Wer kifft, braucht bei Eingriffen mehr Betäubungsmittel
Cannabis gilt als sanfte Droge. Dass der Konsum dennoch körperliche Veränderungen zur Folge hat, zeigt einmal mehr eine kanadische Studie: Personen, die Cannabis konsumierten, benötigten bei einer Magenspiegelung öfter ungewöhnlich hohe Dosen an Betäubungsmittel.
„Die Patienten hatten während der Eingriffe kein erhöhtes Bewusstsein oder Unbehagen, aber sie benötigten mehr Medikamente“, sagte Studienleiterin Dr. Yasmin Nasser von der University of Calgary auf einem Symposium der Digestive Disease Week im kanadischen San Diego.
Cannabiskonsumenten brauchen höhere Dosen
Die Forscherin und ihr Team hatten 419 Personen vor und nach einer Magen- oder Darmspiegelung befragt und die Antworten mit der jeweils benötigten Dosis an Beruhigungsmitteln abgeglichen. Als erhöhte Dosis legten sie eine Menge ab 5 Milligramm des Beruhigungsmittels Midazolam, mehr als 100 Mikrogramm des Schmerzmittels Fentanyl oder den nötigen Einsatz des Schlaf- und Allergiemedikaments Diphenhydramin fest.
Bei Darmspiegelungen fanden die Forschenden keinen Zusammenhang mit höheren Dosen, wohl aber bei Magenspiegelungen. Diese sind belastender als Spiegelungen des weitgehend unempfindlichen Darms. Die Medikamente unterdrücken unter anderem Würgereize durch das eingeführte Endoskop. Bei Patienten, die angegeben hatten, Cannabis zu konsumieren, mussten die Anästhesisten häufiger erhöhte Dosen an Narkosemitteln verabreichen.
Täglicher Konsum hat den grössten Effekt
Damit bestätigt die Studie die Ergebnisse vorangegangener Untersuchungen, die ebenfalls einen erhöhten Bedarf an Narkosemitteln bei Cannabispatienten zutage gefördert hatten.
Ein Team um Ngozi Imasogie vom Yorkton Regional Centre hatte 2021 herausgefunden, dass der Bedarf des Narkosemittels Propofol bei Endoskopien von Magen und Darm bei Cannabiskonsumenten tendenziell höher ist. Je öfter die Teilnehmer Cannabis konsumierten, desto höher war auch ihr Bedarf an Schmerzmitteln. Bei täglichem Konsum war der Narkosemittelbedarf sogar doppelt so hoch wie bei Nichtkonsumenten.
Cannabinoidrezeptoren werden herunterreguliert
Die Forschenden erklären den Zusammenhang anhand der Hypothese, dass Propofol auch über das körpereigene Endocannabinoid-System sedierend wirken könnte. Dieses wirkt unter anderem schmerzregulierend.
Zumindest bei chronischem Cannabiskonsum könnten Rezeptoren, an die sowohl pflanzliche Cannabiswirkstoffe als auch Propofol andocken, herunterreguliert werden. Sie sprechen dann weniger stark auf beide Wirkstoffe an. Mediziner bezeichnen das als Kreuztoleranz. Entsprechend höher muss dann die Dosis sein, um den gewünschten Effekt zu erzielen.
Inwieweit möglicherweise auch die Cannabisdosis, der Abstand zwischen Konsum und Eingriff sowie die Konsumform wie Verzehr, Rauchen oder Dampfen diese Kreuzwirkung beeinflussen, hat keine der beiden Studien untersucht.
Konsum gegenüber dem Narkosearzt offenlegen
Vor endoskopischen, aber insbesondere auch vor chirurgischen Eingriffen ist es aus diesem Grund wichtig, im Vorgespräch mit dem Narkosearzt den Konsum von Drogen offenzulegen. Das gilt insbesondere auch für Alkohol!
Der Anästhesist berechnet den geschätzten Bedarf an Narkosemittel im Vorfeld auf Basis verschiedener Faktoren wie Körpergewicht, Alter, Vorerkrankungen – und eben auch dem Konsum von Drogen. Zwar kann der Arzt während des Eingriffs an Warnzeichen wie erhöhtem Puls oder verstärktem Schwitzen erkennen, wenn die Narkose zu flach ausfällt. Die Gefahr, dass der Patient etwas von dem Eingriff mitbekommt, könnte jedoch bei unbekanntem Drogenkonsum erhöht sein.
Autoren- & Quelleninformationen
- Ngozi Imasogie et al.: High quantities: Evaluating the association between cannabis use and propofol anesthesia during endoscopy, PLoS One. 2021; 16(3): e0248062, 4. März 2021, doi: 10.1371/journal.pone.0248062
- Yasmin Nasser: Cannabis Users Require More Sedation for Endoscopy, Pressemitteilung der Digestive Disease Week 2022, 21-24. Mai 2022