Mann am Smartphone

Können Apps die mentale Gesundheit unterstützen?

Von , Wissenschaftsjournalistin
Carola Felchner

Carola Felchner ist freie Autorin in der NetDoktor-Medizinredaktion und geprüfte Trainings- und Ernährungsberaterin. Sie arbeitete bei verschiedenen Fachmagazinen und Online-Portalen, bevor sie sich 2015 als Journalistin selbstständig machte. Vor ihrem Volontariat studierte sie in Kempten und München Übersetzen und Dolmetschen.

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Die Ungewissheit durch das Coronavirus kann aufs Gemüt schlagen. Helfen digitale Angebote dabei, Stress und Depressionen zu lindern - oder ist der Gang zum Arzt die bessere Wahl?

iFightDepression: In der Krise kostenlos

Die Deutsche Depressionshilfe hat das kostenlose Online-Angebot iFightDepression in der Coronakrise für alle interessierten Nutzer geöffnet.

Dieses von der Organisation mitentwickelte Selbstmanagement-Tool für Menschen mit leichten Depressionen ist eigentlich nicht unbegleitet zugänglich - nur Ärzte oder psychologische Psychotherapeuten, die eine Schulung zum Umgang mit diesem Tool absolviert haben, können normalerweise den Zugang herausgeben.

Zurzeit können sich Nutzer aber auch ohne Freigabe eines Arztes oder Psychotherapeuten anmelden. So seien 15 000 bis 20 000 Anmeldungen hinzugekommen, sagt Prof. Ulrich Hegerl von der Deutschen Depressionshilfe. Der freie Zugang ist allerdings den besonderen Umständen geschuldet und soll kein Dauerzustand sein. "Im Laufe des Sommers wird er wieder beschränkt."

Auch Fachgesellschaft bietet digitale Hilfe

Und auch die Fachgesellschaft DGPPN hat eine Übersichtmit möglicherweise hilfreichen Angeboten für Menschen erstellt, die unter Coronafolgen wie Kontaktbeschränkungen oder beruflicher Unsicherheit leiden.

Darunter sind Selbsthilfeprogramme, Informationsportale sowie kostenlose Hotlines für Beratungen am Telefon. Bessern sich die Probleme nicht, oder hat man das Gefühl, tatsächlich psychisch erkrankt zu sein, sollte man sich aber stets fachlichen Rat einholen und eine Diagnose erstellen lassen.

Ein Dickicht aus Angeboten

iFightDepression und die DGPPN-Liste sind zwei von vielen Online-Tools und Apps rund um die psychische Gesundheit: Von Stressabbau bis zur Hilfe bei ernsthaften Erkrankungen wie Angststörungen - der Markt an Apps und Online-Angeboten wächst. Fachleute sehen darin Chancen - aber auch Risiken. Und für Nutzer stellt sich die zentrale Frage: Welche Anwendungen sind gut und verlässlich?

Zunächst kommt es darauf an, von welchem Angebot die Rede ist: Es gibt Anwendungen zur Förderung der seelischen Gesundheit - die also Menschen dabei helfen sollen, psychisch im Gleichgewicht zu bleiben. Dann gibt es Programme, die Informationen zu bestimmten Erkrankungen vermitteln sowie Anwendungen zur Selbsthilfe, die etwa erkrankte Menschen dabei unterstützen, ihren Tag besser zu strukturieren.

Schliesslich gibt es internetbasierte Programme, die an der kognitiven Verhaltenstherapie ausgerichtet sind - diese lassen sich bei Patienten mit einer psychischen Erkrankung einsetzen.

Struktur für den Markt, Qualitätskriterien für die Apps

Mittlerweile seien für eine Vielzahl psychischer Störungen Programme entwickelt worden, die meisten für die Behandlung von Depressionen und Angststörungen, sagt Iris Hauth, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN).

Solche digitalen Interventionen müssten bestimmte Qualitätskriterien erfüllen, ihre Wirksamkeit müsse nachgewiesen sein, betont die Expertin. "Ähnlich wie dies bei neuen Medikamenten oder Psychotherapiemethoden gefordert ist."

