Älterer Herr spielt Klavier

Mit Musik gegen den Hirnabbau

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Klavierspielen lernen noch mit 70? Das scheint eine ziemlich gute Idee zu sein. Denn das Üben könnte dem altersbedingten Abbau des Gehirns entgegenwirken: Es regt die Produktion grauer Zellen in manchen Hirnbereichen an. Das Gleiche gilt für das aktive Hören von Musik.

Im Alter bauen nicht nur die Muskeln ab, sondern auch die Hirnsubstanz. Das Gehirn verliert insbesondere graue Substanz, in der die Nervenzellen (Neuronen) sitzen. „Hirnatrophie“ nennen Mediziner diesen natürlichen Prozess.

Dass die intensive Beschäftigung mit Musik dem entgegenwirken kann, haben Schweizer Forschende in einem Experiment herausgefunden.

Musikalische Späterziehung

Sie rekrutierten dafür 132 geistig fitte Personen im Alter von 62 bis 78 Jahren. Die Hälfte von ihnen absolvierte über einen Zeitraum von sechs Monaten ein musikalisches Hirntraining: Die Teilnehmenden lauschten täglich eine halbe Stunde verschiedenen Musikstücken.

Dabei hatten sie die Anweisung, sich nicht nur passiv berieseln zu lassen, sondern aktiv zuzuhören. Beispielsweise sollten sie erkennen, welche Instrumente zum Einsatz kamen, oder sollten die Struktur der Melodie analysieren.

Die andere Hälfte der Teilnehmenden übte stattdessen eine halbe Stunde täglich, Klavier zu spielen.

Beide Gruppen hatten sich bis dahin kaum aktiv mit Musik befasst. „Selbst eine kurze Lernerfahrung im Laufe des Lebens kann Spuren im Gehirn hinterlassen, die unsere Ergebnisse verfälscht hätten“, erklärt Damien Marie vom CIBM-Zentrum für biomedizinische Bildgebung an der medizinischen Fakultät der Universität Genf.

Mehr graue Substanz in vier Hirnregionen

Zu Beginn und am Ende der Interventionszeit fertigten die Forschenden MRT-Bilder der Gehirne ihrer Probanden an. Das Ergebnis: Bei den Teilnehmenden beider Gruppen hatte die graue Substanz in vier Hirnregionen zugenommen, die an hochrangigen kognitiven Funktionen beteiligt sind. Darunter waren auch Bereiche des Kleinhirns, die am Arbeitsgedächtnis beteiligt sind.

Bei diesem handelt es sich um ein Hirnareal, das im Zentrum vieler kognitiver Prozesse steht. Es hat unter anderem die Aufgabe, Informationen kurzzeitig festzuhalten und zur Verfügung zu stellen, beispielsweise, um eine Telefonnummer zu notieren oder einen Satz aus einer Fremdsprache zu übersetzen.

Leistungsfähigeres Arbeitsgedächtnis

Dieses Arbeitsgedächtnis ist im Alter besonders stark von Hirnatrophie betroffen. Dank der aktiven Beschäftigung mit Musik konnte der Abbau hier nicht nur gebremst werden - das Volumen nahm sogar wieder zu. Und auch die Leistungsfähigkeit der Teilnehmenden in diesem Bereich stieg um durchschnittlich sechs Prozent.

„Dieses Ergebnis stand in direktem Zusammenhang mit der Plastizität des Kleinhirns", sagt Studienleiterin Prof. Clara James von der Genfer Hochschule für Gesundheitswissenschaften. Die Plastizität des Gehirns beschreibt seine Fähigkeit, aufgrund neuer Erfahrungen und Informationen neue Nervenzellen zu bilden und bestehende neu zu vernetzen.

Das geschieht zum Beispiel, wenn wir neue Fähigkeiten erwerben oder die Folgen eines Schlaganfalls überwinden. Mit zunehmendem Alter nimmt die Gehirnplastizität jedoch ab.

Hirnressourcen aufbauen

Die Forschenden betonen, dass nicht alle Hirnbereiche von den jeweiligen musikalischen Übungen profitierten. Eine allgemeine Verjüngungskur fürs Gehirn ist Musizieren lernen und aktives Lauschen also nicht. „Es verhindert lediglich die Alterung in bestimmten Regionen“, sagt Marie.

Immerhin werden durch die Beschäftigung mit Musik aber neue Hirnressourcen aufgebaut. Aus Studien mit Alzheimerpatienten weiss man, dass insgesamt höhere Ressourcen Ausfälle kompensieren und so das Auftreten von Demenzsymptomen verzögern können.

In einem folgenden Schritt wollen die Forschenden nun untersuchen, ob auch jene Menschen von musikalischem Workout profitieren, die bereits unter leichten kognitiven Leistungseinbussen leiden.

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Quellen:
  • Damien Marie et al.: Music interventions in 132 healthy older adults enhance cerebellar grey matter and auditory working memory, despite general brain atrophy, Neuroimage: Report, 23. März 2023, https://doi.org/10.1016/j.ynirp.2023.100166
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