Spritze auf russischer Flagge

Russischer Corona-Impfstoff: Riskantes Experiment

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Im weltweiten Wettlauf um einen Corona-Impfstoff ist Russland vorangeprescht. Präsident Wladimir Putin hat am Dienstag die weltweit erste staatliche Zulassung eines Impfstoffs gegen Sars-CoV-2 bekanntgegeben. Schon bald sollen die ersten Ärzte und Lehrer geimpft werden.

Internationale Experten aber haben erhebliche Bedenken, denn der Impfstoff wurde nicht ausreichend auf seine Wirksamkeit und mögliche Nebenwirkungen getestet.

Putins Tochter bereits geimpft

„Das russische Vakzin gegen das Coronavirus ist effektiv und bildet eine beständige Immunität“, sagte Putin der Agentur Interfax zufolge. Die Registrierung sei am Dienstagmorgen erfolgt, hiess es. Eine seiner beiden Töchter habe sich schon impfen lassen, so Putin. Mit seinem Namen «Sputnik V» soll es an den ersten Satelliten im All erinnern, den die Sowjetunion 1957 vor den USA gestartet hatte.

Der Impfstoff wurde vom staatlichen Gamaleja-Institut für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau entwickelt. Bislang haben ihn erst wenige Menschen im Rahmen einer Studie erhalten.

Zulassung ohne wichtige Phase-III-Testung

Normalerweise müssen einer Zulassung von Impfstoffen klinische Studien in drei Phasen vorausgehen. In der ersten wird er auf seine Verträglichkeit hin getestet, in Phase II wird an wenigen Probanden überprüft, ob das Immunsystem wie gehofft Antikörper aufbaut. Ob er aber ausserhalb des Labors wirklich wirksam vor einer Infektion schützen kann, testet man erst in Phase III mit meist mehreren Tausend Probanden. Diese Testphase ist für den russischen Wirkstoff aber erst angelaufen.

Sorge vor Nebenwirkungen

Eine reguläre Zulassung ohne die umfangreichen Daten aus einer Phase-III-Prüfung erscheine riskant, erklärte Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts. Nur so könnten unter anderem mögliche seltene Nebenwirkungen aufgedeckt werden. In Deutschland gibt es eine Zulassung erst nach Abschluss der letzten Phase.

Experten befürchten zudem, dass ein Versagen des Wirkstoffs oder auftretende Nebenwirkungen auch das Vertrauen in andere Impfstoffe schmälern könnte. Das entspricht nicht den internationalen Richtlinien. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Vorfeld klar: "Jeder Impfstoff muss natürlich alle Versuchsreihen und Tests durchlaufen, bevor er genehmigt und ausgeliefert wird." Es gebe klare Richtlinien für die Entwicklung von Impfstoffen.

„Riskantes Menschenexperiment“

„Die Zulassung eines Impfstoffs ohne die entscheidende dritte Testreihe halte ich für ein hochriskantes Experiment am Menschen“, sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt „Rheinischen Post“ (Mittwoch). "Es ist unverantwortlich, ganze Bevölkerungsgruppen bereits in diesem Stadium der Entwicklung zu impfen." Es dränge sich der Eindruck auf, dass es sich um eine populistische Massnahme eines autoritär regierten Staates handele, der der Weltgemeinschaft seine wissenschaftliche Leistungsfähigkeit demonstrieren möchte, so Reinhardt.

Weltweit wird in mehr als 170 Projekten nach Corona-Impfstoffen gesucht und mehrere Forscherteams haben vielversprechende Zwischenergebnisse veröffentlicht. Allerdings rechnen Experten generell mit einem marktfähigen Impfstoff zumeist erst im kommenden Jahr.

Keine wissenschaftlichen Daten vorgestellt

Das Gamaleja-Institut hatte bereits im Mai mitgeteilt, einen Impfstoff entwickelt zu haben. Nach eigener Darstellung liefen die ersten Tests erfolgreich. Das Präparat wurde demnach an 50 Soldaten erprobt, die sich freiwillig gemeldet hätten. Russland hat bislang aber keine wissenschaftlichen Ergebnisse zu dem Impfstoff für eine unabhängige Bewertung veröffentlicht.

Ohne konkrete Daten ist es auch für Fachkollegen schwer, die Qualität und Wirksamkeit des Impfstoffes einzuschätzen. „Ich sehe die Zulassung sehr, sehr zurückhaltend“, sagt etwa der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg. „Gerade wenn Impfstoffe aus nicht ganz so freien Systemen kommen, ist eine unabhängige Begutachtung besonders wichtig. Sonst kann da jede Firma irgendwas erzählen.“

Wie sicher ist „Sputnik-V“?

Der Wirkstoff ist unter dem Namen «Gam-COVID-Vac Lyo» in einer Datenbank für klinische Studien registriert. Bei dem Impfstoff handelt es sich um einen sogenannten Vektorimpfstoff. Dabei wird ein harmloses Virus - hier Adenoviren - als Transporter genutzt, um genetische Informationen für ein Eiweiss des Sars-CoV-2-Virus in den Körper zu schleusen.

Ziel ist es, das Immunsystem dazu zu bringen, Antikörper gegen das Eiweiss zu bilden und andere Abwehrreaktionen hervorzurufen. Bei Kontakt mit Sars-CoV-2 ist der Körper dann vorbereitet und kann die Infektion besser eindämmen.

Kann ein Corona-Impfstoff überhaupt funktionieren?

Ob überhaupt ein Impfstoff gegen Corona diese schützenden Reaktionen des Körper hervorrufen kann und wie lange diese gegebenenfalls bestehen bleiben, ist bisher offen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass auch zunächst erfolgversprechende Impfstoffkandidaten in späteren Untersuchungen nicht den gewünschten Schutz hervorrufen.

Ein Impfstoff kann aber auch schon dann wertvoll sein, wenn er zwar nicht die Ansteckung, aber zumindest schwere Krankheitsverläufe verhindert. Grundsätzlich gehen Experten davon aus, dass es nicht einen Impfstoff gegen Corona geben wird, sondern mehrere. Experten rechnen damit, dass dies frühestens Ende des Jahres der Fall sein wird.

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Quellen:
  • Deutsche Presse-Agentur
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