Frau meditiert in der Natur

Meditation: Mit Achtsamkeit den Schmerz abspalten

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Schmerzen lassen sich durch Achtsamkeitsmeditationen lindern. Für Schmerzpatienten ist das ein Segen. Aber wie funktioniert das überhaupt? Bilder aus dem Gehirn liefern erstmals eine Antwort auf diese Frage.

Forschende um Dr. Fadel Zeidan von der University of California San Diego School of Medicine haben festgestellt, dass die Meditation die Kommunikation zwischen verschiedenen Hirnarealen reduziert: Auf der einen Seite jene, die an der Schmerzempfindung beteiligt sind, auf der anderen Bereiche, die unter anderem für die eigene Selbstwahrnehmung, das „Ego“ zuständig sind.

Damit werden Schmerzsignale zwar weiterhin vom Körper zum Gehirn geleitet, aber die Person begreift sie nicht mehr als Teil ihrer Selbst. Das verringert das Leiden.

4 x 20 Minuten Achtsamkeit

Für ihr Experiment haben die Forschende 40 Probanden rekrutiert, die sie einem Schmerzreiz aussetzten. Dazu traktierten sie ihre Beine mit schmerzhafter Hitze.

Anschliessend machten die Teilnehmenden Angaben zur Schmerzintensität, die sie während des Experiments verspürten. Die Hälfte von ihnen absolvierte in den nachfolgenden zwei Wochen viermal eine 20-minütige Achtsamkeitsmeditation. Ihre Aufgabe war es, auf den eigenen Atem zu achten und dabei Gedanken und Gefühle zwar wahrzunehmen, aber nicht zu bewerten, sondern weiterziehen zu lassen.

Die Mitglieder der Kontrollgruppe hörten während der vier Sitzungen ein Hörbuch.

Das Ego von Gedanken und Gefühlen trennen

"Einer der zentralen Grundsätze der Achtsamkeit ist das Prinzip, dass Sie nicht Ihre Erfahrungen sind", sagte der Hauptautor Dr. Fadel Zeidan, ausserordentlicher Professor für Anästhesiologie an der University of California. "Man trainiert, Gedanken und Empfindungen zu erleben, ohne sein Ego oder sein Selbstgefühl mit ihnen zu verbinden. Jetzt sehen wir endlich, wie sich dies im Gehirn während der Erfahrung von akutem Schmerz auswirkt."

In einer zweiten Runde der Schmerzprovokation sollten die Teilnehmer während des Experiments meditieren, die Kontrollgruppe sollte lediglich die Augen schliessen. Während die Schmerzwahrnehmung der Meditierenden sich im Vergleich zum ersten Durchlauf um 32 Prozent reduzierte, blieb sie bei den Hörbuchhörern unverändert stark.

Den Schmerz vom Ego abkoppeln

Bilder von einem funktionalen Magnetresonanztomographen, die die Aktivität des meditierenden Gehirns darstellen, lieferten die Erklärung für die Schmerzreduktion.

Durch die Meditation reduzierte sich die Synchronisation zwischen entscheidenden Hirnarealen – einerseits dem Thalamus - einem Hirnareal, das eingehende sensorische Informationen an den Rest des Gehirns weiterleitet - und andererseits dem sogenannten Default-Mode-Netzwerk, zu dem unter anderem der Precuneus gehört. Dieses Hirnareal, das an Selbstwahrnehmung beteiligt ist, gehört zu den ersten Regionen, die bei Bewusstlosigkeit „offline“ gehen.

Aber auch die Kommunikation zwischen Thalamus und dem ventromedialen präfrontalen Kortex, der Erfahrungen bewertet, war reduziert.

Je stärker diese Bereiche entkoppelt wurden, desto ausgeprägter war die Schmerzlinderung, von der die meditierenden Teilnehmer berichteten.

Wenig Training, grosser Effekt

"Erfreulich ist, dass man kein Meditationsexperte sein muss, um diese schmerzlindernde Wirkung zu erleben", so Zeidan. Dies sei eine wichtige Erkenntnis für die Millionen von Menschen, die nach einer schnell wirkenden und nicht-pharmakologischen Behandlung von Schmerzen suchten.

Für viele Menschen mit chronischen Schmerzen beinträchtige nicht der Schmerz selbst die Lebensqualität am stärksten, sondern die Hilflosigkeit, die mit ihm einhergehe, so der Forscher. "Ihre Schmerzen werden zu einem Teil ihrer Persönlichkeit - etwas, dem sie nicht entkommen können - und das verschlimmert ihr Leiden."

Indem man sich in der Achtsamkeitsmeditation von selbstbezogener Bewertung des Schmerzes löse, könne sie entscheidend zur Leidensreduktion beitragen. Zudem seien Achtsamkeitsmeditationen nebenwirkungsfrei, kostenlos und könnten überall praktiziert werden.

Die Forscher wollen nun die Neurobiologie der Achtsamkeit und ihr klinisches Potenzial bei verschiedenen Erkrankungen weiter erforschen.

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Quellen:
  • Riegner, Gabriel et al.: Disentangling self from pain: mindfulness meditation-induced pain relief is driven by thalamic-default mode network decoupling, PAIN: 7. July 2022 - Volume - Issue - 10.1097/j.pain.0000000000002731
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