Frau sitzt am Boden

Häusliche Gewalt eskaliert in Quarantäne schneller

Von , Medizinredakteurin
Lisa Vogel

Lisa Vogel hat Ressortjournalismus mit dem Schwerpunkt Medizin und Biowissenschaften an der Hochschule Ansbach studiert und ihre journalistischen Kenntnisse im Masterstudiengang Multimediale Information und Kommunikation vertieft. Es folgte ein Volontariat in der NetDoktor-Redaktion. Seit September 2020 schreibt sie als freie Journalistin für NetDoktor.

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Schläge, Vergewaltigungen, Drohungen: Mehr als drei Prozent der Frauen in Deutschland wurden in der Zeit der strengen Kontaktbeschränkungen zu Hause Opfer körperlicher und seelischer Gewalt. Besonders gefährdet waren jene, die sich in Quarantäne befanden oder finanzielle Probleme hatten. Noch häufiger traf es die Kinder.

Während der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie wuchs die Sorge, dass Frauen und Kinder verstärkt unter häuslicher Gewalt leiden könnten. Doch da nicht alle Opfer Anzeige erstatten oder Hilfsangebote nutzen, blieb die tatsächliche Dimension im Dunkeln. Eine aktuelle Studie liefert nun die ersten repräsentativen Zahlen.

Körperliche Gewalt

Janina Steinert, Professorin für Global Health an der Technischen Universität München (TUM), und Dr. Cara Ebert vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung hatten dazu rund 3800 Frauen befragt.

3,1 Prozent von ihnen erlebten zu Hause mindestens eine körperliche Auseinandersetzung, zum Beispiel Schläge. 3,6 Prozent wurden von ihrem Partner zum Geschlechtsverkehr gezwungen.

In 6,5 Prozent der Haushalte wurden Kinder körperlich bestraft. Offen blieb, ob die Gewalt in diesem Fall von der Frau oder dem Mann ausging.

Mussten die Beteiligten in Quarantäne bleiben oder hatten die Familien finanzielle Sorgen, lagen die Zahlen deutlich höher. Nur ein sehr kleiner Teil der betroffenen Frauen nutzte Hilfsangebote.

Emotionale Gewalt

3,8 Prozent der befragten Frauen fühlten sich von ihrem Partner bedroht. 2,2 Prozent duften ihr Haus nicht ohne seine Erlaubnis verlassen. In 4,6 Prozent der Fälle regulierte der Partner die Kontakte der Frauen mit anderen Personen. Dazu gehören auch digitale Kontakte, zum Beispiel über Messenger-Dienste.

Vergleich zu Zahlen vor der Pandemie ist schwierig

Ein Vergleich dieser Zahlen mit Daten aus der Zeit vor der Pandemie wäre nicht aussagekräftig, da bisherige Studien nach Gewalterfahrungen innerhalb längerer Zeiträume gefragt haben, nicht aber nach einem Zeitraum weniger Wochen.

Risikofaktor Finanzsorgen

Höher war die Zahl der Opfer sowohl bei Frauen als auch Kindern, wenn

  • sich die Befragten zu Hause in Quarantäne befanden (körperliche Gewalt gegen Frauen: 7,5 %, körperliche Gewalt gegen Kinder: 10,5 %).
  • die Familie akute finanzielle Sorgen hatte (körperliche Gewalt gegen Frauen: 8,4 %, körperliche Gewalt gegen Kinder: 9,8 %).
  • einer der Partner aufgrund der Pandemie in Kurzarbeit war oder den Arbeitsplatz verloren hatte (körperliche Gewalt gegen Frauen: 5,6%, körperliche Gewalt gegen Kinder: 9,3 %).
  • einer der Partner Angst oder Depressionen hatte (körperliche Gewalt gegen Frauen: 9,7 %, körperliche Gewalt gegen Kinder: 14,3 %).
  • sie in Haushalten mit Kindern unter 10 Jahren lebten (körperliche Gewalt gegen Frauen: 6,3 %, körperliche Gewalt gegen Kinder: 9,2 %).

Aus diesen Risikofaktoren leiten die Wissenschaftlerinnen mehrere Empfehlungen für bestehende und eventuelle künftige Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen während einer möglichen „zweiten Welle“ der Pandemie ab: „Es sollten Notbetreuungen für Kinder geschaffen werden, die nicht nur Eltern in systemrelevanten Berufen zur Verfügung stehen“, sagt Janina Steinert.

„Da Depressionen und Angstzustände das Gewaltpotential erhöhen, sollten psychologische Beratungen und Therapien auch online angeboten und ohne Hürden genutzt werden können. Frauenhäuser und andere Stellen, die Hilfen anbieten, müssen systemrelevant bleiben.“

Hilfsangebote

Die Wissenschaftlerinnen fragten zudem, ob die betroffenen Frauen Hilfsangebote kennen und genutzt haben. Zwar kannten 48,2 Prozent der Befragten die Telefonseelsorge (Rufnummer: 0800/111 0 111), nur 3,9 Prozent riefen allerdings an. Ähnlich sieht es beim Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" (Rufnummer: 08000 116 016) aus: Fast ein Drittel der Befragten kennen die Hotline, nur 2,7 Prozent nutzten sie. Mehr als ein Fünftel suchte Hilfe beim Elterntelefon (Rufnummer: 0800 111 0550).

Auch die Aktion „Codewort Maske 19“ soll Frauen und Kinder vor häuslicher Gewalt schützen: Wenn eine Kundin dieses Codewort in einer Apotheke verwendet, verständigt diese die Behörden. 1,8 Prozent der befragten Frauen hatten diese Möglichkeit genutzt.

Frauen zwischen 18 und 65 Jahren

Im Rahmen der Studie wurden rund 3.800 Frauen zwischen 18 und 65 Jahren online nach ihren Erfahrungen befragt. Die Studie ist hinsichtlich Alter, Bildungsstand, Einkommen, Haushaltsgrösse und Wohnort repräsentativ für Deutschland. Die Frauen wurden zwischen 22. April und 8. Mai 2020 nach dem vorangegangenen Monat gefragt, also der Zeit der strengsten Kontaktbeschränkungen.

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Lisa Vogel hat Ressortjournalismus mit dem Schwerpunkt Medizin und Biowissenschaften an der Hochschule Ansbach studiert und ihre journalistischen Kenntnisse im Masterstudiengang Multimediale Information und Kommunikation vertieft. Es folgte ein Volontariat in der NetDoktor-Redaktion. Seit September 2020 schreibt sie als freie Journalistin für NetDoktor.

Quellen:
  • Pressemitteilung der Technische Universität München (TUM): Häusliche Gewalt während der Corona-Pandemie: Erste große Studie zu Erfahrungen von Frauen und Kindern in Deutschland (02.06.2020)
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