Totgeburt

Von , Biologin
Dr. Nicole Wendler

Nicole Wendler ist promovierte Biologin aus dem Bereich Onkologie und Immunologie. Als Medizinredakteurin, Autorin und Lektorin ist sie für verschiedene Verlage tätig, für die sie komplizierte und umfangreiche medizinische Sachverhalte einfach, prägnant und logisch darstellt.

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Eine Totgeburt ist ein schmerzhaftes Ereignis. Die Nachricht über den Tod des Ungeborenen zählt zu den schlimmsten Situationen, die ein Paar erleben muss. Sie trifft viele werdende Eltern völlig unerwartet und zerstört alle Vorfreude auf eine gemeinsame Zukunft mit dem Kind. Erfahren Sie hier alles Hilfreiche zum Thema Totgeburt.

Totgeburt

Wann spricht man von einer Totgeburt?

Je nach Land gibt es verschiedene Definitionen für eine Totgeburt. Ausschlaggebend sind die Schwangerschaftswoche und das Geburtsgewicht des Kindes zum Zeitpunkt des Todes.

In Deutschland gilt ein Kind als Totgeburt, wenn es bei der Geburt nach der 22. Schwangerschaftswoche keine Lebenszeichen mehr aufweist und mindestens 500 Gramm wiegt. In diesem Fall dürfen die Eltern dem Kind einen Namen geben. Dieser wird im Sterbebuch eingetragen. Das Standesamt stellt eine Urkunde für Ihr Kind aus, die Sie für Sozialversicherungsträger und Arbeitgeber benötigen. Anders als bei einer Fehlgeburt haben Sie nach einer Totgeburt ein Recht auf Mutterschutz, Familienbeihilfe und eine Nachsorgehebamme.

Seit Mai 2013 besteht eine gesetzliche Neuregelung des Personenstandrechts (PStRÄndG), die es Eltern ermöglicht, auch Kinder unter 500 Gramm Geburtsgewicht ("Sternenkinder") beim Standesamt dokumentieren zu lassen. Sie können Ihrem Kind damit offiziell eine Existenz geben und es bestatten. Welche Formalitäten nötig sind, ist je nach Bundesland unterschiedlich geregelt.

Totgeburt: Manchmal unerwartet, manchmal mit Anzeichen

Bei einigen Frauen kündigen eine Blutung, Unterleibsschmerzen und/oder fehlende Kindsbewegungen an, dass etwas nicht stimmt. Im Ultraschall bestätigt sich dann womöglich der schlimme Verdacht: Das Kind im Bauch zeigt keine Lebenszeichen mehr! Manchmal scheint aber auch alles wie immer zu sein, sodass der Arzt vollkommen unerwartet bei der Vorsorgeuntersuchung den Tod des Babys feststellt.

Vielleicht diagnostiziert der Gynäkologe auch eine schwere Fehlbildung beim Ungeborenen, mit der es nicht lebensfähig ist und kurz nach der Geburt versterben wird. Um zu verhindern, dass so ein schwer geschädigtes Kind die Geburt überlebt, kann manchmal ein Fetozid (gezielte Tötung eines ungeborenen Kindes im Mutterleib) nötig sein.

Alle Szenarien münden in die gleiche ausweglose Situation: der Totgeburt des geliebten Babys.

Schocknachricht Totgeburt

Der Schock sitzt tief und zeigt sich bei jedem Betroffenen anders. Zwischen Teilnahmslosigkeit, Panik und Verzweiflung dauert es eine Weile, das Geschehen zu begreifen. Seelsorger oder Psychologen helfen bei der Verarbeitung und dem Umgang mit der schlechten Nachricht.

Viele Frauen möchten, sobald sie vom Tod ihres Kindes erfahren, möglichst schnell und per Kaiserschnitt die untröstliche und hoffnungslose Situation beenden. Lassen Sie sich jedoch Zeit. Sie haben in den Wochen der Schwangerschaft eine emotionale Bindung zu Ihrem ungeborenen Baby aufgebaut, die nun völlig unerwartet ein Ende gefunden hat. Eine zu schnelle Trennung durch einen Kaiserschnitt erschwert den Abschied und kann den Trauerprozess nachhaltig beeinträchtigen.

Oft ist es daher besser, das tote Kind zu gebären, was in den meisten Fällen auch möglich ist. Lassen Sie sich von Ihrem Frauenarzt oder Ihrer Hebamme ausführlich und in Ruhe über so eine "stille Geburt" beraten.

