Hyposensibilisierung

Von , Student der Medizin
Markus Fichtl

Markus Fichtl ist freier Autor in der NetDoktor-Medizinredaktion.

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Als Hyposensibilisierung bezeichnen Mediziner eine Therapiemethode für Allergien vom Soforttyp (Typ-I-Allergie). Sie kommt vor allem bei Allergien gegen Insektengift, Pollen oder Hausstaubmilben zur Anwendung. Lesen Sie hier, wie eine Hyposensibilisierung abläuft, was sie bewirkt und welche Risiken sie birgt.

Hyposensibilisierung mittels Allergieimpfung

Was ist die Hyposensibilisierung?

Die Hyposensibilisierung wird auch Allergen-Immuntherapie (AIT), Desensibilisierung oder Spezifische Immuntherapie (SIT) genannt. Seltener ist von “Allergie-Impfung” die Rede.

Bei der Hyposensibilisierung verabreicht der Arzt dem Patienten wiederholt den jeweiligen Allergieauslöser (Allergen wie Bienengift), beginnend mit einer sehr geringen Menge. Die Dosierung wird dann allmählich gesteigert, bis der Patient schliesslich grosse Mengen des Allergens über einen längeren Zeitraum erhält. Auf diese Weise gewöhnt sich das Immunsystem langsam an das Allergen (immunologische Toleranz). Die Allergie-Beschwerden bessern sich oder verschwinden sogar ganz.

Von dieser Wirkweise leitet sich auch der Name der Therapie ab: "hypo" steht für "weniger", und "Sensibilisierung" für die Entwicklung einer Abwehrreaktion des Immunsystems gegen eine bestimmte Substanz.

Einzige ursächliche Behandlung

Es gibt prinzipiell drei Möglichkeiten, eine Allergie zu behandeln:

  • Expositionsprophylaxe: Vermeidung des allergieauslösenden Stoffes (Allergenkarenz)
  • medikamentöse Behandlung
  • Hyposensibilisierung

Die ersten beiden Therapiemethoden - Expositionsprophylaxe und Medikamente - zielen nur darauf ab, Allergiesymptome zu verhindern beziehungsweise zu lindern. Dagegen geht die Hyposensibilisierung direkt gegen die Ursache der Beschwerden vor - die Überempfindlichkeit des Immunsystems gegen den jeweiligen Allergieauslöser. Die Allergen-Immuntherapie ist damit bislang die einzige Möglichkeit, eine Allergie ursächlich zu behandeln und im besten Fall loszuwerden. Allerdings kommt eine Hyposensibilisierung nur bei bestimmten Allergien in Betracht (siehe unten).

Was passiert bei einer Allergie im Körper?

Das menschliche Immunsystem ist darauf ausgelegt, den Körper vor schädlichen Einwirkungen zu schützen, zum Beispiel vor Bakterien und Viren. Diese erkennt das Immunsystem hauptsächlich an ihrer Oberflächenstruktur und bildet bei Bedarf Abwehrstoffe (Antikörper).

Derselbe Mechanismus läuft bei einer Allergie ab: Ein eigentlich harmloser Stoff (wie zum Beispiel Gräserpollen oder Nickel) gelangt über die Atmung, die Nahrung oder über die Haut in den Körper und kommt dort mit den Zellen des Immunsystems in Kontakt. Bei manchen Menschen stuft die Körperabwehr den Stoff als gefährlich ein und startet eine Abwehrreaktion dagegen - meist durch die Bildung spezifischer Antikörper gegen den Eindringling: Es resultiert eine Typ-I-Allergie, die häufigste Form von Allergien.

Warum manche Menschen allergisch auf bestimmte Stoffe reagieren und andere nicht, ist bis heute nicht abschliessend geklärt.

Der Ansatz der Hyposensibilisierung lässt sich in diesem Zusammenhang am besten als eine Art "Konfrontationstherapie" mit dem Allergen beschreiben.

Wann führt man eine Hyposensibilisierung durch?

Die Hyposensibilisierung empfehlen Mediziner unter anderem in folgenden Fällen:

  • bei moderaten bis schwereren Allergien, bei denen es nicht genügt, das Allergen zu meiden oder die Symptome mit Medikamenten zu lindern.
  • wenn Folgeerkrankungen wie allergisches Asthma bronchiale drohen, also ein sogenannter Etagenwechsel der Allergie von den oberen in die unteren Atemwege.
  • bei starken Nebenwirkungen der medikamentösen Therapie.

Nicht bei jeder Allergie ist eine Hyposensibilisierung erfolgversprechend. Gut belegt ist die Wirkung bei Allergien gegen Baumpollen (vor allem Birke), Gräserpollen, Traubenkrautpollen (Ambrosiapollen) und Hausstaubmilben. Bei Bienen- oder Wespengiftallergie zeigen Daten aus Verlaufsbeobachtungen eine Wirksamkeit von etwa 90 Prozent. Auch Beifuss- oder Schimmelpilzallergiker werden häufig mit einer Allergen-Immuntherapie behandelt.