Ihre Fachgesellschaft hat sich in den vergangenen Jahren an der Entwicklung von Kriterien für derartige Angebote beteiligt, die auch E-Mental-Health-Anwendungen genannt werden. Der Markt für solche Angebote wachse, beobachtet Hauth - und er müsse strukturiert werden. Denn er sei für Laien und Fachleute gleichermassen unübersichtlich.

App-Verzeichnis vom Bundesinstitut

Einen entsprechenden Versuch unternimmt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Die Behörde arbeitet an einem Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen, kurz DiGA.

Bevor Apps und Online-Programme in diesem Verzeichnis erscheinen, werden sie unter anderem auf Datenschutz, Funktionstauglichkeit und ihren tatsächlichen medizinischen Nutzen geprüft - seit Mai können Hersteller ihre Produkte einreichen. Ab Ende August 2020 könnten erste Anwendungen aufgelistet sein, teilt das Bundesinstitut mit.

Gesetzliche Krankenkassen zahlen

Sind Gesundheitsapps in dem BfArM-Verzeichnis gelistet, können Ärzte sie verschreiben und die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt die Kosten. So sieht es das Digitale-Versorgung-Gesetz vor. Das sei ein wichtiger erster Schritt in Richtung Transparenz und Qualität, sagt Iris Hauth. Betroffene, Ärzte und Psychologen bekämen so einen besseren Überblick.

Allerdings sagt die Ärztliche Direktorin und Chefärztin des Alexianer St. Joseph-Krankenhauses Berlin-Weissensee auch: Entscheidend seien die Kriterien, die über Wirksamkeit und Patientensicherheit einer App entscheiden. Und diese seien noch nicht klar festgelegt.

Auch Prof. Ulrich Hegerl von der Deutschen Depressionshilfe sagt: "Das Register kann in jedem Fall einen Mehrwert bieten - wenn die Evidenzlage sorgfältig geprüft wird."

Angebote können kontraproduktiv sein

Im Idealfall schützt das Register Betroffene vor Programmen, die ihren Zustand eher verschlechtern statt verbessern. "Es gibt einige Anwendungen, die eindeutig nicht von Fachleuten gemacht wurden: Da werden depressive Erkrankungen mit Reaktionen auf schwierige Lebensumstände verwechselt oder da wird wegen dem Gefühl der Erschöpfung mehr Schlaf empfohlen - dabei ist das meist kontraproduktiv", erklärt Hegerl.

Prinzipiell raten Fachleute eher zu professionell begleitenden Angeboten. Denn Studien zeigten, dass die im Vergleich am wirksamsten sein und auch die geringste Abbruchrate haben.

Wer psychische Probleme hat, sollte also immer einen Psychiater oder Psychotherapeuten konsultieren. Denn eine Diagnostik ersetzten die Anwendungen nicht, sagt Iris Hauth. Erst wenn die Diagnose feststehe, könne man Patienten ein passendes Online-Angebot zur Unterstützung vorschlagen.

Aus diesem Grund sieht Ulrich Hegerl unbegleitete Angebote bei schweren psychischen Erkrankungen kritisch.

Apps als Überbrückung?

Wer sich jedoch schämt, zu einem Therapeuten zu gehen, oder Angst davor hat, für den könnten E-Mental-Health-Anwendungen oder Video-Chats die Hemmschwelle entscheidend senken, erläutert Iris Hauth. Auch wer beruflich viel unterwegs ist oder an seinem Wohnort schlecht mit Fachpraxen versorgt ist, könnte davon profitieren.

Apps also als Überbrückung für die mitunter monatelange Wartezeit auf einen Therapieplatz? Das sieht Ulrich Hegerl eher kritisch, zumindest bei mittelschweren bis schweren Depressionen: Einen depressiven Menschen könne das leicht überfordern und in eine noch grössere Verzweiflung stürzen, sagt er. (caf/dpa)

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Carola Felchner
Carola Felchner

Carola Felchner ist freie Autorin in der NetDoktor-Medizinredaktion und geprüfte Trainings- und Ernährungsberaterin. Sie arbeitete bei verschiedenen Fachmagazinen und Online-Portalen, bevor sie sich 2015 als Journalistin selbstständig machte. Vor ihrem Volontariat studierte sie in Kempten und München Übersetzen und Dolmetschen.

Quellen:
  • Deutsche Presse-Agentur (dpa)
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