Die "stille Geburt"

Der Begriff "stille Geburt" stammt aus dem englischen ("stillbirth") und beschreibt sehr gut diese besondere Entbindung, bei der der Schrei des Neugeborenen ausbleibt. Obwohl das Kind bereits im Mutterleib verstorben ist, besteht aus gesundheitlicher Sicht in der Regel kein Grund zum überstürzten Handeln. In den meisten Fällen ist es möglich, abzuwarten, bis die Wehen einsetzen. Mitunter ist auch ein Einleiten der Wehen nötig. Nur in wenigen Ausnahmen (schwere Infektion, geplatzte Fruchtblase) muss das Kind per Kaiserschnitt entbunden werden.

Ist das Kind wegen einer schweren Fehlbildung nicht lebensfähig, kommt es möglicherweise noch lebend auf die Welt und verstirbt einige Minuten oder Stunden später in den Armen seiner Eltern. Damit Ihr Baby dabei nicht leidet, verabreicht der Arzt bei Bedarf ein Schmerzmittel oder gibt Atemunterstützung. Grundsätzlich sind Sie in dieser Situation nicht allein. Ärzte und Geburtshelfer stehen Ihnen unterstützend zur Seite.

Auch wenn eine "stille Geburt" vielleicht unnormal erscheint, irritiert oder verschreckt: Eine Stillgeburt erleichtert das Abschied nehmen. Sie haben die Möglichkeit, kostbare Augenblicke mit Ihrem Baby zu erleben und diesen wertvollen Moment mit Ihren Sinnen wahrzunehmen, indem Sie Ihr Kind im Arm halten, streicheln und seinen Duft einatmen. Sie können Ihrem Baby Geborgenheit und Liebe geben, dürfen es anziehen, Erinnerungsfotos machen oder einen Abdruck von Fuss oder Hand anfertigen. Ausserdem schüttet der Körper - wie bei jeder Geburt - Hormone aus, die diese schwere Situation auch für die Psyche erträglicher machen.

Ursachen für eine Totgeburt

Nach einer Totgeburt quält viele Eltern die Frage nach dem "Warum". Eine Antwort darauf kann für den Trauerprozess, für die Verarbeitung des Erlebten und auch für Folgeschwangerschaften wichtig sein.

Gründe für eine Totgeburt können sein:

  • Störungen der Plazenta, z.B. Durchblutungsstörungen oder vorzeitiges Ablösen der Plazenta
  • Sauerstoffmangel aus anderen Gründen als einer Plazentastörung
  • Infektionen, die das Kind oder die Plazenta schädigen und über das Fruchtwasser oder die Eihäute übertragen wurden
  • unzureichende Versorgung des Kindes über die Nabelschnur (Nabelschnurknoten, Nabelschnurvorfall, Nabelschnur um den Hals)
  • kindliche Fehlbildungen

Obduktion nach Totgeburt

In einigen Fällen ist eine Obduktion des toten Kindes sinnvoll, um ein Wiederholungsrisiko für nachfolgende Schwangerschaften oder Behandlungsfehler auszuschliessen. Mancher Frau hilft eine Obduktion auch, um sich von Schuldgefühlen am Tod des Kindes und Selbstvorwürfen zu befreien. Grundsätzlich ist eine Obduktion aber nicht zwingend notwendig, zum Beispiel, wenn bereits während der Schwangerschaft eine Chromosomenstörung festgestellt wurde. Ausserdem: Manchmal findet sich trotz Obduktion kein Grund für diesen Schicksalsschlag.

Wochenbett nach Totgeburt

Egal, ob Stillgeburt oder Kaiserschnitt – die Zeit im Wochenbett ist für die meisten Mütter eine traurige Zeit. Für den Körper gibt es keinen Unterschied zwischen Lebend- und Totgeburt: Ein leerer Bauch, Nachwehen und das Einsetzen der Milchbildung sind in beiden Fällen vorhanden. Bei einer Totgeburt erinnert dies alles täglich an den schmerzhaften Verlust. Hier beginnt nun eine unter Umständen längere Trauerarbeit.

In der Zeit nach der Totgeburt sind Hebammen oft die ersten Ansprechpartner. Sie stehen bei körperlichen und auch seelischen Problemen mit Rat und Tat zur Seite und geben hilfreiche Informationen, zum Beispiel über einen speziellen Rückbildungskurs für Frauen nach einer Totgeburt.

Sie wissen auch, wie es gelingt, die Milchbildung zu stoppen. Der mütterliche Körper ist darauf vorbereitet, ein Kind zu versorgen. Daher setzt auch ein paar Tage nach einer Totgeburt die Milchbildung ein. Dies lässt sich zwar medikamentös reduzieren, kann aber mit Nebenwirkungen verbunden sein. Eine andere Methode ist das natürliche Abstillen. Dabei verlangsamen kühlende Umschläge und ein Hochbinden der Brüste die Milchproduktion. Ein Abpumpen der Milch ist nicht zu empfehlen, da dies die Milchbildung anregt.

