Schwangerschaftsdemenz

Von , Biologin
Dr. Nicole Wendler

Nicole Wendler ist promovierte Biologin aus dem Bereich Onkologie und Immunologie. Als Medizinredakteurin, Autorin und Lektorin ist sie für verschiedene Verlage tätig, für die sie komplizierte und umfangreiche medizinische Sachverhalte einfach, prägnant und logisch darstellt.

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Die Schwangerschaftsdemenz oder auch Stilldemenz ist keine wirkliche Demenz, bei der Gehirnzellen unwiederbringlich absterben. Stattdessen sind die Hormone schuld daran, dass schwangere und stillende Frauen öfter etwas vergessen. Lesen Sie hier, was eine Schwangerschaftsdemenz auslösen kann, wie sie sich äussert und was Sie dagegen tun können.

Schwangerschaftsdemenz

Schwangerschaftsdemenz: Was ist das?

Die Schwangerschafts- oder Stilldemenz betrifft - wie der Name schon sagt - schwangere beziehungsweise stillende Frauen. Bei werdenden Müttern macht sich die schlechte Konzentrations- und Merkfähigkeit meist gegen Ende der Schwangerschaft richtig bemerkbar. Dabei handelt es sich keinesfalls um ein subjektives Empfinden, wie Studien zeigen konnten, sondern um ein messbares Phänomen. Rund 80 Prozent der Schwangeren und Stillenden kämpfen mit einem schlechten Gedächtnis. Der Begriff Demenz ist in diesem Zusammenhang allerdings völlig irreführend. Anders als beispielsweise bei der Altersdemenz lassen sich im Gehirn der betroffenen Frauen keinerlei degenerative strukturelle Veränderungen nachweisen: Gehirnzellen gehen bei der Schwangerschaftsdemenz also keine verloren! Vielmehr konnten Untersuchungen zeigen, dass das Hirnvolumen bei Müttern nach der Geburt sogar deutlich zunimmt.

Was löst eine Schwangerschaftsdemenz aus?

Auch wenn bei der Schwangerschaftsdemenz keine Gehirnzellen absterben, passiert etwas im Gehirn. Hauptverantwortlich scheinen – wie in dieser Phase zu erwarten – die Hormone zu sein. Insbesondere gegen Ende der Schwangerschaft und nach der Geburt tut sich in Sachen Hormonspiegel im weiblichen Körper nochmal einiges: Die Spiegel von Progesteron und Östrogen fallen mit der Geburt des Kindes und dem Abstossen der Plazenta ab, während jene von Oxytocin und Prolaktin ansteigen. Letztere fördern die Bindung zwischen Mutter und Kind. Deshalb vermuten Wissenschaftler, dass die Aufmerksamkeit der Frau nun so sehr auf das Baby gerichtet ist, dass alltägliche Handlungen und Abläufe einfach zu kurz kommen oder schlicht vergessen werden. Bestätigt wird dies durch Studien, denen zufolge in dieser Phase das Gehirnvolumen vor allem in jenen Regionen zunimmt, die für die mütterliche Motivation, die Verarbeitung von Emotionen und für Problemlösungen wichtig sind. Das Gehirn fokussiert sich also auf die Mutter-Kind-Beziehung.

Zusätzlich kann das Stresshormon Kortisol eine Schwangerschaftsdemenz begünstigen. Steigt der Kortisolspiegel, nimmt die Vergesslichkeit zu. Insbesondere Schlafprobleme, mit denen viele Schwangere vor allem gegen Ende der Schwangerschaft zu kämpfen haben, treiben die Kortisolwerte in die Höhe. Nach der Geburt sorgt dann das Baby für weiteren Schlafmangel. Positiv scheint sich in diesem Zusammenhang allerdings das Stillen auszuwirken: Es lässt den Kortisolspiegel wieder sinken.

