Stupor

Von , Medizinredakteurin und Biologin
Martina Feichter

Martina Feichter hat in Innsbruck Biologie mit Wahlfach Pharmazie studiert und sich dabei auch in die Welt der Heilpflanzen vertieft. Von dort war es nicht weit zu anderen medizinischen Themen, die sie bis heute fesseln. Sie ließ sich an der Axel Springer Akademie in Hamburg zur Journalistin ausbilden und arbeitet seit 2007 für NetDoktor (zwischenzeitlich als freie Autorin).

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Stupor ist ein Zustand psychischer und motorischer Erstarrung. Obwohl die Betroffenen wach sind, reagieren sie kaum oder gar nicht auf äussere Reize. Sie sind bewegungslos, mitunter ist ihre Muskulatur angespannt. Oft sind sie verstummt oder in ihrer sprachlichen Kommunikation deutlich eingeschränkt. Lesen Sie hier, wie sich Stupor äussert, was ihn auslöst und was sich dagegen tun lässt.

Depression; traurig; Frau

Kurzübersicht

  • Was ist Stupor? Zustand der psychomotrischen Erstarrung. Betroffene reagieren nicht auf ihre Umwelt, obwohl sie weder schlafen noch in ihrem Bewusstsein gestört sind.
  • Ursachen: z. B. Depression, schizophrene Psychose, organische Gründe (z.B. Gehirnentzündung, Hirntumor, Lebererkrankungen, Demenz), Medikamente oder Vergiftungen
  • Symptome: u. a. Reaktionslosigkeit, Sprechunfähigkeit, verkrampfte Muskulatur, eingeschränkte Sehfähigkeit
  • Wann zum Arzt? Immer - Stupor ist in den allermeisten Fällen ein Anzeichen für eine schwere körperliche oder geistige Erkrankung.
  • Untersuchungen: Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese), körperliche Untersuchung, Laboruntersuchungen, neurologische Untersuchung, Messung der Hirnströme (EEG), bildgebende Verfahren (wie MRT)
  • Behandlung: je nach Ursache, z.B. Behandlung der Grunderkrankung, Gabe von Antidepressiva oder Neuroleptika, Elektrokonvulsionstherapie. Ebenfalls wichtig: gleichbleibende Zuwendung, Ansprache und Berührung - auch, diese die Patienten nicht reagieren.

Stupor: Definition

Der Begriff Stupor kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie „Erstarrung“. Entsprechend ist bei einem Stupor der Antrieb extrem vermindert, die Betroffenen reagieren gar nicht oder nur minimal auf Umweltreize. Ihre Umgebung und was darin vorgeht nehmen sie nichtsdestotrotz wahr, sogar mit besonderer Empfindlichkeit – sie können sich nur nicht daran beteiligen oder darauf reagieren.

So wenden die Betroffenen beispielsweise weder den Kopf noch den Blick hin zu Mitmenschen, die auf sie zukommen oder sie berühren. Sie sind verstummt (mediz. Mutismus) oder zumindest in ihrer sprachlichen Kommunikation stark eingeschränkt. Eine Kontaktaufnahme mit den Betroffenen ist deshalb nur sehr eingeschränkt oder gar nicht möglich. Manche Patienten haben auch hohes Fieber.

Unterschied zwischen Stupor und Katatonie

Auf den ersten Blick erscheinen beide Begriffe synonym, da sie eine körperliche Starre bezeichnen. Dennoch unterscheiden sich Stupor und Katatonie.

So beschrieb der Psychiater Ludwig Kahlbaum Katatonie bereits in den 1860er-Jahren als „motorisch-muskuläre bzw. mentale Anspannung“, die seiner Definition nach einen Verlauf nimmt, der zyklisch aus den aufeinanderfolgenden Erscheinungsbildern Verstimmung, Manie, Stupor, Verwirrtheit und eventuell Demenz sowie Wahnvorstellungen besteht.

So gesehen ist die Katatonie ein Überbegriff für extrem hohen Muskeltonus am ganzen Körper, Stupor ist eine Unterkategorie beziehungsweise ein katatones Symptom.

Stupor: Ursachen und mögliche Erkrankungen

Stuporöse Zustände können unterschiedlichste Ursachen haben, die sich wie folgt unterteilen lassen.

Depressiver Stupor

Er ist das Ergebnis extremster Antriebshemmung bei Menschen mit einer schweren Depression. Die Betroffenen wirken resigniert und weniger autistisch als bei der katatonen Form. Obwohl der Antrieb stark gehemmt ist, besteht Suizidgefahr. Die Patienten müssen deshalb überwacht werden.

Katatoner Stupor

Ein katatoner Stupor tritt im Rahmen einer schizophrenen Psychose auf. Die Muskelspannung (Muskeltonus) der Betroffenen ist stark erhöht (Rigor = Muskelstarre). Das kann zur Katalepsie, einer „wächsernen Biegsamkeit“ führen: Von Mitmenschen, wie zum Beispiel dem Arzt passiv herbeigeführte Körperhaltungen (wie starke Krümmung der Arme und Finger) behält der Patient in einer Weise bei, wie es willkürlich niemals möglich wäre - und dies manchmal über Stunden.

