Gestalttherapie

Von , Masterstudium in Psychologie
Julia Dobmeier

Julia Dobmeier absolviert derzeit ihr Masterstudium in Klinischer Psychologie. Schon seit Beginn ihres Studiums interessiert sie sich besonders für die Behandlung und Erforschung psychischer Erkrankungen. Dabei motiviert sie insbesondere der Gedanke, Betroffenen durch leicht verständliche Wissensvermittlung eine höhere Lebensqualität zu ermöglichen.

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Die Gestalttherapie ist ein psychotherapeutisches Verfahren. Der Fokus liegt hier in der Gegenwart, im Hier und Jetzt. Der Patient wird im Rahmen der Gestalttherapie zum aktiven Gestalter seines Lebensalltags. Lesen Sie hier, wie eine Gestalttherapie funktioniert, wann sie sinnvoll sein kann und was Sie dabei beachten müssen.

Gestalttherapie

Was ist Gestalttherapie?

Die Gestalttherapie ist eine Form von Psychotherapie und gehört hier zu der Gruppe der sogenannten humanistischen Therapien. Nach dem humanistischen Ansatz hat jeder Mensch die Fähigkeit, sich weiterzuentwickeln. Der Therapeut sieht den Patienten als selbstbestimmtes Wesen. In der Gestalttherapie lernt er, die nötigen Kräfte zu aktivieren, damit er seine Probleme selbstständig bewältigen kann.

Die deutschen Psychoanalytiker Fritz und Lore Perls haben gemeinsam mit Paul Goodman die Gestalttherapie begründet. Aufgrund ihrer psychoanalytischen Wurzeln enthält die Gestalttherapie einige Ansätze aus der Psychoanalyse. Gestalttherapeuten gehen zum Beispiel so wie Psychoanalytiker von tieferliegenden unbewussten Konflikten aus. Die Vorgehensweise im Umgang mit solchen Konflikten ist in der Gestalttherapie aber ganz anders als in der Psychoanalyse:

In der Gestalttherapie interessiert sich der Therapeut dafür, wie der Patient die Welt sieht und warum er sie auf eine bestimmte Weise wahrnimmt. Der Patient wird dabei nicht als Opfer seiner Vergangenheit gesehen, und es wird nicht versucht, vergangene Erlebnisse zu deuten. Stattdessen geht es in der Gestalttherapie für den Patienten darum, ein Bewusstsein für die momentane Situation zu bekommen. Denn die Gestalttherapie basiert auf der Annahme, dass der Mensch das, was ihm bewusst ist, auch verändern kann.

Der Begriff "Gestalt"

Der Begriff "Gestalt" kommt aus der Gestaltpsychologie, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand. Es steckt dahinter die Idee, dass eine Gestalt nicht einfach die Summe ihrer Einzelteile ist.

Wenn wir beispielsweise ein Dreieck sehen, setzen wir im Geiste nicht drei Striche zusammen, sondern nehmen das Dreieck als Ganzheit wahr. Ebenso wie wir bei einem Musikstück nicht die einzelnen Töne hören, sondern eine Melodie. In analoger Weise sehen Gestaltpsychologen auch den Menschen als komplexe Ganzheit, die unter anderem von der Kultur und den sozialen Kontakten geprägt wird. Sie betrachten die Psyche und den Körper nicht als getrennt, sondern als Einheit.

Wann macht man eine Gestalttherapie?

Eine Gestalttherapie kann bei der Bewältigung psychischer Probleme, aber auch bei beruflichen Problemen weiterhelfen. Wenn es um familienbezogene Themen geht, bezieht der Therapeut in einigen Fällen auch den Partner oder Familienangehörige in die Therapie ein.

Bei einer Gestalttherapie geht es aber nicht immer nur um problematische Situationen - sie kann vielmehr auch der Entfaltung eigener Fähigkeiten dienen.

Für eine Gestalttherapie sollte der Patient bereit sein, aktiv mitzuarbeiten. Der Gestalttherapeut fordert den Patienten nämlich dazu auf, sein Leben selbstbestimmt zu leben und Verantwortung für seine Gedanken und Handlungen zu übernehmen.

Die Gestalttherapie kann sowohl im Einzelsetting als auch in der Gruppe stattfinden. Eine Therapiesitzung kann zwischen 50 und 100 Minuten dauern. Wie viele Sitzungen insgesamt sinnvoll oder notwendig sind, entscheidet der Therapeut im Einzelfall.

Was macht man bei einer Gestalttherapie?

Ziel einer Gestalttherapie ist, dass der Patient mehr Kontrolle über sein Leben erarbeitet und sein volles Potenzial entwickelt. Dazu betrachtet der Therapeut weder die vergangenen Ereignisse noch zukünftige Sorgen des Patienten. Der Fokus bleibt immer in der gegenwärtigen Situation. Denn Veränderungen können nur in der Gegenwart stattfinden.

"Wie erlebe ich mich oder andere Menschen zum jetzigen Zeitpunkt?" Diese Frage stellt der Therapeut daher immer wieder von Neuem. Schliesslich steht der Mensch nie still, sodass die Antwort morgen oder nächste Woche schon ganz anders ausfallen kann.

Zentrale Technik der Gestalttherapie ist der Dialog zwischen Therapeut und Patient. Im Dialog mit dem Therapeuten schult der Patient die Wahrnehmung dafür, wie er selbst sich verhält, wie er Dinge wahrnimmt und was er fühlt.