Neben Schlafmangel können noch weitere Faktoren die Gedächtnisleistung beeinträchtigen, so zum Beispiel ein problematisches soziales Umfeld, körperliche und emotionale Belastungen sowie eine Überforderung als Mutter.

Wie äussert sich eine Schwangerschaftsdemenz?

Hausschlüssel, Arzttermin, Zähne putzen – alles vergessen? Was sonst immer leicht von der Hand ging, kann für Schwangere und Stillende plötzlich zur Herausforderung werden. Selbst wer vor der Schwangerschaft immer gut organisiert war, ist vor der Schwangerschaftsdemenz nicht geschützt. Viele Frauen versäumen selbst tägliche Rituale wie das Einnehmen von Medikamenten.

Neben dem vorausschauenden Gedächtnis, also der Planung und Einhaltung von Terminen, fehlen mancher frischgebackenen Mutter mitunter auch einfach die richtigen Worte. Auch diese Wortfindungsstörungen können Zeichen einer Schwangerschaftsdemenz (Stilldemenz) sein. Neben dem verbalen Gedächtnis trifft es mitunter auch das Arbeitsgedächtnis. Das Kurzzeitgedächtnis wird hingegen weniger in Mitleidenschaft gezogen.

Was hilft bei Schwangerschaftsdemenz?

Sie sind Ihren Hormonen und den daraus resultierenden Problemen nicht komplett ausgeliefert. Mit ein paar kleinen Verhaltensänderungen lassen sich die Symptome der Schwangerschaftsdemenz (Stilldemenz) etwas lindern:

  • Stress vermeiden: Aufgaben im Haushalt abgeben
  • ausreichend Schlaf und Ruhe (schlafen, wenn das Kind schläft)
  • vollwertige und regelmässige Mahlzeiten
  • viel Flüssigkeit
  • stillen (hemmt die Ausschüttung von Kortisol)

Ausserdem können Sie Ihrem Gedächtnis mit einfachen Mitteln auf die Sprünge helfen. Notieren Sie sich zum Beispiel wichtige Termine oder Aufgaben, die zu erledigen sind. Ausserdem können Sie Ihr Gedächtnis etwa durch Lesen oder Kreuzworträtsel fördern.

Schwangerschaftsdemenz: Wann zum Arzt?

Dass Sie gegen Ende der Schwangerschaft und nach der Geburt etwas vergesslicher und unorganisierter sind als gewohnt, ist erst einmal völlig normal. Spätestens zum Ende der Stillzeit wird sich dies wieder normalisieren. Entdecken Sie bei sich allerdings nicht nur die typischen Anzeichen einer Schwangerschaftsdemenz, sondern sind Sie auch extrem traurig, niedergeschlagen und antriebslos, sollten Sie einen Arzt um Rat fragen. Das könnten Anzeichen einer Depression sein.

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Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autor:
Dr. Nicole Wendler
Dr.  Nicole Wendler

Nicole Wendler ist promovierte Biologin aus dem Bereich Onkologie und Immunologie. Als Medizinredakteurin, Autorin und Lektorin ist sie für verschiedene Verlage tätig, für die sie komplizierte und umfangreiche medizinische Sachverhalte einfach, prägnant und logisch darstellt.

Quellen:
  • Ehlert, U.: Gedächtnis. Gibt es eine Art Schwangerschaftsdemenz? Gehirn & Geist 11/2015, Spektrum Verlag
  • Henry, J.D., Rendell, P.G.: A review of the impact of pregnancy on memory function. J Clin Exp Neuropsychol (2007), 29(8):793-803
  • Kim, P. et al.: The plasticity of human maternal brain: longitudinal changes in brain anatomy during the early postpartum period. Behav Neurosci (2010), 124(5):695-700
  • Shansky, R.M.: Sex differences in the central nervous system. Elsevier 2016
  • Sharp, K. et al.: Memory loss during pregnancy. Br J Obstet Gynaecol (1993), 100(3):209-215
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