Psychogener (Dissoziativer) Stupor

Unter diesen Begriff fallen all jene Fälle von Stupor, die ohne Depression oder schizophrene Psychose auftreten. Es gibt auch keine Hinweise auf eine organische Ursache. Vielmehr lässt sich ein enger Zusammenhang zu einem kürzlich vorausgegangenen traumatischen Erlebnis oder einem belastenden Problem erkennen.

Organisch bedingter Stupor

Wenn ein Patient stuporös ist, kann das auch organische Ursachen haben wie zum Beispiel:

Medikamenten-/toxisch-bedingter Stupor

Stupor kann zum Beispiel im Rahmen des malignen neuroleptischen Syndroms (MNS) auftreten – eine sehr seltene, aber lebensbedrohliche Nebenwirkung von Neuroleptika. Das sind Medikamente, die etwa bei Wahnvorstellungen, Schizophrenie oder starken Erregungszuständen gegeben werden.

Auch eine Vergiftung (Intoxikation) mit Neuroleptika oder aber mit Drogen wie PCP („Angel Dust“/„Engelsstaub“) oder LSD können zu einem Stupor führen.

Stupor: Symptome

Das offensichtlichste Symptom eines Stupors ist wohl, dass der Betroffene keine Reaktion auf äussere Reize zeigt. Darüber hinaus äussert sich ein Stupor - je nach Ursache - mitunter mit weiteren Anzeichen:

  • Anzeichen im Bereich der Muskulatur: Der Betroffene ist unfähig, sich zu bewegen, die Muskulatur ist angespannt - teils so stark, dass sie den Kopf nach hinten zieht, Arme oder Beine des Betroffenen streckt. Manchmal entstehen auch unwillkürliche Muskelkontraktionen.
  • Anzeichen im Bereich der Augen: Die Pupille in einem oder beiden Augen kann erweitert (dilatiert) oder starr sein. Eventuell bewegen sich die Augen gar nicht, nur eingeschränkt oder abnormal.
  • kein Sprechen: Betroffene können nicht sprechen. Mediziner nennen dieses Phänomen auch Mutismus.
  • sonstige Symptome: Manchmal treten bei einem Stupor auch Symptome auf, die nicht der Erstarrung selbst, sondern der verursachenden Erkrankung zuzuordnen sind. So kann zum Beispiel eine Hirnhautentzündung (Meningitis) mit Erbrechen, Fieber, Kopfschmerzen und Nackensteife einhergehen.

Stupor: Komplikationen

Eine schwere Komplikation bei einem Stupor ist, dass sich quergestreifte Muskelfasern auflösen beziehungsweise zerfallen (Rhabdomyolyse). Solche Muskelfasern finden sich vor allem in der Skelettmuskulatur. Die grosse Menge an Muskeleiweiss (Myoglobin), die bei dem Zerfall frei wird, kann ein akutes Nierenversagen nach sich ziehen.

Weitere mögliche Komplikationen sind:

Je länger der Stupor anhält, desto wahrscheinlicher sind solche Komplikationen und desto höher ist die Sterblichkeit der Patienten.

Stupor: Wann sollten Sie zum Arzt?

Ein Stupor ist meist die Folge eines seelischen Schocks, einer schweren psychischen oder körperlichen Erkrankung. Die Betroffenen gehören immer in ärztliche Behandlung!

Stupor: Was macht der Arzt?

Der Arzt muss zuerst feststellen, ob es sich tatsächlich um einen Stupor handelt und was ihn verursacht. Dann kann er eine passende Therapie einleiten.

Stupor: Diagnose

Der Arzt wird zunächst die Krankengeschichte des Patienten erheben (Anamnese). Normalerweise geschieht dies im Gespräch. Oft aber ist eine Kommunikation mit dem Betroffenen selbst nicht möglich. Dann können Angehörige wertvolle Informationen liefern. Im Anamnesegespräch fragt der Arzt speziell nach psychiatrischen Vorerkrankungen (wie Depression, schizophrene Psychose).

Im Anschluss folgt eine körperliche Untersuchung. Dabei prüft der Arzt zum Beispiel den Muskeltonus und ob der Patient auf Schmerzreize oder Ansprache reagiert.

Weitere wichtige Informationen können Laboruntersuchungen (Blut, Liquor = Hirn- und Rückenmarksflüssigkeit), die Messung der elektrischen Hirnströme (EEG), neurologische Untersuchungen und bildgebende Verfahren (wie Kernspintomografie) liefern. Sie können dabei helfen, die genaue Ursache von Stupor zu entdecken und andere Ursachen für die vorliegenden Symptome auszuschliessen.

