Spritze und Tabletten auf einem Tisch

Tirzepatid: Zwillingswirkstoff gegen Typ-2-Diabetes

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Tirzepatid ist ein neues Medikament zur Behandlung von Typ-2-Diabetes. Es kann dank einer zweifachen Wirkweise eine deutliche Gewichtsabnahme bewirken und die Blutzuckerwerte besser stabilisieren als ältere Medikamente – inklusive Insulin.

In den USA ist das Medikament unter dem Namen Mounjaro schon seit Mitte Mai zugelassen. Für die Europäische Union hat der Hersteller die Zulassung bei der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA beantragt. Eine Entschei¬dung wird noch in diesem Jahr erwartet.

Stärker wirksam als natürliche Darmhormone

Tirzepatid ist ein „Twincretin“ (Twinkretin) – ein dualer Wirkstoff. Die Arznei imitierte die Wirkung von gleich zwei Darmhormonen: GLP-1 („Glucagon-like peptide“) und GIP („glucose-dependent-insulinotropic-polypeptid“). Beide werden während des Essens von Zellen der Darmschleimhaut freigesetzt.

Sie regen unter anderem die Ausschüttung von Insulin in den Betazellen der Bauchspeicheldrüse an. Dadurch sind Blutzuckerspitzen nach dem Essen flacher. Zudem reduzieren sie die Magenmotorik sowie die Sekretion von Magensaft. Dadurch verlangsamt sich die Magenentleerung, wodurch der Appetit abnimmt.

Twincretin dockt an dieselben Rezeptoren an wie GLP-1 und GIP an und hält diese länger besetzt als die körpereigenen Hormone. Dadurch werden gleichzeitig Sättigungsgefühl und Insulinproduktion verstärkt.

Wirkstoffe, die auf einen dieser Rezeptoren abzielen, gab es bereits. Dass Tirzepatid nun gleich beide Rezeptoren bedient, macht es zu einer neuen Medikamentenklasse.

Deutliche Gewichtsabnehme, stabilere Blutzuckerwerte

In Studien waren die Erfolge des GIP/GLP-1-Rezeptoragonisten beachtlich:

Im Rahmen der sogenannten SURPASS-1-Studie mit 478 bislang medikamentös unbehandelten Typ-2-Diabetikern senkte es beispielsweise abhängig von seiner Dosis den Wert des Langzeitblutzuckers (HbA1c) innerhalb von 40 Wochen um 1,69 bis 1,75 Prozentpunkte. Bei Teilnehmern, die statt des Medikaments nur ein Placebo erhalten hatten, waren es nur 0,09 Prozentpunkte. Das Gewicht reduzierte sich unter Einfluss des Twinkretins um 6,3 bis 7,8 kg (Placebo: 1 kg).

In der parallellaufenden SURPASS-2-Studie trat das Medikament gegen Semaglutid an, das zur Behandlung von Übergewicht und Typ-2-Diabetes zugelassen ist. In der höchsten Dosierung von 15 mg pro Woche erzielte Tirzepatid eine um 0,45 Prozentpunkte stärkere Senkung des HbA1c-Wertes. Das Körpergewicht reduzierte sich im Schnitt um 5,5 kg mehr als unter Semaglutid.

Auch im Vergleich zu Insulin schnitt Tirzepatid besser ab: Im Rahmen der SURPASS-3-Studie mit 1437 Teilnehmenden und einer Laufzeit über 52 Wochen bewirkte es nicht nur bessere Langzeitblutzuckerwerte. Patienten, die Tirzepatid erhielten, verloren zudem je nach Dosis 9,8 bis 15,2 kg Gewicht. Teilnehmende, die mit Insulin behandelt wurden, nahmen dagegen um durchschnittlich 2,3 kg zu.

Ob Tirzepatid auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen senkt, die häufig als Folgeschäden hoher Blutzuckerwerte auftreten, lässt sich noch nicht abschätzen. Dies wird derzeit im Rahmen einer weiteren Studie mit rund 12.500 Teilnehmern untersucht. Für den bereits zugelassenen GLP-1-Rezeptorantagonisten Dulaglutid ist ein solcher Effekt nachgewiesen.

Vorgestellt wurden die Ergebnisse der für die Zulassung herangezogenen Studien jüngst auf dem Kongress der Deutschen Diabetes Gesellschaft.

Ernährungsumstellung und Bewegung bleiben wichtig

Trotz der hohen Wirksamkeit des Medikaments wird Typ-2-Diabetikern wohl auch künftig eine Änderung des Lebensstils ans Herz gelegt. Ernährungsumstellung und mehr Bewegung werden weiterhin die Hauptsäulen der Diabetestherapie bleiben.

Manchen Patienten gelingt durch konsequentes Umkrempeln der Lebensgewohnheiten nicht nur eine erhebliche Verbesserung, sondern sogar eine vollständige Normalisierung des Blutzuckers (Remission). Diabetes-Medikamente erübrigen sich dann. Doch viele Diabetiker scheitern an der drastischen Umstellung, die dafür erforderlich ist. Das neue Medikament könnte einer solchen Remission einen erheblichen Anschub leisten.

Risiken und Nebenwirkungen

Tirzepatid wird einmal wöchentlich per Injektion verabreicht. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Magen-Darm-Probleme wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, verminderter Appetit, Verstopfung, Oberbauchbeschwerden und Bauchschmerzen. Es traten zudem vereinzelt Fälle von Unterzuckerung auf.

Darüber hinaus erbrachten Tierexperimente Hinweise, dass Tirzepatid Schilddrüsenkrebs verursachen könnte. Bei Menschen mit entsprechender Vorbelastung darf das Medikament daher nicht gespritzt werden. Das gilt auch für Patienten mit dem seltenen multiplen endokrinem Neoplasiesyndrom Typ 2, das Schilddrüsentumore verursacht.

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Quellen:
  • Bernhard Ludvik et al: Once-weekly tirzepatide versus once-daily insulin degludec as add-on to metformin with or without SGLT2 inhibitors in patients with type 2 diabetes (SURPASS-3): a randomised, open-label, parallel-group, phase 3 trial, The Lancet,6. August 2021, DOI: https://doi.org/10.1016/S0140-6736(21)01443-4
  • Juan P. Frías et a.: Tirzepatide versus Semaglutide Once Weekly in Patients with Type 2 Diabetes, N Engl J Med 2021; 385:503-515, 5. August 5 2021, DOI: 10.1056/NEJMoa2107519
  • Julio Rosenstock et al.: Efficacy and safety of a novel dual GIP and GLP-1 receptor agonist tirzepatide in patients with type 2 diabetes (SURPASS-1): a double-blind, randomised, phase 3 trial, The Lancet, 26 Jun 2021 DOI: https://doi.org/10.1016/S0140-6736(21)01324-6
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