Wie die Seele die Körperabwehr steuert
Angst, Ärger, Stress – negative Gefühle können die Abwehrkräfte schwächen. Wer optimistisch ist, wird hingegen seltener krank und schneller wieder gesund. Der Grund: Gehirn und Immunsystem stehen ständig in regem Austausch. Lesen Sie mehr über das Zusammenspiel zwischen Seele und Abwehrsystem!
Die Kommunikation zwischen Gehirn und Immunsystem erfolgt unter anderem über Hormone wie dem Stresshormon Cortisol. Auch Abwehrzellen produzieren Botenstoffe, sogenannte Interleukine: Sie steuern die Aktivität des Immunsystems und signalisieren - wenn sie in grosser Menge im Blut vorhanden sind - dem Gehirn, dass beispielsweise eine Infektion im Körper tobt. Daraufhin fährt das Gehirn die Körpertemperatur hoch und sorgt dafür, dass der Patient sich schlapp und lustlos fühlt - damit er sich schont. Registriert das Gehirn, dass der Interleukinspiegel und damit die Aktivität des Immunsystems zu massiv ist, fährt es die Abwehrkräfte wieder herunter.
Neben solchen Botenstoffen dient auch das vegetative Nervensystem als Kommunikationsmedium, das Botschaften aus dem Körper ins Gehirn funkt und umgekehrt.
Alarmierte Immunzellen
Auf akuten Stress reagiert das Gehirn meist, indem es die Nebennieren verstärkt Cortisol ausschütten lässt. Das Stresshormon alarmiert zunächst die unspezifische Immunabwehr, zu der auch die natürlichen Killerzellen zählen. Diese Gruppe der Lymphozyten bildet die erste Verteidigungslinie des Körpers und macht Bakterien, Viren und Pilze unschädlich. Bei akutem Stress zirkulieren grössere Mengen von ihnen im Blut. Diese Reaktion ist evolutionsbiologisch sinnvoll, denn Stress war einst in erster Linie eine Reaktion auf Gefahrensituationen. In diesen ist die Verletzungsgefahr besonders gross – und damit die Gefahr, dass Krankheitserreger über Wunden in den Körper eindringen können.
Chronischer Stress schwächt die Abwehr
Chronischer Stress hingegen wirkt sich anders aus: Der Kortisolspiegel im Blut ist dann dauerhaft erhöht. Das Stresshormon dockt an Rezeptoren an, die an der Oberfläche bestimmter weisser Blutkörperchen sitzen. In der Folge schütten diese Zellen weniger Interleukin-1-beta aus. Dieser Botenstoff regt normalerweise die Immunzellen zur Vermehrung an. Interleukin-1-beta erhöht ausserdem die Aktivität der natürlichen Killerzellen und fördert die Bildung von Antikörpern, die auf bestimmte Krankheitserreger spezialisiert sind. Sinkt der Spiegel des Botenstoffs, nimmt also auch die Schlagkraft des Immunsystems ab.
Wer dauernd "unter Strom" steht, muss sich folglich nicht wundern, wenn ihn immer wieder ein Infekt lahmlegt. In stressigen Zeiten kehren bei vielen Menschen zudem die lästigen Herpes-Bläschen wieder, deren Verursacher normalerweise vom Immunsystem in Schach gehalten werden. Auch Wunden heilen langsamer, wenn der Verletzte gestresst ist.
Stressbremse Sport
Alles, was Stress entgegenwirkt, stärkt hingegen das Immunsystem. Sport beispielsweise bewirkt, dass der Cortisolspiegel im Blut sinkt. Regelmässige körperliche Aktivität stärkt somit das Immunsystem.
Anders sieht es allerdings aus, wenn die körperliche Anstrengung so gross ist, dass sie in Stress ausartet. Dann schwächt sie die Abwehrkräfte. Nach einem Marathon beispielsweise sind Athleten besonders infektanfällig.