Aufgrund nicht gesicherter Wirksamkeit und möglicher unerwünschter Reaktionen wird eine Hyposensibilisierung bei Tierhaar- und Nahrungsmittelallergie bisher meist nicht empfohlen. Für vier- bis 17-jährige Kinder und Jugendliche mit Erdnussallergie ist in der EU und der Schweiz mittlerweile aber eine orale Immuntherapie (OIT) zugelassen (siehe unten).

Hyposensibilisierung bei Kindern

Eine Hyposensibilisierung wirkt in der Jugend am besten. Im Alter sinkt die Erfolgsrate. Ärzte empfehlen eine erste Behandlung daher ab einem Alter von fünf Jahren.

Was kann die Hyposensibilisierung bewirken?

Eine Hyposensibilisierung kann

  • die Beschwerden einer bestehenden Allergie mindern.
  • das Risiko für allergisches Asthma reduzieren.
  • die Therapie leichter Asthmaformen unterstützen.
  • wahrscheinlich verhindern, dass sich weitere Typ-I-Allergien entwickeln.
  • dazu beitragen, den Bedarf an Allergie- beziehungsweise Asthma-Medikamenten zu reduzieren.

Durch eine Hyposensibilisierung lässt sich eine Typ-I-Allergie bei vielen Betroffenen langfristig, risikoarm und wirksam (wenn auch ohne Erfolgsgarantie) behandeln.

Was macht man bei der Hyposensibilisierung?

Je nachdem, wie das Allergen verabreicht wird, unterscheiden Mediziner zwei Hauptformen der Hyposensibilisierung:

  • subkutane Immuntherapie (SCIT): Bei der klassischen Hyposensibilisierung wird das Allergen unter die Haut gespritzt.
  • sublinguale Immuntherapie (SLIT): Das Allergen wird unter die Zunge gelegt (als Tablette) oder getropft.

Daneben gibt es noch die erste zugelassene orale Immuntherapie (OIT) gegen Erdnussallergie. Hierbei schlucken die Betroffenen wiederholt ein Präparat mit Erdnusseiweiss. Geforscht wird zudem an einer epikutanen Immuntherapie (EPIT) gegen Erdnussallergie. Dabei wird das Allergen auf die Haut aufgebracht.

Subkutane Immuntherapie (SCIT)

Die klassische Hyposensibilisierung, die subkutane Immuntherapie (SCIT), führt der behandelnde Arzt in der allergologischen Ambulanz durch. Dabei spritzt er eine flüssige, vorgefertigte und standardisierte Allergen-Mischung etwa eine Handbreit oberhalb des Ellenbogens unter die Haut. Diese "Allergie-Impfung" wird wöchentlich wiederholt, wobei die Dosis des Allergens jede Woche bis zum Erreichen der individuellen Höchstdosis gesteigert wird. Nach Erreichen der Höchstdosis verabreicht der Arzt dieses Dosis in monatlichen Abständen weiter.

Vor jeder Dosissteigerung achtet der Mediziner auf eventuelle Nebenwirkungen der vorhergehenden Spritze und passt gegebenenfalls das Impfschema an. Er kann bei Bedarf auch Medikamente gegen eventuell auftretende allergische Symptome verordnen. Dabei kommen beispielsweise Antihistaminika zum Einsatz. Diese hemmen die Wirkung des körpereigenen Botenstoffs Histamin, der eine Schlüsselrolle bei allergischen Reaktionen vom Soforttyp spielt.

Sublinguale Immuntherapie (SLIT)

Bei dieser Form der Hyposensibilisierung wird das Allergen als flüssige Lösung oder als Tablette unter der Zunge angewendet. Die SLIT kommt vor allem zur Behandlung von Allergien zum Einsatz, bei denen das Allergen eingeatmet wird (zum Beispiel bei Heuschnupfen und Haustauballergie).

Dauer der Hyposensibilisierung

Die Dauer der Allergen-Verabreichung hängt von der zugrunde liegenden Allergie ab. Die durchschnittliche Behandlungsdauer beträgt drei Jahre, bei Wespengiftallergie drei bis fünf Jahre. Bei Bienengiftallergie wird die Hyposensibilisierung zeitlich unbegrenzt durchgeführt - der Arzt muss langfristig regelmässig eine "Erhaltungsimpfung" verabreichen.

Arzt und Patient können gemeinsam beschliessen, die Behandlung zu beenden, wenn sich die Allergie-Beschwerden und der Bedarf an Allergiemedikamenten (bei Heuschnupfen-Allergikern zum Beispiel während der letzten Pollenflugsaison) ausreichend verringert haben.

