Frau mit Smartphone in der Hand

Nomophobie: Die Angst, ohne Smartphone dazustehen

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Eine neuartige Angststörung nimmt auch in Europa zu: Nomophobie. Die Angst, das Handy nicht nutzen zu können, trifft vor allem exzessive Smartphone-Nutzer. Doch wie viele sind davon betroffen?

Das Smartphone ist für viele Menschen weltweit selbstverständlicher und ständiger Begleiter. Im Job, in der Freizeit, sogar beim Schlafen. Wir informieren uns darüber, pflegen soziale Beziehungen, organisieren unser Leben und lassen uns berieseln.

Nicht selten rutscht die Sache nach und nach in ungesunde Bahnen ab. Manche entwickeln eine Internetsucht mit psychischen Entzugserscheinungen, wenn sie den Konsum reduzieren. Ein anderes Phänomen ist die Nomophobie, die zu den Angststörungen zählt. Nomophobie steht für "no mobile phone phobia". Sie tritt vor allem bei exzessiver Smartphone-Nutzung auf und beschreibt die Angst, vom eigenen Smartphone getrennt zu sein.

Panik im Funkloch

„Geht das Handy verloren oder ist man aufgrund eines Funklochs oder eines leeren Akkus kurzzeitig nicht erreichbar, kommt es zu einem subjektiv verschobenen, übermässigen Angstempfinden“, erklärt Yvonne Görlich, Professorin für Psychologische Diagnostik und Differentielle Psychologie an der PFH Private Hochschule Göttingen.

Die Wissenschaftlerin und ihr Team haben untersucht, wie viele Menschen in Deutschland von Nomophobie betroffen sind. Dafür gewannen sie 807 Probanden und Probandinnen mit einem Durchschnittsalter von 25 Jahren. Die Befragten nutzten ihr Smartphone durchschnittlich 64-mal beziehungsweise 4 Stunden und 16 Minuten pro Tag.

Fragebogen enthüllt Smartphone-Ängste

Das Forscherteam legte ihnen eine eigens angefertigte Übersetzung des international geläufigen Fragebogens „Nomophobia Questionnaire NMP-Q“ vor. Dieser umfasst insgesamt 20 Aussagen, die von den Testpersonen auf einer 7-stufigen Skala von „Ich stimme überhaupt nicht zu“ bis „Ich stimme vollkommen zu“ bewertet werden. Darunter waren Aussagen wie

  • Es würde mich nervös machen, wenn ich auf meinem Smartphone keine Nachrichten abrufen könnte (z. B. Ereignisse, Wetter usw.).
  • Es würde mir Angst machen, wenn der Akku meines Smartphones zur Neige ginge.
  • Ich würde mich unwohl fühlen, weil ich in den sozialen Medien und Online-Netzwerken nicht auf dem Laufenden bleiben könnte.
  • Ich wäre ängstlich, weil ich nicht mit meiner Familie und/oder meinen Freunden in Kontakt bleiben könnte.
  • Ich wäre nervös, weil ich nicht wissen könnte, ob jemand versucht hat, mich zu erreichen.

Die Antworten bilden die Stärke von vier Dimensionen ab, die bei einem „Smartphone-Entzug“ auftreten können:

  • Nicht kommunizieren können
  • Verbindungsverlust
  • Nicht auf Informationen zugreifen können
  • Komfortverzicht

Vier Prozent mit schwerer Nomophobie

Zusätzlich ermittelten die Forschenden verschiedene psychologische und Persönlichkeits-Faktoren bei den Probanden. Die Auswertung ergab, dass fast die Hälfte der Teilnehmenden (49,4 Prozent) ein mittleres Mass an Nomophobie aufwies, weitere 4,1 Prozent hatten sogar eine schwere Nomophobie.