Unterstützend für die Abwehrkräfte wirken daher auch gezielte Entspannungstechniken, beispielsweise Autogenes Training, progressive Muskelentspannung oder Achtsamkeitsübungen.
Die fatale Macht negativer Gefühle
Auch negative Gefühle machen dem Immunsystem zu schaffen. Menschen, die unter Depressionen oder Ängsten leiden, sind daher anfälliger für Infekte. Wie gross dieser Einfluss ist, zeigen unter anderem Untersuchungen mit Krebspatienten. So starben in einer Studie die Hälfte der Brustkrebspatientinnen, die zusätzlich unter Depressionen litten, innerhalb von fünf Jahren - aber nur ein Viertel jener Krebspatientinnen, die nicht depressiv waren.
Der Grund dafür könnte sein, dass seelisch stabile Patienten mehr natürliche Killerzellen im Blut haben. Und diese können neben Krankheitserregern auch entartete Zellen aufspüren und unschädlich machen.
Positiver Energieschub
Positive Emotionen können dagegen das Immunsystem stärken und sogar die Heilungschancen bei Krebs verbessern. Die Psychoonkologie hat deshalb zum Ziel, die seelischen Belastungen aufzufangen, die mit einer Krebserkrankung einhergehen. Im Rahmen der Behandlung werden über verhaltenstherapeutische Techniken positive Gedanken gestärkt und negative Gedanken entschärft. Hinzu kommen Visualisierungstechniken, die eine positive Stimmung erzeugen.
Hyperaktive Immunzellen
Nicht immer werden die Abwehrkräfte durch seelische Belastungen und Stress gedämpft. In manchen Fällen kann seelischer Druck auch dazu führen, dass das Immunsystem überreagiert. So können Depressionen, aber auch chronischer Stress und unterdrückter Ärger bestehende Autoimmunerkrankungen wie rheumatoide Arthritis und die chronisch-entzündliche Darmerkrankung Colitis ulcerosa verschlimmern.
Das liegt vermutlich an einem Mangel an Cortisol, glauben Experten. Denn Cortisol hemmt normalerweise die Produktion von Interleukin-2. Ist der Cortisolspiegel hingegen niedrig, steigt die Interleukin-2-Produktion. Das ruft verstärkt T-Zellen auf den Plan, die im Rahmen von Autoimmunerkrankungen auch körpereigene Zellen attackieren. Gestützt wird diese Theorie unter anderem durch Beobachtungen, dass bei manchen Schwangeren mit rheumatoider Arthritis die Symptome auf einmal verschwinden - während der Schwangerschaft steigt der Cortisolspiegel an.
Allergieschub durch Stress
Ein ähnlicher Mechanismus führt dazu, dass sich die Symptome allergischer Erkrankungen unter Stress verschlimmern können. Das kann etwa bei Neurodermitis und Asthma passieren. Das Immunsystem der Betroffenen ist überreizt und produziert grössere Mengen Immunglobulin E. Diese Antikörper heften sich bei Allergiepatienten an die sogenannten Mastzellen (eine Untergruppe der Leukozyten), die daraufhin Histamin ausschütten. Dieser Stoff ruft die typischen Allergiesymptome wie Juckreiz, Hautrötungen und Gewebsschwellungen (Ödeme) hervor.
Das Erlernen einer Entspannungsübung kann folglich auch Allergikern das Leben leichter machen, wie Studien zeigen: Asthmakranke erleiden seltener Attacken, die Haut von Neurodermitispatienten bessert sich, und auch Heuschnupfengeplagte profitieren von gezielter Entspannung.
Autoren- & Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.
- Rüegg, J.C.: Gehirn, Psyche und Körper: Neurobiologie von Psychosomatik und Psychotherapie, Schattauer-Verlag, 5. Auflage, 2010
- Watson M. et al.: Influence of psychological response on survival in breast cancer: a population-based cohort study. Lancet. 1999 Oct 16;354(9187):1331-6