etwa 500. Wichtiger aber noch ist, dass sich der grösste Teil der Infektionen in lokalen Hotspots auftreten – ein Gebäudekomplex in Berlin, einer in Magdeburg und vor allem der Fleischverarbeitungsbetrieb Tönnies in Gütersloh mit inzwischen über 1500 Infizierten.
Hat sich das Virus unbemerkt im Landkreis ausgebreitet?
Es ist der erste grosse Ausbruch seit der Lockerung der Massnahmen. Doch über Quarantänen und konsequente Nachverfolgungen liessen sich solche lokalen Hotsports eingrenzen, so die Hoffnung. Allerdings ist unklar, in wieweit sich die Infektion inzwischen im Kreis Gütersloh unbemerkt auch ausserhalb des Fleischbetriebes ausgebreitet hat.
„Wie wissen nicht: Ist es ein lokaler Ausbruch oder wurde es bereits in die Bevölkerung eingetragen?“, so Wieler. Die anstehenden Feriensaison könnte die Ausbreitung befeuern.
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hingegen geht bereits von einer höheren Dunkelziffer auch in der übrigen Bevölkerung aus: „Die Grösse des Tönnies Ausbruchs zeigt, dass das Problem seit mehreren Wochen besteht“, schrieb er auf Twitter. Dass sich die Infektionen auf die Mitarbeiter begrenzten, sei daher unwahrscheinlich.
Lockdown in Gütersloh
Landesvater Armin Laschet hat nach Quarantäne für die Tönnies-Mitarbeiter sowie Schul- und Kitaschliessungen einen erneuten Lockdown für den Kreis Gütersloh angeordnet. Die Verschärfung der Kontaktbeschränkungen auf den Stand vom März soll mindestens bis zum 30. Juni bestehen bleiben.
Derweil versuchen Virologen im Fleischbetrieb herauszufinden, warum sich das Virus dort so rasant ausgebreitet hat. Neben der engen Unterbringung der überwiegend aus dem Ausland stammenden Mitarbeiter hat das Virus hier vor allem durch die kühlen Temperaturen in der Fleischverarbeitung ideale Bedingungen, um sich auszubreiten. Auch die körperlich anstrengende Arbeit steht im Verdacht zu einer verstärkten Ausscheidung des Virus beigetragen zu haben.
Autoren- & Quelleninformationen
- RKI, Pressebirefing, 23.06.2020
- tagesschau.de, 23.06.2020