Immunitätsausweis

Ethikrat: Nein zum Immunitätsausweis

Von , Volontärin
Ana Goldscheider

Ana Goldscheider hat Journalismus und Unternehmenskommunikation in Hamburg studiert und absolviert nun eine Zusatzausbildung zur Redakteurin. In einer Medizin-Redaktion schreibt sie u.a. Texte für Printmagazine und NetDoktor.

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Es ist eine heikle Frage: Soll man bescheinigt bekommen können, dass man gegen Corona immun ist - und hätten so vielleicht manche Vorteile in Pandemiezeiten? Für Ethikberater kommt das aktuell nicht infrage.

In der Debatte um den Umgang mit dem Coronavirus lehnt der Deutsche Ethikrat eine Einführung amtlicher Immunitätsnachweise derzeit klar ab. Es gäbe "erhebliche Unsicherheiten" über die Immunität nach einer überstandenen Infektion. Auch die Aussagekraft von Antikörpertests sei noch nicht abschliessend geklärt, so das unabhängige Beratergremium.

Inwiefern solche Bescheinigungen bei besseren Erkenntnissen später einmal sinnvoll und vertretbar sein könnten, war unter den Experten strittig. Sie mahnten bereits jetzt strengere Regeln für frei zu kaufende Immunitäts-Tests an, die wegen "zweifelhafter Verlässlichkeit" ein Gefährdungspotenzial hätten.

"Freifahrtschein" oder "Zwei-Klassen-Gesellschaft"?

Die Ethikrats-Vorsitzende Alena Buyx verwies auf die sehr kontroverse gesellschaftliche Debatte über Corona-Immunitätsbescheinigungen. Die einen stellten sich "eine Art Freifahrtschein" vor, mit dem auch in der Pandemie alles wieder möglich sei. Andere sähen darin Vorboten einer "immunitätsbasierten Zwei-Klassen-Gesellschaft".

Menschen etwa, die an Corona erkrankt waren, dürften sich wieder frei bewegen, ungehemmt feiern und reisen, so die Kritiker. Die Personen hingegen, die noch nicht erkrankt sind, müssten sich weiter an strikte Beschränkungen halten - und das, wo sie mutmasslich nur deshalb nicht erkrankt sind, weil sie zuvor die Regeln zum Infektionsschutz eingehalten und sich bestmöglich vor einer Ansteckung geschützt haben.

Immunität nicht eindeutig geklärt

Der Ethikrat habe sich einstimmig gegen eine Einführung "zum jetzigen Zeitpunkt" gewandt - wegen des aktuellen wissenschaftlichen Sachstands. Demnach sei nach wie vor nicht abschliessend geklärt, in wie weit sich eine Immunität nach einer Infektion ausbildet und vor einer erneuten Erkrankung schützen kann. Auch wie lange die Immunität anhält, sei aktuell noch unklar. Die Einschätzung beziehe sich ausdrücklich auf eine Immunität nach einer Infektion, nicht durch eine möglicherweise kommende Impfung.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte am Abend in Frankfurt, da bis heute nicht abschliessend geklärt sei, wann und ob eine Immunität entstehe, könne er die Einschätzung sehr gut nachvollziehen. "Wir werden uns das in Ruhe anschauen." Spahn hatte den Ethikrat im Frühjahr um die Stellungnahme gebeten. Hintergrund war breite Kritik an ursprünglichen Plänen, dass Immunitätsausweise auch Ausnahmen von Alltagsbeschränkungen ermöglichen sollten. Spahn zog die Pläne nach Protest aus der Koalition zurück.

Mit Rechten könnten Pflichten kommen

Im Ethikrat gab es gegensätzliche Positionen für den Fall, dass es einmal verlässliche Erkenntnisse gibt. Die Hälfte der Mitglieder hält die Einführung von Immunitätsnachweisen dann in begrenztem Ausmass für sinnvoll. Wegen der Pandemie eingeschränkte Freiheiten müssten den Bürgern so weit wie möglich zurückgegeben werden, sagte Ratsmitglied Carl Friedrich Gethmann.

Neben Berechtigungen für Menschen mit bescheinigter Immunität könnten auch Verpflichtungen infrage kommen - etwa, für das Gemeinwohl bestimmte Tätigkeiten zu übernehmen. Buyx betonte, es heisse nicht, dass man sich die Maske runterreissen dürfe.

Nachweise für nur einen Bereich?

Die andere Hälfte der Ethikrats-Mitglieder ist auch auf längere Sicht zurückhaltend - aus praktischen, ethischen und rechtlichen Gründen. Nur in einem Bereich dürften Immunitätsnachweise genutzt werden, machte Ratsmitglied Judith Simon deutlich. In Alten- und Behindertenheimen mit Isolationsvorgaben für die Bewohner könnten nahestehende Personen, Seelsorger oder Hospizdienste von bestimmten Auflagen befreit werden.

Dass diese nicht ansteckend sind, wäre aber auch mit PCR-Tests nachzuweisen. Simon warnte vor "Erosionseffekten" bei der Bereitschaft, sich an allgemeine Corona-Schutzregeln zu halten. Zudem könnten Fehlanreize gesetzt werden: Personen in wirtschaftlicher Schieflage, könnten sich womöglich absichtlich infizieren, um Vorteile zu gewinnen - und so zugleich das direkte Umfeld gefährden.

Bessere Aufklärung gefordert

Einigkeit herrscht darin, dass die Bevölkerung weiterhin umfassend über den Infektionsschutz und die damit einhergehenden Massnahmen umfassend aufgeklärt werden müsse. Dabei solle man vor allem auch den Blick auf die Mitmenschen und das Gemeinwohl schärfen.

Überdies sollten die Menschen etwa von den Bundesbehörden ausführlich darüber informiert werden, wie aussagekräftig Antikörpertests tatsächlich sind. Frei verkäufliche Tests sollten nicht zuletzt aufgrund der fragwürdigen Verlässlichkeit stärker überprüft werden. Ferner sprachen sich die Ratsmitglieder für eine verstärkte Coronaforschung aus.

Dem Ethikrat gehören derzeit 24 Experten verschiedener Disziplinen an - darunter Ärzte, Theologen und Juristen. Sie werden vom Bundestagspräsidenten berufen. (ag/dpa)

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Ana Goldscheider

Ana Goldscheider hat Journalismus und Unternehmenskommunikation in Hamburg studiert und absolviert nun eine Zusatzausbildung zur Redakteurin. In einer Medizin-Redaktion schreibt sie u.a. Texte für Printmagazine und NetDoktor.

Quellen:
  • Deutsche Presse-Agentur (dpa)
  • Deutsches Ärzteblatt: "Deutscher Ethikrat hält Corona-­Immunitätsbescheinigungen derzeit nicht für sinnvoll", 22. September 2020, unter: www.aerzteblatt.de (Abrufdatum: 23.09.2020)
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