Chromosomendefekte (Defekte in der Erbanlage)

Von Prof. Dr. med. Dr. med. habil. Joachim Gnirs
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Das Entstehen neuen Lebens ist ein hochkomplexer Prozess, der an verschiedensten Stellen schief gehen kann: Chromosomendefekte sind die möglichen Folgen. Wie solche Defekte in der Erbanlage entstehen und festgestellt werden können und was sie unter Umständen für das Kind bedeuten, erfahren Sie hier!

Chromosomen

Was sind Chromosomen?

Jeder Mensch verfügt in jeder Körperzelle über 46 Chromosomen, auf denen die gesamte Erbinformation gespeichert ist. Zwei davon, X und Y, sind die Geschlechts-Chromosomen. Diese 46 Chromosomen bestehen aus 23 Chromosomenpaaren. Die geschlechtliche Erbanlage bei Mädchen wird mit 46XX bezeichnet, denn sie weist zwei X-Chromosomen auf. Jungen haben je ein X- und ein Y-Chromosom, die Erbanlagen werden daher mit 46XY abgekürzt.

Zellteilung und Befruchtung

Als einzige Zellen im Körper besitzen die Geschlechtszellen (Eizellen, Samenzellen) den halben Chromosomensatz (23 Chromosomen): Die Eizellen beherbergen im Kern den Chromosomensatz 23X, der Kern der Samenzellen weist entweder den Chromosomensatz 23X oder 23Y auf.

Bei der Befruchtung - also der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle - entsteht wieder eine Zelle mit 46 Chromosomen, aus der sich dann das Kind entwickelt. Hat sich die Eizelle (23X) mit einer Samenzelle vom Typ 23X vereinigt, entsteht ein Mädchen (46XX). Bei der Verschmelzung der Eizelle mit einer Samenzelle vom Typ 23Y wird ein Junge (46XY) daraus.

Ein gesundes Kind kann sich entwickeln, wenn keine Abweichungen in den Chromosomen bei der Mutter und beim Vater vorhanden sind und die Verschmelzung sowie die folgenden Zellteilungen normal ablaufen.

Chromosomendefekte

Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, wie Abweichungen von der normalen Chromosomenordnung (sogenannte Chromosomenaberrationen) entstehen können. Solche Fehler können bei jeder Zellteilung entstehen, einschliesslich der Bildung der Ei- und Samenzellen, sowie bei der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle im Rahmen der Befruchtung.

Bei einer Zellteilung können zum Beispiel die Chromosomen falsch auf die Tochterzellen verteilt werden. Im Rahmen der Fortpflanzung bedeutet dies, dass die Chromosomenanzahl beim Kind vermindert oder vermehrt ist. Auch die Form einzelner Chromosomen kann sich verändern, es kann also zum Beispiel ein Teil abbrechen (strukturelle Chromosomendefekte).

Manche Anomalien der Erbanlage können durch äussere Einflüsse entstehen, beispielsweise durch Strahlung oder Chemikalien. Je nach Art der Chromosomenveränderung können sich unterschiedliche Missbildungen oder Krankheitsbilder entwickeln. 

Kinder mit fehlerhafter Erbanlage

  • Die bekannteste Chromosomenabweichung ist die Trisomie 21 (Down-Syndrom). Trisomie 21 bedeutet, dass das Chromosom Nummer 21 dreimal anstatt nur zweimal vorhanden ist. Die betroffenen Kinder sind in ihrer Entwicklung gehemmt und weisen häufiger als andere Kinder Fehlbildungen (wie Herzfehler) auf.
  • Kinder mit anderen Trisomien (zum Beispiel drei Chromosomen Nr. 13 oder 18) sind entweder überhaupt nicht lebensfähig oder haben eine deutlich geringere Lebenserwartung als gesunde Kinder und leiden unter schweren Behinderungen.
  • Hat ein Fötus die Erbanlage 45X0 bedeutet dies, dass ihm ein Geschlechts-Chromosom fehlt. Es entwickelt sich dann ein Mädchen mit dem sogenannten Turner-Syndrom (Ullrich-Turner-Syndrom). Frauen mit dieser Erbkrankheit sind kleinwüchsig, weisen einen verbreiterten Halsansatz auf (Pterygium colli) und können keine Kinder bekommen. Sie sind jedoch meist normal begabt.

Untersuchungen und Diagnostik von Chromosomen-Anomalien

Die Erbanlage des Fötus kann bereits im Mutterleib mithilfe verschiedener Techniken untersucht werden:

  • Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese). Das mit einer feinen Hohlnadel entnommene Fruchtwasser enthält Zellen des Kindes, die untersucht werden können. Auch chemische Analysen geben Hinweise auf eine chromosomal bedingte Erkrankung.
  • Plazenta-Untersuchung (Chorionzottenbiopsie) aus der Anlage des Mutterkuchens (CVS)
  • Nabelschnurpunktion: ultraschall-kontrollierte Blutentnahme aus der Nabelschnur und Untersuchung des Chromosomensatzes der kindlichen Blutzellen
  • Direktpunktion des Föten: Direktentnahme kindlicher Körperzellen oder Punktion der Harnblase unter Ultraschall-Kontrolle
  • Bluttests auf Chromosomenabweichungen: Sie können mit einer hohen, aber nicht hundertprozentigen Sicherheit eine Chromosomenabweichung des Ungeborenen feststellen. Möglich sind aber falsch-positive und falsch-negative Befunde, die dann durch die oben genannten Untersuchungen weiter abgeklärt werden müssen.

Bei sicherem Nachweis einer Chromosomen-Anomalie, die zu einer schweren kindlichen Behinderung führt oder gar nicht mit dem Leben vereinbar ist, kann die Schwangerschaft abgebrochen werden. Ein Schwangerschaftsabbruch sollte zum frühest möglichen Zeitpunkt durchgeführt werden - nach ausführlicher Beratung der Eltern.

Autoren- & Quelleninformationen

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Autor:
Prof. Dr. med. Dr. med. habil.  Joachim Gnirs
Quellen:
  • Breckwoldt, M. et al. Gynäkologie und Geburtshilfe, Georg Thieme Verlag, 5. Auflage, 2007
  • Bundesentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Ersttrimester-Screening: Untersuchungen zur Risikoeinschätzung (Abruf: 04.10.2019)
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