Meditation

Meditation: Achtsamkeit hilft bei Tinnitus

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Es scheint paradox: Wer mit seinem Tinnitus besser leben will, sollte am besten richtig hinhören. Tatsächlich bringen Achtsamkeitsübungen mehr Erleichterung von den mitunter quälenden Phantomtönen als die häufig empfohlen Entspannungsübungen.

Achtsamkeitsübungen wie sie die Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie (engl. Mindfulness Based Cognitive Therapy, MBCT) nutzt, werden inzwischen auch in der Medizin viel beachtet. Unter anderem soll das Training gegen Stress, Depressionen und bei Suchterkrankungen helfen – und nun auch im Umgang mit Tinnitus. Im Zentrum der verhaltenstherapeutisch wirksamen Achtsamkeitsmeditation steht die Fähigkeit, körperliche und seelische Empfindungen, Gedanken, Sinneseindrücke und Befindlichkeiten möglichst präzise, offen und mit Neugier wahrzunehmen. Vor allem aber ohne sie zu bewerten.

„Die Untersuchung zeigt, dass Achtsamkeit einen signifikanten zusätzlichen Nutzen zu den bereits existierenden Therapien bietet“, sagt Dr. Elizabeth Marks vom Royal National Throat, Nose and Ear Hospital in London im Gespräch mit NetDoktor.

Achtsamkeit schlägt Entspannung

Die Forscherin und ihre Kollegen haben 75 Patienten, die stark unter ihrem Tinnitus litten, einmal wöchentlich Achtsamkeitsübungen unter Anleitung oder ein Entspannungsverfahren durchführen lassen.

Darüber hinaus sollten die Teilnehmer auch täglich zu Hause üben. Zu Beginn und am Ende des acht Wochen umfassenden Studienzeitraums ermittelten die Forscher mit dem viel verwendeten Tinnitus Questionaire von Hallam, wie stark die Teilnehmer durch ihren Tinnitus beeinträchtig wurden. Dieser Fragebogen umfasst Themen wie Schlafstörungen, subjektiv wahrgenommene Lautstärke der Ohrgeräusche und seelischen Stress aufgrund des Tinnitus.

Verbesserte Lebensqualität

Gebessert hatten sich die Belastung in beiden Interventionsgruppen. In der Achtsamkeitsgruppe sank der Belastungs-Wert von durchschnittlich 50 Punkte auf 31,4. In der Entspannungsgruppe fiel er dagegen von ebenfalls durchschnittlich 50 Punkten auf 38,2 – also um 7,2 Punkte weniger. Die Wirkung des Achtsamkeitstrainings hielt bis zum Ende des Beobachtungszeitraums von sechs Monaten an.

Insgesamt hatte sich die Lebensqualität der Patienten somit deutlich gesteigert. Auch an ihrem Verhalten war eine Veränderung zu erkennen: Die Betroffenenversuchten seltener Situationen zu meiden, die entweder besonders laut oder besonders still waren. Beides erscheint Tinnituspatienten bedrohlich: Ersteres, weil sie fürchten, dass Lärm die Ohrgeräusche verstärken könnte, Letzteres weil das Summen, Rauschen oder Pfeifen in der Stille besonders präsent ist.

Eine Sache der Einstellung

Dass Achtsamkeit gerade bei Tinnitus besonders gut funktioniert, ist bei genauerer Betrachtung einleuchtend. Wie stark ein Tinnitus das Leben belastet, hängt nicht nur von der empfundenen Lautstärke oder Frequenz ab, sondern vor allem auch, wie er von dem Betroffenen bewertet wird – als bedrohlich oder nebensächlich beispielsweise.

Das Achtsamkeitstraining löst die negative Bewertung der Ohrgeräusche nach und nach auf. Der Tinnitus ist dann keine Bedrohung mehr, er ist einfach ein Begleiter. Achtsamkeit wirkt also auf zweifache Weise entlastend: Die Tinnituspatienten lernen, die Ohrgeräusche zu akzeptieren. Und das hilft ihnen dabei, auch ihr Vermeidungsverhalten anzubauen.

Achtsamkeit als Trend

Achtsamkeitsbasierte Verfahren sind inzwischen ein anerkannter Ansatz der Verhaltenstherapie. Die wertfreie Akzeptanz dessen, was im gegenwärtigen Moment da ist, ermöglicht einen gelasseneren Umgang mit Problemen. Das können negative Gedanken, Ängste, Kummer oder Schmerzen sein oder auch das Verlangen nach einem Suchtmittel.

Achtsamkeit veranschaulicht ausserdem den Zusammenhang von negativen Gedanken und negativen Gefühlen. Und dadurch steigt das Gefühl der sogenannten Selbstwirksamkeit- eine zentrale Säule seelischer Gesundheit: Gedanken – ob bewusst oder zunächst unbewusst – sind der Ursprung von Gefühlen. Wer seine Gedanken verändert, verändert auch, wie es ihm geht.

Bodyscan und Rosinenübung

Trainiert wird die Achtsamkeit mittels verschiedener Übungen aus der Achtsamkeitsmeditation – dem Body Scan beispielsweise, bei dem man seine Aufmerksamkeit durch den gesamten Körper von den Zehen bis zum Scheitel wandern lässt. Oder auch mit Gehmeditation, bei der die Übenden bei jedem Schritt genau in sich hineinspüren. Ein weiterer Klassiker: die berühmte Rosinenübung, bei der man eine Rosine erst ausgiebig betrachtet, betastet und beschnüffelt, bevor man sie dann - sehr achtsam - verzehrt.

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Quellen:
  • McKenna L. et al.: Mindfulness-Based Cognitive Therapy as a Treatment for Chronic Tinnitus: A Randomized Controlled Trial, Psychotherapy and Psychosomatics 2017;86:351-361, https://doi.org/10.1159/000478267
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