Ausserdem kann der Arzt einen Hauttest mit dem betreffenden Antigen machen und dem Patienten Blut abnehmen, um die Immunreaktion zu bestimmen: Bei Typ-I-Allergikern finden sich in der Regel spezifische Immunglobine E (IgE) im Blut. Diese Klasse von Antikörpern spielt eine wichtige Rolle bei der Auslösung von allergischen Reaktionen vom Soforttyp. Wenn sich der IgE-Wert im Blut verringert oder komplett normalisiert hat, gilt die Hyposensibilisierung als erfolgreich abgeschlossen.

Welche Risiken birgt eine Hyposensibilisierung?

Insgesamt ist die Hyposensibilisierung ein sehr sicheres Verfahren. Als Nebenwirkungen können allergische Reaktionen auf das verabreichte Allergen wie Niesen, Augentränen, Schwellungen oder Juckreiz auftreten.

Vor allem in der Anfangsphase der spezifischen Immuntherapie zeigen sich sehr oft milde Nebenwirkungen wie Rötung, Schwellung, Juckreiz, Quaddeln und Müdigkeit. Fallen diese Beschwerden stärker aus, verordnet der Arzt normalerweise Medikamenten dagegen (wie Antihistaminika) und reduziert die nächste Allergen-Dosis.

Schwerere, jedoch gut behandelbare Nebenwirkungen, die bei einer Hyposensibilisierung möglich sind, sind beispielsweise Quaddeln am gesamten Körper (Urtikaria = Nesselsucht) und eine Schwellung im Halsbereich (Quincke-Ödem, Angioödem).

Die gravierendste Nebenwirkung einer Hyposensibilisierung ist der anaphylaktische Schock - die schwerste Form einer allergischen Reaktion. Sie kann bis zum Atem- und Kreislaufstillstand führen. Das Risiko eines anaphylaktischen Schocks ist bei der SCIT höher als bei der SLIT. Für diesen Notfall stehen daher in der Praxis immer entsprechende Medikamente bereit.

Um zu beobachten, wie der Patient reagiert, muss er für gewöhnlich nach jeder Therapiesitzung eine halbe Stunde zur Beobachtung in der Praxis bleiben. Zudem sollte er am betreffenden Tag körperliche Belastung und Alkohol meiden.

Wann sollten Allergiker keine Hyposensibilisierung beginnen?

Nicht jeder Patient, der an einer dieser Allergien leidet, sollte eine Hyposensibilierung durchführen. Die häufigsten Ausschlusskriterien bei der Hyposensibilisierung sind:

  • schwerwiegende allergische Reaktionen (etwa Anaphylaxie) in der Vergangenheit
  • aktuelle Krebserkrankung
  • Herz-Kreislauf-Krankheiten oder Einnahme von Beta-Blockern
  • schwere Autoimmunerkrankungen oder Immundefekte
  • unkontrolliertes Asthma
  • unbehandelte chronische Infektion (wie HIV oder Hepatitis C)
  • schwere psychiatrische Erkrankungen
  • mangelnde Therapietreue (Adhärenz)
  • entzündliche Darmerkrankungen und offene Wunden in der Mundhöhle (bei der SLIT)

Schwangere Frauen sollten ebenfalls keine Hyposensibilisierung beginnen, da die Stärke der Immunreaktion und deren Einfluss auf den Fötus nicht ausreichend vorhersehbar sind. Hat die werdende Mutter die Hyposensibilisierung aber bereits vor der Schwangerschaft begonnen und gut vertragen, kann sie sie während der Schwangerschaft fortsetzen.

Selbst wenn eine der oben genannten Gegenanzeigen (Kontraindikationen) vorliegt, ist in Einzelfällen eine Hyposensibilisierung möglich. Patienten sprechen dazu am besten mit ihrem Arzt über Nutzen und Risiken einer solchen Behandlung.

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Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autor:
Markus Fichtl
Markus Fichtl

Markus Fichtl ist freier Autor in der NetDoktor-Medizinredaktion.

Quellen:
  • Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA): Palforzia (entfettetes Erdnusspulver), unter www.ema.europa.eu (Abrufdatum: 27.01.2023)
  • Klimek, L. et al.: Weißbuch Allergie in Deutschland, Springer Medizin Verlag, 4. Auflage, 2019
  • S2k-Leitlinie der Dt. Ges. für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI): Allergen-Immuntherapie bei IgE-vermittelten allergischen Erkrankungen, Stand: Juni 2022, unter: www.awmf.org (Abrufdatum: 27.01.2023)
  • S2k-Leitlinie der Dt. Ges. für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP): Diagnostik und Therapie von Patienten mit Asthma, Stand: September 2017 (derzeit in Überarbeitung), unter: www.awmf.org (Abrufdatum: 27.01.2023)
  • Trautmann, A. et Kleine-Tebbe, J. (Hrsg.): Allergologie in Klinik und Praxis, Georg Thieme Verlag, 4. Auflage 2022
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