Wenn Kinder sterben
Kinder, die nur noch kurze Zeit zu leben haben, möchten ihre letzten Tage meist gern zu Hause im Kreise ihrer Familie verbringen. Das kann für Eltern und Geschwister eine grosse Herausforderung sein - aber auch die Chance, die verbleibende Zeit noch gemeinsam zu nutzen und langsam Abschied zu nehmen.
Wenn ein Kind stirbt, bleibt für die Familie die Welt stehen. Oftmals sind schwere Erkrankungen die Ursache, etwa Leukämie, schwere Stoffwechselstörungen oder Herzfehler. Wird bei einem Kind eine solche schwere Diagnose gestellt, ist nichts mehr, wie es war - nicht für die kranken Kinder, nicht für die Eltern, genauso wenig für Geschwister und sonstige Angehörige.
Leben im Ausnahmezustand
Über Monate, manchmal auch Jahre, bewegt sich das Leben zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Für die Familien bedeutet das oftmals dauerndes Pendeln zwischen Klinik und zu Hause. Daneben müssen der Alltag, die Betreuung der Geschwister, der eigene Job organisiert werden. Die nervliche Anspannung zermürbt viele Familien, weil sie ein Leben im permanenten Ausnahmezustand führen.
"Mehr Leben in den Tag"
Wenn im Verlauf einer lebensbedrohlichen Erkrankung die letzte Hoffnung auf Heilung erlischt, ist es Zeit, umzudenken. "Therapieziel-Änderung", heisst das im offiziellen Jargon. Anders ausgedrückt: Es geht nicht mehr darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben. Oft gelingt das am besten in einer vertrauten Umgebung, was auch Eltern und Kind ausserordentlich entlasten kann.
Jedes Stück Normalität tut den Kindern gut, sind Experten überzeugt. Wieder daheim zu sein, gibt ihnen Sicherheit und Geborgenheit, die sie dringend brauchen. Je nach Art und Schweregrad der Erkrankung können manche Kinder aber auch besser im Schutz der Klinik aufgehoben sein, weil es dort alle medizinischen Möglichkeiten gibt.
Zerbrechende Kinderseelen
Auch Geschwister profitieren, wenn der kranke Bruder oder die kranke Schwester nach Hause kommt. Manche von ihnen fühlen sich von den Eltern ungeliebt oder weniger geliebt, weil sich alles nur noch um das kranke Kind dreht. Gleichzeitig haben die Geschwister Schuldgefühle wegen ihrer Eifersucht. Diese seelsiche Zerreissprobe kann sich beispielsweise in Schulversagen, Bettnässen und andere Verhaltensauffälligkeiten niederschlagen - Alarmsignale für eine zerbrechende Kinderseele.
Wird das kranke Kind zu Hause betreut, sind die Geschwister nicht länger aussen vor. Sie können sich aktiv einbringen, etwa indem sie dem kranken Kind ein Eis bringen oder vorlesen oder sonstige kleine Liebesdienste übernehmen - und gemeinsam mit ihm lachen oder spielen. Die Geschwister erleben sich so als wichtiger Teil der Familie.
Ungeahnte Ressourcen
Viele Eltern wagen den Schritt allerdings nicht, ihr krankes Kind nach Hause zu holen: Sie haben grosse Angst, etwas falsch zu machen. Diese Sorge ist in vielen Fällen unbegründet. Mit professioneller Hilfe schaffen die meisten Eltern diese Aufgabe - vor allem, wenn sie sich bewusst machen, dass es viele Ressourcen gibt, die sie anzapfen können:
Zum Beispiel Freunde, die die Geschwister des kranken Kindes nachmittags in den Zoo entführen. Oder der Nachbar, der den Rasen mäht, damit die Eltern mehr Zeit für ihr Kind haben. Das soziale Netz kann viel Kraft geben. Deshalb dürfen Menschen im Umfeld der betroffenen Familien ruhig den Mut haben, ihre Scheu zu überwinden und Unterstützung anzubieten.
Und diese Unterstützung kann manchmal auch "nur" in einem offenen Ohr bestehen: Eltern von schwerstkranken Kindern tut es oft unendlich gibt, wenn sie jemandem ihr Herz ausschütten können. Wie wichtig Gespräche mit Freunden und Verwandten sind, betont auch eine Mutter, die vor Jahren ihren kleinen Sohn verlor: "Eltern, die alleine sind, tragen eine unvorstellbare Last", sagte sie auf einer Tagung der Universität München zum Thema "Pädiatrische Palliativmedizin" (medizinische Pflege von sterbenden Kindern).
Botschaft der Schmetterlinge
Oft sind die Kinder die ersten, die ihre Krankheit und den nahenden Tod akzeptieren. Kinder wissen intuitiv, wann sie gehen müssen. Dieses Wissen drücken sie symbolisch aus, in Bildern oder Gedichten. Viele malen immer wieder Schmetterlinge - Metaphern für den Übergang in eine andere Welt. Oft haben sie ganz konkrete Vorstellungen vom Tod: von Engeln, die Nutella essen, vom Wiedersehen mit der geliebten Omi oder vom Himmel, "in dem es jeden Tag Eis gibt", wie ein achtjähriger Leukämiepatient weiss. Was die Kinder am meisten belastet, ist die Verzweiflung der Eltern. Die Kinder müssen daher wissen, dass es für die Eltern in Ordnung ist, wenn sie gehen. Beim Abschied trösten oft die Kinder ihre Eltern: "Ich sitz’ dann auf der Wolke und winke dir zu."
Verwaiste Eltern
"Waisen" nennt man Kinder, die ihre Eltern verloren haben. Für Väter und Mütter, die ihr Kind verlieren, gibt es im Deutschen keinen Begriff. Vielleicht, weil ein solcher Verlust überhaupt nicht in Worte zu fassen ist. "Den Schmerz", sagt Luft, "kann man den Eltern nicht nehmen." Aber man könne lernen, den Tod als Teil des Lebens zu akzeptieren. Vielleicht hilft die Gewissheit, dass das Kind seine letzten Tage so schön wie möglich verbracht hat. "Die letzten zwei Wochen mit meinem Kind", erzählt eine andere Mutter, "das waren die schönsten in meinem Leben."
Autoren- & Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.
- Bundesverband Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister in Deutschland e.V.: www.veid.de (Abruf: 29.10.2021)
- Dachverband Hospiz Österreich: "Was ist Hospiz und Palliative Care für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene?", unter: www.kinder-hospiz.at (Abruf: 29.10.2021)
- Deutscher Hospiz- und PalliativVerband e.V.: Broschüre "Abschied nehmende Kinder!, 1. Auflage, 2017, unter: www.dhpv.de
- Deutscher Kinderhospizverein e.V. (DKHV): www.deutscher-kinderhospizverein.de (Abruf: 29.10.2021)