Pacing

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Pacing ist ein therapeutisches Konzept für das Chronischen Fatigue-Syndrom, aber auch bei Long Covid. Ziel ist, stets unterhalb der individuellen körperlichen und psychischen Belastungsgrenze zu bleiben. Überschreiten Betroffene diese, verschlechtern sich die Symptome wie schwere Erschöpfung (Fatigue), Muskelschmerzen und neurokognitive Probleme oft dramatisch (Post-Exertional-Malaise). Schwer Betroffene kann schon ein kurzes Gespräch überfordern, andere können sogar etwas Sport treiben. Lesen Sie hier, wie Pacing konkret funktioniert und was Betroffene tun können.

Erschöpfte Junge Frau liegt auf der Couch

Was ist Pacing?

In der Medizin ist Pacing ein therapeutisches Konzept bei Chronischem Fatigue-Syndrom (auch: Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom, ME/CFS), aber auch bei Long Covid. Schwer betroffene Personen können ihren Alltag nicht mehr bewältigen, auch bei leichter Betroffenen ist die Leistungsfähigkeit eingebrochen.

Pacing zielt darauf ab, die Energieressourcen der Betroffenen zu schonen und Überlastungen aller Art zu vermeiden: körperlich, geistig und emotional.

Pacing bei Long Covid

ME/CFS kennt man vor allem als Folge von Virusinfektionen wie dem Pfeifferschen Drüsenfieber. Das Hauptsymptom Fatigue tritt derzeit weltweit gehäuft auf, da es eines der schwerwiegendsten Folgestörungen von Long Covid ist. Als wahrscheinlichste Ursache gilt eine gestörte Immunreaktion, die eine Störung des vegetativen Nervensystems, der Gefässregulation und des Energiestoffwechsels nach sich zieht.

Belastungsintoleranz

Menschen mit Fatigue leiden häufig unter dem Phänomen der Belastungsintoleranz. Selbst geringe Anstrengungen können sie überfordern. Folge ist dann die sogenannte Post-Exertional-Malaise, auch „Crash“ genannt. Diese geht mit einer drastischen Verschlechterung der Symptome einher bis hin zu völliger Handlungsunfähigkeit. Sie kann zudem den Zustand des Betroffenen dauerhaft verschlechtern.

Pacing: Crash durch Schonung vermeiden

Im Mittelpunkt von Pacing steht daher das Ziel, Häufigkeit und Schwere von Crashs durch konsequente Schonung zu reduzieren. Daher gilt es für die Patienten, stets unterhalb der körperlichen, geistigen, emotionalen und sozialen Belastungsgrenze zu bleiben.

Vergleichen lässt sich Chronisches Fatigue mit dem Zustand eines defekten Akkus, der sich nicht mehr vollständig aufladen lässt. Wichtig ist, die Energiereserven nicht vollständig zu verbrauchen. Jede vollständige „Entladung“ schädigt den defekten Akku weiter. Ruhen sich die Betroffenen aus, laden sie den Akku wieder auf.

Pacing als Therapie

Durch Pacing finden Betroffene ihre persönliche Balance zwischen Schonung und Aktivierung und können so die Anzahl und Schwere von Crashs reduzieren. Pacing kann die Patienten stabilisieren und so eine weitere Verschlechterung des Zustands verhindern.

Wird Pacing möglichst früh und möglichst konsequent angewendet, steigt die Chance, dass sich der Zustand wieder verbessert oder die Erkrankung sogar vollständig ausheilt.

Zudem können die Betroffenen mit Pacing eine gewisse Kontrolle über ihren Zustand zurückzugewinnen. Das stärkt die psychische Verfassung und hilft, die aktuelle Situation zu akzeptieren.

Strategien, die bei anderen Erschöpfungsphänomenen hilfreich sein können, und die die Patienten zu mehr Aktivität motivieren, sind bei Fatigue hochriskant: Sie können bewirken, dass sich der Zustand des Patienten nicht nur kurzfristig, sondern dauerhaft verschlechtert. Darunter leiden massiv Leistungsfähigkeit und Lebensqualität.

Wie funktioniert Pacing?

Pacing umzusetzen ist nicht leicht. Denn die individuellen Belastungsgrenzen ändern sich ständig und müssen von Tag zu Tag neu ausgelotet werden.

Grenzen erkennen: Um sich nicht zu überlasten, müssen Betroffene ein Gespür für ihre aktuellen Grenzen entwickeln. Diese betreffen vier Bereiche: körperliche, geistige/kognitive, soziale und emotionale Aktivität.

Zentrale Botschaft des Pacings ist, auf den eigenen Körper zu hören. Beobachten Sie nach einer Aktivität eine Verschlechterung, sollten Sie diese künftig vermeiden. Fühlen Sie sich schon während der Aktivität angestrengt, sollten Sie diese unterbrechen. Das gilt auch für emotional belastenden Situationen!

Ruhepausen einhalten, Puffer einplanen: Menschen mit CFS müssen mit ihren Kräften haushalten. Ruhepausen sind für Sie sehr wichtig. Dabei laden Sie Ihren Akku zwischendurch immer wieder auf. Planen Sie daher regelmässige Pausen in Ihren Alltag ein und halten Sie diese auch konsequent durch. So bauen Sie Kraftressourcen auf, die als Puffer dienen und Überlastungen vermeiden. Wenn Sie besondere Aktivitäten planen, ruhen Sie sich vorher und hinterher aus. Achten Sie zudem auf Signale der Erschöpfung und steuern Sie mit spontanen Erholungspausen gegen.