Der Therapeut konfrontiert den Patienten mit eventuellen Widersprüchen in seinem Verhalten, die zu Konflikten führen. Ebenso ermutigt er den Patienten, seine bisherige Weltsicht zu hinterfragen. Der Patient soll dadurch ein neues Bewusstsein für seine Situation erlangen. Diese veränderte Wahrnehmung ermöglicht es dem Patienten, neue Erfahrungen zu machen und neue Verhaltensweisen auszuprobieren.

Der Therapeut verhält sich während der Therapie dem Patienten gegenüber stets wertschätzend und einfühlend, aber er fordert ihn auch, sich weiterzuentwickeln.

Gestalttherapie: Methoden

In der Gestalttherapie setzt der Therapeut kreative Methoden ein. So haben Rollenspiele in dieser Therapieform eine wichtige Bedeutung:

Der Patient soll Konflikte bearbeiten, indem er einen Dialog mit der betreffenden Person inszeniert. Die betreffende Person ist nicht anwesend, sondern wird durch einen leeren Stuhl repräsentiert. Der Patient versetzt sich in beide Positionen. Er spricht einmal aus seiner Position und antwortet dann aus der Position des nicht anwesenden Konfliktpartners.

Durch solche Rollenspiele kann dem Patienten der Inhalt bestehender Probleme deutlicher werden und er kann andere Kommunikationsweisen ausprobieren.

Mögliche Probleme erfasst der Therapeut auch über die Körpersprache des Patienten. Beispielsweise fragt er ihn, warum er bei bestimmten Themen mit seinen Beinen zappelt oder die Arme verschränkt. Der Therapeut interpretiert die Verhaltensweisen des Patienten jedoch nicht. Nur der Patient selbst kennt die Bedeutung seiner Handlungen. Der Gestalttherapeut leitet den Patienten lediglich an, damit er ein tieferes Verständnis für sich selbst bekommt. Er kann den Patienten auch bitten, mit neuen Körperbewegungen zu experimentieren.

Welche Risiken birgt eine Gestalttherapie?

In der Gestalttherapie soll der Patient die volle Verantwortung für sein Leben übernehmen. Manche Patienten fühlen sich dadurch überfordert. Patienten, die sich zum Beispiel in einer schweren Depression befinden, sind körperlich und psychisch nicht in der Lage, aktiv zu werden.

Es liegt in der Verantwortung des Gestalttherapeuten, den Patienten gut zu begleiten und Probleme in der Therapie zu erkennen. In manchen Fällen ist möglicherweise auch zunächst eine medikamentöse Behandlung notwendig oder eine andere Therapieform passender.

Ob eine Therapie erfolgreich ist, hängt massgeblich von der Beziehung zwischen Therapeut und Patient ab. In der Gestalttherapie fordert der Therapeut seinen Patienten immer wieder, indem er ihn auf Widersprüche hinweist. Manche Gestalttherapeuten verwenden im Gespräch einen stark konfrontativen Stil. Nicht jeder Patient kann damit umgehen. Daher ist es wichtig, den passenden Therapeuten zu finden und im Zweifel auch zu einem anderen zu wechseln.

Was muss ich nach einer Gestalttherapie beachten?

Nach den einzelnen Gestalttherapiesitzungen sollten Sie sich einige Zeit zur Erholung geben - die Sitzungen können nämlich körperlich und emotional sehr fordernd sein. Dazu trägt unter anderem die hohe Eigenverantwortung in der Therapie bei. Nehmen Sie sich daher keine anstrengenden Aktivitäten direkt nach einer Therapie vor.

Gerade am Therapiebeginn fühlt sich die Eigenverantwortung möglicherweise wie eine Last und ungewohnt an. Wenn Sie sich daran gewöhnt haben, ermöglicht Ihnen die selbstbestimmte Haltung aber auch, Ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen und positiv zu beeinflussen.

Gegen Ende der Gestalttherapie vergrössert der Therapeut oft den Abstand zwischen den Sitzungen. Dadurch können Sie sich langsam daran gewöhnen, zukünftig auch ohne den Therapeuten zurechtzukommen. Wenn Sie sich noch nicht bereit dazu fühlen, ohne Hilfe weiterzumachen, sollten Sie mit Ihrem Therapeuten darüber sprechen. Gegebenenfalls kann er die Gestalttherapie verlängern.

Autoren- & Quelleninformationen

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autor:
Julia Dobmeier
Julia Dobmeier

Julia Dobmeier absolviert derzeit ihr Masterstudium in Klinischer Psychologie. Schon seit Beginn ihres Studiums interessiert sie sich besonders für die Behandlung und Erforschung psychischer Erkrankungen. Dabei motiviert sie insbesondere der Gedanke, Betroffenen durch leicht verständliche Wissensvermittlung eine höhere Lebensqualität zu ermöglichen.

Quellen:
  • Deutsche Vereinigung für Gestalttherapie e.V. (DVG): "Was ist Gestalttherapie?", unter: www.dvg-gestalt.de/ (Abruf: 18.08.2021)
  • Hartmann-Kottek, L.: Gestalttherapie: Lehrbuch, Springer Verlag, 3. Auflage, 2012
  • Maragkos, M.: Gestalttherapie, Kohlhammer Verlag, 1. Auflage, 2016
  • Slunecko, T.: Psychotherapie. Eine Einführung, UTB - Facultas Verlag, 2. Auflage, 2017
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