Intensivpatient am Beatmungsgerät

Warum Covid-Patienten so lange beatmet werden müssen

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Eine der grössten Gefahren einer Covid-19-Erkrankung ist ein massives, wochenlanges Lungenversagen. Was ist die Ursache – und lässt es sich verhindern?

In den Krankenhäusern laufen derzeit die Intensivbetten voll. Was die Lage zusätzlich verschärft: Es müssen nicht nur viele Covid-Patienten mit schweren Verläufen beatmet werden – anders als die meisten anderen beatmungspflichtigen Intensivpatienten benötigen Covid-Erkrankte die Geräte nicht nur für Tage, sondern über Wochen, manchmal sogar Monate.

Massiv vernarbtes Lungengewebe

Grund für das massive Lungenversagen bei Covid-19 ist, dass das Lungengewebe bei einem schweren Verlauf aussergewöhnlich stark vernarbt und dadurch verdickt und unelastisch wird. Diese sogenannte Lungenfibrose verhindert eine ausreichende Sauerstoffaufnahme.

Auf Bildern betroffener Lungen zeigt sich das in Form ausgedehnter, milchglasartiger Trübungen. Schon relativ früh in der Pandemie war Medizinern bei einzelnen Patienten ein solcher Umbau des Lungengewebes aufgefallen.

Fehlgesteuerte Fresszellen

Ein Konsortium von Forschern mehrerer deutscher Einrichtungen hat nun herausgefunden, wie dieser bei Covid-19 zustande kommen könnte: „Mitverantwortlich könnte eine fehlgeleitete Reaktion sogenannter Makrophagen sein, die auch als Fresszellen des Immunsystems bekannt sind“, erklärt Dr. Antoine-Emmanuel Saliba vom Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) in Würzburg, einer der zwei Leiter der Studie.

Dass das Virus direkt diese fatalen Veränderungen hervorruft, schien jedoch unwahrscheinlich: „Bei COVID-19 entwickelt sich ein Lungenversagen typischerweise erst in der zweiten oder dritten Woche nach Symptombeginn, wenn die Viruslast eigentlich schon wieder sinkt“, erklärt sein Kollege Prof. Leif Erik Sander von der Berliner Charité - der zweite Leiter der Studie.

Das weise darauf hin, dass nicht die unkontrollierte Virusvermehrung das Versagen der Lunge provoziere, sondern nachgeschaltete Reaktionen eine Rolle spielten - beispielsweise des Immunsystems.

Makrophagenschwemme in der Lunge

Die Wissenschaftler untersuchten daher Proben von Lungenspülungen und -gewebe schwer erkrankter oder verstorbener COVID-19-Patienten mithilfe einer sogenannten Einzelzellanalyse. Mit der modernen Methode ist es möglich, jede einzelne Zelle im Detail zu betrachten.

Sie fanden heraus, dass sich in der Lunge von COVID-19-Betroffenen mit Lungenversagen vor allem Makrophagen in grossen Mengen ansammeln. Diese Fresszellen beseitigen unter anderem eingedrungene Erreger und Zellabfall. Sie sind aber auch an der Wundheilung und Reparatur von Gewebe beteiligt.

Sars-CoV-2 programmiert die Fresszellen um

„Die Makrophagen treten bei schwerem COVID-19-Verlauf mit bestimmten Zellen des Bindegewebes in Kontakt, die für die Bildung von Narbengewebe verantwortlich sind. Diese Zellen vermehren sich stark und produzieren grosse Mengen Kollagen“, erklärt Saliba.

Damit verhielten sich die Makrophagen ganz ähnlich wie bei einer chronischen Form der Lungenvernarbung, der idiopathischen Fibrose. Bei dieser unheilbaren Erkrankung vernarbt die Lunge unaufhaltsam bis zum Verlust der Organfunktion.

Grippeviren agieren anders

Experimente in Zellkulturen zeigten, dass Sars-CoV-2 die Immunzellen dazu stimuliert, verstärkt Botenstoffe auszuschütten, die Vernarbungsprozesse einleiten. „Das Virus vermehrt sich dabei anscheinend nicht in den Immunzellen, sondern programmiert sie um“, berichtet Prof. Matthias Selbach vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC).

Diesen Effekt beobachteten die Forscher aber nicht, wenn sie die Makrophagen mit einem Grippevirus stimulierten. „Das Influenza-Virus vermehrte sich in den Immunzellen stark. Es brachte sie aber nicht dazu, Vernarbungsprozesse zu fördern“, so Selbach.

Rückbildung möglich

Die Forscher hatten auch eine gute Nachricht: Anders als bei der idiopathischen Fibrose kann sich das Lungengewebe von Covid-19-Patienten wieder erholen. Bei genesenen Patienten gelang es dem Körper, die Vernarbungen allmählich aufzulösen – auch wenn in manchen Fällen deutliche Reste zurückblieben.

Die Wissenschaftler wollen nun genauer untersuchen, welche zellulären Prozesse die Rückbildung der Fibrose bewirken. „Wenn wir die Auflösung von vernarbtem Gewebe besser verstehen, können wir in Zukunft hoffentlich nicht nur COVID-19-Betroffenen, sondern auch Patientinnen und Patienten mit bisher unheilbarer Lungenfibrose helfen“, sagt Sander.

Und auch für die Behandlung von Covid-Patienten eröffnen die Erkenntnisse neue Möglichkeiten: „Eine Hemmung der Makrophagen könnte dazu beitragen, die Vernarbung von vornherein zu verhindern.“ An der Charité untersuchen Forschungsgruppen dazu bereits Möglichkeiten, Rezeptoren zu blockieren, die den Fresszellen den Eintritt in das Lungengewebe ermöglichen.

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Quellen:
  • COVID-19-Lungenversagen: Warum Betroffene so lange beatmet werden müssen, Pressemitteilung der Universitätsklinik Charité, 30.11.2021
  • Wendisch D et al. SARS-CoV-2 infection triggers profibrotic macrophage responses and lung fibrosis. Cell (2021), do i: 10.1016/j.cell.2021.11.033
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