Stupor: Behandlung

Die Behandlung richtet sich nach der Ursache für den Stupor:

So wird bei organisch bedingtem Stupor in erster Linie die Grunderkrankung (wie Hirnödem, Enzephalitis) behandelt.

Patienten mit katatonem Stupor erhalten Neuroleptika (Antipsychotika) wie Haloperidol oder Fluphenazin. Eventuell verordnet der Arzt zusätzlich Lorazepam (Beruhigungsmittel und Angstlöser). Letzteres kann er versuchsweise auch bei psychogenem Stupor geben.

Patienten mit depressivem Stupor bekommen Antidepressiva wie Doxepin, Clomipramin, Amitryptilin oder Citalopram. Auch Neuroleptika kommen zum Einsatz.

In manchen Fällen von Stupor kann eine Elektrokonvulsionstherapie (Elektrokrampftherapie, EKT) erforderlich sein: Unter Kurznarkose erhält der Patient elektrische Impulse, die einen generalisierten Krampfanfall auslösen. Das Verfahren gilt als risikoarm und wird meist an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen wiederholt. Vor Behandlungsbeginn ist es notwendig, eventuell gegebene Neuroleptika und Antidepressiva abzusetzen.

Sonstige Massnahmen

Wichtig bei Stupor ist zudem eine gleichbleibende Zuwendung durch alle an der Behandlung beteiligten Personen – trotz der Teilnahmslosigkeit des Patienten. Dazu gehört auch eine regelmässige Ansprache, auch wenn der Patient nicht oder kaum spricht. Laut der Aussage ehemaliger Stupor-Patienten kann dies vertrauensbildend und entlastend wirken.

Besonders bei psychogenem Stupor ist eine ruhige, reizarme Atmosphäre sehr wichtig. Oft ist nur dann ein therapeutisches Gespräch möglich.

Die Patienten erhalten eine Rundumüberwachung (eventuell Sitzwache) mit Kontrolle der Vitalfunktionen und Massnahmen, um Blutgerinnseln (Thrombose) und Wundliegen (Dekubitus) vorzubeugen. Patienten, die eine Nahrungsaufnahme verweigern, werden künstlich ernährt.

Eine Behandlung auf der Intensivstation ist nötig, wenn Komplikationen auftreten (z.B. Muskelzerfall = Rhabdomyolyse, hohes Fieber, erhöhte Entzündungswerte im Blut, Lungenentzündung, Sepsis). Auch bei unsicherer Diagnose sollten (potenzielle) Stupor-Patienten eine intensivmedizinische Behandlung erhalten.

Stupor: Das können Sie selbst tun

Auch wenn die Patienten keine Reaktionen zeigen, ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass sie wach sind. Ein zugewandtes Verhalten mit freundlicher Ansprache und Berührungen kann den Heilungsprozess unterstützen und die Stupor-Patienten beruhigen und entlasten.

Autoren- & Quelleninformationen

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autor:

Martina Feichter hat in Innsbruck Biologie mit Wahlfach Pharmazie studiert und sich dabei auch in die Welt der Heilpflanzen vertieft. Von dort war es nicht weit zu anderen medizinischen Themen, die sie bis heute fesseln. Sie ließ sich an der Axel Springer Akademie in Hamburg zur Journalistin ausbilden und arbeitet seit 2007 für NetDoktor (zwischenzeitlich als freie Autorin).

Quellen:
  • Amboss – Fachwissen für Mediziner: "Schizophrenie"; unter: www.amboss.com (Abruf: 06.08.2020)
  • Benkert, O. & Hippius, H.: Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie, Springer Verlag, 11. Auflage 2017
  • Berzewski, H.: Der psychiatrische Notfall, Springer Verlag, 3. Auflage 2009
  • Bräunig, P. & Krüger, S.: Katatonie; in: Psychiatrische Praxis, Georg Thieme Verlag 2005
  • Dorsch Lexikon der Psychologie: Katatonie, Verlag Hans Huber 2013
  • Leucht, S. & Förstl, H.: Kurzlehrbuch Psychiatrie und Psychotherapie, Georg Thieme Verlag, 2. Auflage 2018
  • Leuwer, M. et al.: Checkliste Intensivmedizin, Georg Thieme Verlag, 5. Auflage 2017
  • MSD Manuals – Ausgabe für Patienten: "Stupor und Koma"; unter: www.msdmanuals.com (Abruf: 06.08.2020)
  • Prange, H. & Bitsch, A.: Neurologische Intensivmedizin, Georg Thieme Verlag, 2004
  • Scharfetter, J. et al.: "Katatone Störungen an einer psychiatrischen Intensivpflegestation", Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie 2006; 7 (3), 34-41; unter: www.kup.at
  • Schneider, F.: Klinikmanual Psychiatrie, Psychosomatik & Psychotherapie, Springer Verlag, 2. Auflage 2016
  • Zaudig, M. et al.: Therapielexikon Psychiatrie, Psychosomatik & Psychotherapie, Springer Verlag, 2007
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