Personen mit Nomophobie zeigten häufiger Anzeichen von Smartphone-Sucht und der „Angst, etwas zu verpassen“ (Fear of Missing Out: FoMO). Auch Neurotizismus war bei ihnen häufiger ausgeprägt, während Gewissenhaftigkeit und Offenheit geringer ausfielen als bei Teilnehmenden ohne Tendenz zu Nomophobie.

Männer hatten einen durchschnittlichen Nomophobie-Wert von 54 von 100 (niedriger Bereich), Frauen von 63 (mittlerer Bereich). Ohne ihr Smartphone fühlten sich Betroffene unwohl, waren nervös, ängstlich oder gereizt.

Angst trat vor allem bei Teilnehmenden zutage, die hohe Werte im Bereich "Nicht kommunizieren können" hatten. Wer gestresst war, fühlte sich durch den Faktor „Komfortverzicht" belastet.

Als Krankheit noch nicht anerkannt

Noch ist Nomophobie zwar keine anerkannte Krankheit. „Angesichts der so weit verbreiteten Smartphone-Nutzung und internationaler Studienergebnisse liegt die Frage nahe, ob Nomophobie in die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) oder das Diagnostische und Statistische Handbuch Psychischer Störungen (DSM) aufgenommen werden sollte und damit als Angststörung anerkannt wird“, sagt Görlich.

Im ICD sind schon lange andere spezifische Phobien wie Arachnophobie (Spinnenphobie) oder Flugangst aufgelistet. Der Katalog wird laufend an die veränderlichen Umweltgegebenheiten angepasst. 2022 wurde beispielsweise die Computerspielsucht in der Rubrik Verhaltenssüchte neu aufgenommen.

StudienteilnehmerInnen gesucht

Mit einer weiteren Studie wollen die Forschenden jetzt untersuchen, inwieweit eine kontrollierte Smartphone-Nutzung Nomophobie, aber auch Depressions-, Angst- und Stresssymptome reduzieren sowie Wohlbefinden und Kreativität fördern kann.

„Wir suchen Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die Nomophobie-Symptome aufweisen wie Stress und Beklemmung bei ausgeschaltetem Mobiltelefon, Angstzuständen bei leerem Akku, aufgebrauchtem Datenvolumen, bei Unerreichbarkeit oder einem Gefühl der Panik, wenn das Smartphone zu Hause gelassen wurde“, erklärt Görlich.

Die Teilnehmenden sollen mindestens 18 Jahre alt sein, ihr Smartphone mindestens zwei Stunden täglich nutzen und bereits einen Leidensdruck verspüren.

Freiwillige fürs „Smartphone-Fasten“

Die Freiwilligen werden dann in zwei zufällige Gruppen eingeteilt. Eine beginnt sofort mit einer Art Smartphone-Fasten, die andere zwei Wochen später. Bei diesem „Fasten“ geht es aber nicht darum, ganz auf das eigene Smartphone zu verzichten, sondern es bewusst und kontrolliert zu nutzen. Die Smartphone-Nutzung wird beispielsweise auf täglich zwei Stunden begrenzt. Im Abstand jeweils zwei Wochen sollen die Teilnehmenden zu drei beziehungsweise vier Zeitpunkten jeweils eine ca. 15-minütige Umfrage ausfüllen.

„Die Studie bietet Teilnehmenden die Chance, Smartphone-Fasten auszuprobieren und ihr Nutzungsverhalten zu kontrollieren sowie ihr Befinden zu dokumentieren“, erläutert die Forscherin.

Interessierte können an der Studie sofort anonym teilnehmen. Die Frist für die Anmeldung endet zum 3. März 2023. Hier gelangen Sie zur direkt zur Studie: umfragen.pfh.de

Autoren- & Quelleninformationen

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Quellen:
  • Coenen, M. et al.: Exploring nomophobia with a German adaption of the nomophobia questionnaire (NMP-Q-D). PLoS ONE 17(12): e0279379, Dez 2022, DOI: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0279379.
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