Süßstoff

Süßstoff treibt den Blutzucker hoch

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Süssstoffe enthalten wenig oder keine Kalorien. Trotzdem können sie die Blutzuckerwerte besonders in die Höhe treiben – wenn auch indirekt. Eine zentrale Rolle spielen dabei wohl Veränderungen im Mikrobiom des Darms.

Das Team um Jotham Suez vom Weizmann Institute of Science hatte in früheren Experimenten mit Mäusen Hinweise darauf gefunden, dass Süssstoffe den Zuckerstoffwechsel beeinflussen könnten.

Süssstoffabstinenzler sind schwer zu finden

Um diese Hypothese jetzt auch am Menschen zu überprüfen, benötigte die israelische Forschungsgruppe Probanden, die sonst keinen Süssstoff konsumieren. Die Suche gestaltet sich allerdings als schwierig – denn Zuckerersatzstoffe sind enorm verbreitet und stecken auch in vielen Fertigprodukten.

Schliesslich gelang es den Forschenden, 120 geeignete Männer und Frauen zu finden. Die im Schnitt 30 Jahre alten, gesunden und normalgewichtigen Teilnehmende wurden sodann in sechs Gruppen aufgeteilt.

Was bewirken Saccharin, Sucralose, Aspartam und Stevia?

Vier davon nahmen zwei Wochen lang dreimal täglich ein Beutelchen mit entweder Saccharin, Sucralose, Aspartam oder Stevia zu sich. Das sind die vier am häufigsten verwendeten Süssstoffe. Welche Gruppe welches Süssmittel erhielt, wussten weder die Mitglieder des Forschungsteams noch die teilnehmenden Männer und Frauen. Die übrigen Probanden wurden zwei Kontrollgruppen zugeordnet, die entweder drei Beutelchen mit Glukose oder ein Placebo erhielten.

Reduzierte Glukosetoleranz, hohe Blutzuckerspitzen

Die Teilnehmenden trugen eine Woche vor sowie während der gesamten Versuchszeit Messgeräte, die die Blutzuckerwerte kontinuierlich ermittelten. Zusätzlich wurde an neun Tagen (zweimal vor, fünfmal während und zweimal nach der Interventionsphase) die aktuelle Glukosetoleranz gemessen.

Darunter versteht man die Fähigkeiten der Körperzellen, Glukose aus dem Blut zügig aufzunehmen. Ist die Glukosetoleranz hoch, bleibt der Blutzuckeranstieg moderat. Wird Glukose schlecht toleriert, gibt es hohe Blutzuckerspitzen.

Risiko für Übergewicht und Diabetes

Für den Glukosetoleranz-Test tranken die Teilnehmenden 50 Gramm in Wasser gelösten Haushaltszuckers auf nüchternen Magen. Bei Teilnehmern der Saccharin- und der Sucralose-Gruppe beobachtete das Forschungsteam besonders hohe Blutzuckerspitzen. Bei Männern und Frauen, die Stevia oder Aspartam erhalten hatten, schoss der Blutzucker beim Test dagegen weniger steil in die Höhe.

Hohe Blutzuckerspitzen sind gesundheitlich ungünstig. Sie gelten als Risikofaktoren unter anderem für Gewichtszunahme und die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes.

Stuhltransplantation für Mäuse

Stuhluntersuchungen der Teilnehmer zeigten, dass aller vier Süssstoffe die Balance des Mikrobioms verändert hatten.

Dass tatsächlich dies für den entgleisten Glukosestoffwechsel verantwortlich sein könnte, zeigten anschliessende Experimente mit Mäusen. Zunächst entfernte das Forschungsteam dazu das natürliche Mikrobiom der Tiere durch Gabe von Antibiotika.

Anschliessend besiedelten sie den Darm neu mit aufbereiteten Stuhlproben der menschlichen Teilnehmenden. Tatsächlich entwickelten die Tiere anschliessend ähnliche Blutzuckermuster wie die menschlichen Spender.

„Der Verzehr von Süssstoffen kann bei Menschen personenspezifische, mikrobiom-abhängige glykämische Veränderungen hervorrufen“, schreiben die Autoren. Sie fordern eine Neubewertung der gesundheitlichen Auswirkungen von Süssstoffen.

Dick und krank durch Süssstoff?

In den letzten Jahrzehnten haben sowohl Übergewicht als auch Typ-2-Diabetes in westlichen Ländern rapide zugenommen. Gleichzeitig hat die Lebensmittelindustrie immer mehr Lightprodukte entwickelt, die fettreduziert sind und/oder Süssstoffe anstelle von Zucker enthalten.

Die aktuelle Untersuchung zeigt einmal mehr, dass ihr Konsum das Gegenteil des gewünschten Effektes haben könnte: Lightprodukte könnten zur Gewichtszunahme und zur Entstehung von Typ-2-Diabetes sogar beitragen, statt ihnen entgegenzuwirken.

Zuckerstoffwechsel normalisiert sich wieder

Immerhin wartet die israelische Untersuchung auch mit einer guten Nachricht auf: Als die Männer und Frauen nach Beendigung der Studie die Süssstoffe wieder absetzten, normalisierte sich auch ihre Glukosetoleranz wieder. Ob das auch bei Langzeitkonsum von Süssstoff oder bereits stoffwechselkranken Menschen funktioniert, kann die Studie nicht beantworten.

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Quellen:
  • Jotham Suez et al.: Personalized microbiome-driven effects of non-nutritive sweeteners on human glucose tolerance, Cell, Volume 185, Issue 18, 1 September 2022, Pages 3307-3328.e19https://doi.org/10.1016/j.cell.2022.07.016
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