Auf halber Kraft fahren: Eine wirksame Strategie im Rahmen von Pacing ist, sich weniger zuzumuten, als es die eigene Kraft gerade erlauben würde. So berichten viele Betroffene, dass sie am stabilsten sind, wenn sie nur 50 Prozent von dem tun, was sie sich eigentlich zutrauen. Auf diese Weise wird der Akku nie ganz leer.

Prioritäten setzen: Aktivitäten, die Ihnen besonders wichtig sind, sollten Sie Priorität einräumen. Alles, was Ihnen unnötige Kraft raubt, sollen Sie hingegen vermeiden. Das gilt auch für soziale und emotionale Belastungen.

Gezielt entspannen: Entspannungstechniken wie Autogenes Training oder Meditation können mental entlasten. Praktizierende finden dabei zu tiefer Entspannung. Für Menschen mit CFS kann es daher sehr hilfreich sein, eine entsprechende Technik zu erlernen.

Aktuelle Grenzen akzeptieren: Ein CFS raubt den Betroffenen ihr gewohntes Leben. Manche können ihrem Beruf nicht mehr nachgehen oder sind in ihrer Leistungsfähigkeit stark eingeschränkt. Viele Dinge, die man gern gemacht hat wie Hobbies, Treffen mit Freunden, Unternehmungen mit der Familie oder Sport sind nicht mehr oder nur noch eingeschränkt möglich. Diesen Verlust zu akzeptieren ist nicht leicht, aber (zumindest vorerst) notwendig, um sein Leben im neuen Rahmen bestmöglich zu gestalten.

Grenzen kommunizieren: Klären Sie Ihr Umfeld über ihre Situation auf. Erklären Sie, warum Sie nicht mehr so aktiv sein können wie früher, warum Sie Verabredungen mitunter kurzfristig absagen müssen und dass sich zusammenreissen und entgegen Ihrem Gespür aktiv zu werden, Ihren Zustand verschlimmert. Nur so können Ihre Mitmenschen das nötige Verständnis entwickeln und Sie unterstützten.

Delegieren und Hilfe annehmen: Versuchen Sie, Ihre reduzierten Kräfte für wichtige Dinge zu nutzen und für solche, die Ihnen guttun. Geben Sie dazu so viele Aufgaben wie möglich ab: Hausarbeiten, Steuererklärung, Besorgungen.

Tagebuch führen: Da die Post-Exertional-Malaise oft zeitverzögert auftritt, sind die Auslöser eines Crashs nicht immer leicht zu erkennen. Ein kann ein Tagebuch helfen, die Ursachen zu identifizieren und künftig zu meiden.

Überwachung der Herzfrequenz im Rahmen von Pacing

Beim Pacing müssen die Patentinnen und Patienten ein sehr gutes Gefühl für die persönliche Belastungsgrenze entwickeln. Das fällt vielen, insbesondere zu Beginn, schwer.

Fitnessuhren mit integriertem Herzfrequenzmesser können dabei unterstützten. Diese registrieren kontinuierlich den Puls und können CFS-Betroffene dabei helfen, höhere Belastungen rechtzeitig zu erkennen. Wählen Sie ein Gerät, das eine Warnfunktion bei Überschreitung bestimmter Pulsbereiche bietet.

Zur Bestimmung des Richtwertes empfehlen Mediziner zwei Herangehensweisen:

  • Basierend auf dem Lebensalter gilt die Formel (220 - Lebensalter) x 0.6 = Richtwert in Herzschlägen pro Minute (bpm). Für eine 40-jährige Person heisse das maximal (220 - 40) x 0,6 = 108 bpm.
  • Basierend auf dem mittleren Ruhepuls, an sieben Tagen gemessen im Liegen: Ruhepuls + 15. Bei einem Ruhepuls von 70 läge der Richtwert demnach bei 85 bpm.

Insbesondere letzterer ist ein sehr niedriger Wert. Ziel ist aber, den Pulsbereich nach und nach auszuweiten. Verspürt die erkrankte Person über einen Zeitraum von sieben aufeinanderfolgenden Tagen keine Verschlechterung der Symptome und kommen keine weiteren hinzu, kann die festgelegte maximale Herzfrequenz nach und nach langsam gesteigert werden.

Was ist eine Post-Exertional-Malaise?

Die Post-Exertional-Malaise (PEM) kann bei Menschen mit Chronischem Fatigue nur Stunden, aber auch Tage nach einer Überlastung auftreten. Nicht nur durch körperliche, sondern auch geistige und emotionale Anstrengungen können einen solche Crash verursachen.

Eine Post-Exertional-Malaise ist nicht mit der normalen Erschöpfung gesunder Menschen nach einer körperlichen oder geistigen Belastung vergleichbar. Bei einer Post-Exertional-Malaise verschlechtern sich die Symptome der Betroffenen dramatisch.

Die Belastungsgrenzen der Patienten sind individuell sehr verschieden. Während der eine Spaziergang verkraftet, überfordert schwer betroffenen Patienten schon ein Gespräch oder das Zähneputzen und provoziert einen Crash. Das individuelle Ausloten der persönlichen Grenzen ist daher essenziell.

Autoren- & Quelleninformationen

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autor:

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Quellen:
  • Altea Long Covid Nework, www.altea-network.com, Abruf 14.09.2022
  • Deutsche Gesellschaft für ME/CFS, www.mwcfa.sw, Abruf 14.09.2022
  • Pacing als Strategie zum Krankheitsmanagement bei ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom, Deutsche Gesellschaft für ME/CFS e.V., www.mecfs.de, Stand 04/2022
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