Frau spricht ins Mikrofon

Was die Stimme über das Herzinfarktrisiko verrät

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Die Stimme kann offenbar einiges über den Zustand der Arterien verraten: Anhand von Stimmproben kann ein Computeralgorithmus mit einiger Wahrscheinlichkeit vorhersagen, ob der Sprecher unter einer Koronaren Herzkrankheit (KHK) mit arteriosklerotisch verengten Herzkranzgefässen leidet.

Grundlage des Experiments war eine bereits früher gewonnener Datensatz von Stimmproben von rund 10.000 israelischen Teilnehmern, die Forscher mithilfe künstlicher Intelligenz auf Hinweisfaktoren für verschiedene Erkrankungen prüften – darunter auch KHK und Herzschwäche.

Dabei identifizierten die Forschenden sechs stimmliche Merkmale, die in hohem Masse bei KHK-Patienten auftraten. Dazu gehören Besonderheiten der Frequenz, Lautstärke und Tonhöhe.

Künstliche Intelligenz ermittelt Risikoprofile

„Wir wissen nicht genau, welche Veränderungen in der Stimme auftreten oder welche Mechanismen und pathophysiologischen Prozesse diese Veränderungen antreiben“, erklärt Studienhauptautor Jaskanwal Deep Singh Sara von der Mayo Clinic in Rochester auf Nachfrage von NetDoktor. „Sie sind für unser menschliches Gehör zu subtil.“ Dazu seien die eigens trainierten Algorithmen nötig.

Sara und Kollegen haben auf Basis der israelischen Forschung Sprachproben von 108 Teilnehmenden ausgewertet. Diese waren im Schnitt 60 Jahre alt und hatten sich im Vorfeld aus unterschiedlichen Gründen einer Untersuchung der Herzgefässe unterzogen.

Die Wissenschaftler baten die Männer und Frauen, jeweils drei 30-sekündige Stimmproben mit der Smartphone-Anwendung „Vocalis Health“ aufzuzeichnen. Die Teilnehmer lasen zunächst einen vorbereiteten Text ab und berichteten anschliessend jeweils frei über ein positives und ein negatives Erlebnis.

Für die Risikoeinstufung kombinierten die Forscher die sechs Parameter zu einem einzigen Wert. Für ein Drittel der Teilnehmer stuften sie das KHK-Risiko auf dieser Basis als hoch ein, während zwei Drittel einen niedrigen Risikowert aufwiesen. Anschliessend beobachteten sie die gesundheitliche Verfassung der Teilnehmenden über einen Zeitraum von zwei Jahren.

2,6-fach höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Vorfälle

Von den Personen, deren Stimmauswertung auf ein höheres Risiko für Herzprobleme hingewiesen hatte, suchten in dieser Zeit 58,3 Prozent ein Krankenhaus wegen Brustschmerzen auf oder erlitten sogar einen schwerwiegenden kardiologischen Vorfall wie beispielsweise einen Herzinfarkt. Auf Teilnehmer mit besonders niedrigen Werten traf das nur zu 30,6 Prozent zu.

Wer hohe Werte in der Stimmauswertung hatte, trug somit ein 2,6-fach höheres Risiko für entsprechende Vorfälle. Auch wurde bei ihnen häufiger eine KHK festgestellt.

Vegetatives Nervensystem steuert Herzfunktionen und Stimme

Noch ist unklar, warum bestimmte Merkmale der Stimme auf eine KHK hindeuten. Die Forschenden vermuten aber, dass das vegetative (autonome) Nervensystem dabei eine Rolle spielen könnte. Dieser Teil des Nervensystems reguliert Körperfunktionen, die nicht bewusst kontrolliert werden. Dazu gehören die Regulierung des Herz-Kreislauf-Systems über Herzfrequenz und Blutdruck – aber auch der Stimmapparat wird beeinflusst. “Der Vagusnerv, der Teil des autonomen Nervensystems ist, verzweigt sich in den Kehlkopfnerv, der alle Muskeln des Kehlkopfs steuert. Der Nerv versorgt aber auch die Atemmuskeln, die eine Rolle bei der Lautbildung spielen“, erklärt Sara.

Noch ist die Technologie nicht bereit für den breiten Einsatz in der klinischen Diagnostik. Unklar ist auch, ob der Algorithmus für anderen Sprachen und Kulturkreise angepasst werden muss. Immerhin scheinen die Daten aus dem hebräischen Sprachraum für englischsprachige Teilnehmer funktioniert zu haben.

Die Sprachanalysen könnten zukünftig bekannte Möglichkeiten zur Risikoabschätzung ergänzen, glauben die Wissenschaftler. Ihr Einsatz ist kostengünstig und für die Teilnehmer nicht belastend. „Die Abgabe einer Stimmprobe ist sehr intuitiv und macht den Patienten sogar Spass“, berichtet Sara, der Hauptautor der Studie.

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Quellen:
  • Pressemitteilung American College of Cardiology, 22. März 2022
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