Nach einer Totgeburt übernimmt die Krankenkasse für mehrere Wochen die Kosten für eine Nachsorgehebamme.

Abschiedsrituale

Nach einer Totgeburt sollten Eltern, Geschwister und Angehörige Abschied nehmen können. In der Klinik, im Bestattungsinstitut oder auch zu Hause ist ein Aufbahren des Leichnams möglich. Anschliessend können Sie Ihr totes Kind im Familiengrab oder in einem Kindergrab beisetzen. Sowohl eine Feuer- oder Erdbestattung als auch eine Beerdigung ausserhalb des Friedhofs in einem Baumgrab oder eine Seebestattung sind nach einer Totgeburt möglich.

Trauerarbeit nach Totgeburt

Mutter, Vater, Geschwisterkinder, Verwandte – alle, die sich auf das Baby gefreut haben, trauern. Jeder tut dies auf seine Weise: Manche im Stillen und in sich gekehrt, andere tränenreich und mit lautem Wehklagen. Verständnisvolle und mitfühlende Freunde und Angehörige, die Ihnen zur Seite stehen und denen Sie Ihr Herz ausschütten können, sind ein Geschenk.

Scheuen Sie sich auch nicht, professionelle Hilfe von Trauerbegleitern in Anspruch zu nehmen. Für viele Eltern ist es nach einer Totgeburt ausserdem befreiend, sich mit anderen Betroffenen im Kreis einer Selbsthilfegruppe auszutauschen. Was noch wichtig ist: Gerade als Paar sollten Sie in dieser schweren Phase offen miteinander über das Geschehene und Ihre Gefühle reden und den Kontakt zueinander nicht verlieren.

Besondere Gedenktage (Geburtstag, "Worldwide Candle Lighting"), die Pflege eines Kindergrabes und das Führen eines Tagebuchs sind Möglichkeiten, die Trauer auszuleben und das Geschehene zu verarbeiten. Dies ist wichtig, damit die Erinnerung an die Totgeburt später nicht mehr nur schmerzhaft empfunden wird, sondern auch mit Liebe und Dankbarkeit gegenüber dem verlorenen Kind verbunden ist.

Totgeburt – damals und heute

In den letzten Jahrzehnten hat sich viel getan. Früher ging man davon aus, dass die Bindung zwischen Mutter und Kind erst nach der Geburt entsteht, und der Anblick des toten Kindes das Trauma verschlimmern würde. Bei einer Totgeburt bekamen Frauen ihr Kind daher nicht zu sehen und eine Bestattung war nicht vorgesehen. Die Erfahrungen betroffener Frauen zeigen jedoch, dass sich das Sehen und Spüren des Kindes positiv auf den Trauerprozess auswirken. Das kleine Wesen ist dadurch – wenn auch nur für kurze Zeit – Teil des Lebens und als vollwertiger Mensch angenommen.

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autor:
Dr. Nicole Wendler
Dr.  Nicole Wendler

Nicole Wendler ist promovierte Biologin aus dem Bereich Onkologie und Immunologie. Als Medizinredakteurin, Autorin und Lektorin ist sie für verschiedene Verlage tätig, für die sie komplizierte und umfangreiche medizinische Sachverhalte einfach, prägnant und logisch darstellt.

Quellen:
  • Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung: www.bib-demografie.de (Abruf: 19.11.2019)
  • Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: www.bmfsfj.de (Abruf: 19.11.2019)
  • Bundesverband für verwaiste Eltern und trauernde Geschwister in Deutschland: www.veid.de (Abruf: 19.11.2019)
  • Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: www.familienplanung.de (Abruf: 19.11.2019)
  • Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof e.V. Verein für Kultur und Denkmalpflege. Ohlsdorf – Zeitschrift für Trauerkultur: www.fof-ohlsdorf.de (Abruf: 19.11.2019)
  • Kingdon, C. et al.: Seeing and holding baby: systematic review of clinical management and parental outcomes after stillbirth. Birth 2015 Jun 25. doi: 10.1111/birt.12176. [Epub ahead of print]
  • Ryninks, K. et al.: Mothers' experience of their contact with their stillborn infant: an interpretative phenomenological analysis. BMC Pregnancy Childbirth (2014) 14:203
  • The Compassionate Friends: www.compassionatefriends.org (Abruf: 19.11.2019)
  • Weyerstahl, T. & Stauber, M.: Duale Reihe – Gynäkologie und Geburtshilfe, Georg Thieme Verlag, 4. Auflage, 2013
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