Die Pandemie hat viele Kinder dick und krank gemacht
Coronakilos betreffen nicht nur die Erwachsenen. Auch ein grosser Teil der Kinder hat in der Pandemie zugenommen.
Das trifft auf jeden sechsten jungen Menschen zwischen 3 und 17 Jahren zu. In der Altersgruppe der 10- bis 12-Jährigen hat sogar fast jeder dritte Gewicht zugelegt. Hinzu kommen weitere körperliche und seelische Blessuren. Wie dramatisch die Lage inzwischen ist, zeigt eine aktuelle Untersuchung.
Es trifft wieder einmal vor allem ärmere Kinder
So waren Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien doppelt so häufig von einer ungesunden Gewichtszunahme betroffen wie Gleichaltrige aus einkommensstarken Familien (23 zu 12 Prozent). Die soziale Schere klafft also auch diesbezüglich noch stärker auseinander als vor der Pandemie.
Das zeigt eine repräsentative Eltern-Umfrage im Auftrag der Deutschen Adipositas Gesellschaft (DAG). Noch ist unklar, ob und – wenn ja – um wie viel die ohnehin schon erschreckend hohe Zahl der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen im Zuge der Pandemie angestiegen ist.
Mehr Kinder wegen Adipositas im Krankenhaus
Die letzte deutsche Erhebung zu dem Thema stammt aus dem Jahr 2017. Schon damals waren 15,4 Prozent der 3- bis 17-Jährigen übergewichtig und 5,9 Prozent sogar fettleibig. Bundesweite aktuelle Daten fehlen. Ein deutlicher Hinweis ist jedoch, dass nach Angaben der DAK-Gesundheit Krankenhausbehandlungen wegen Adipositas bei Kindern und Jugendlichen im Jahr 2020 erheblich angestiegen sind.
„Eine Gewichtszunahme in dem Ausmass wie seit Beginn der Pandemie haben wir zuvor noch nie gesehen“, erklärt Dr. Susann Weihrauch-Blüher, Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) der DAG.
Wie Übergewicht in der Kindheit schadet
Übergewicht ist in jedem Lebensalter ungesund, in Kindheit und Jugend aber besonders riskant:
- Übergewicht ist hartnäckig. Aus dicken Kindern werden in den meisten Fällen auch dicke Erwachsene.
- Übergewichtige Kinder entwickeln bereits krankhafte Veränderungen wie Diabetes, Fettleber oder Bluthochdruck.
- Auch die Psyche leidet unter den Kilos: Mangelndes Selbstbewusstsein und Scham, Mobbing und Depressionen können die Folge sein.
- Je länger die Lebenszeit mit Übergewicht ist, desto grösser ist das Risiko für gesundheitliche Folgeschäden.
Mehr Medienkonsum, weniger Bewegung
Für die aktuelle Studie hat das deutsche Meinungsforschungsinstitut Forsa im März und April 2022 insgesamt 1.004 Eltern mit Kindern im Alter von 3 bis 17 Jahren befragt. Neben der Gewichtszunahme deckte die Umfrage noch viele weitere gesundheitlich problematische Folgen der Corona-Pandemie für die Kinder auf:
- 44 Prozent der Kinder und Jugendlichen bewegen sich weniger als vor der Pandemie, von den Kindern im Alter von 10 bis 12 Jahren sind es sogar 57 Prozent.
- Bei 33 Prozent der Kinder und Jugendlichen hat sich die körperlich-sportliche Fitness verschlechtert, bei Kindern im Alter von 10 bis 12 Jahren sind es sogar 48 Prozent.
- Bei 43 Prozent der Kinder und Jugendlichen belastet die Pandemie die seelische Stabilität „mittel“ oder „stark“.
- 70 Prozent der Kinder und Jugendlichen haben die Mediennutzung gesteigert.
- 27 Prozent der Kinder und Jugendlichen greifen häufiger zu Süsswaren als zuvor.
Besonders besorgniserregend: Diese Trends scheinen sich seit dem ersten Lockdown sogar eher verstärkt zu haben.
Immerhin eine positive Auswirkung der Pandemie förderte die Befragung zutage: 34 Prozent der Familien essen nun häufiger gemeinsam als zuvor.
Werbeverbote und Zuckersteuer: Experten fordern Sofortmassnahmen
Experten der Deutschen Adipositas Gesellschaft fordern nun einen „Marshallplan“ gegen die Übergewichtsepidemie im Kindes- und Jugendalter. Dazu gehören Sofortmassnahmen, die Wissenschaftler schon lange einfordern:
- eine Besteuerung zuckerhaltiger Getränke,
- Werbeschranken für ungesunde Lebensmittel und
- eine Stärkung der chronisch unterfinanzierten Adipositas-Therapie
All das sind Massnahmen, die in anderen Ländern bereits umgesetzt wurden und ihre Wirksamkeit bewiesen haben. Beispiel Grossbritannien: Dort wird seit April 2018 eine Abgabe für Getränke fällig, die mindestens 5 Gramm Zucker pro 100 Milliliter enthalten. Ab 5 Gramm beträgt sie 18 Pence (21 Cent), ab 8 Gramm 28 Pence (33 Cent).
Grossbritannien: 30 Prozent weniger Zucker am Tag
Einer Studie der Universität Oxford zufolge ist der durchschnittliche Zuckergehalt von Softdrinks tatsächlich gesunken – von 4,4 Gramm (2015) auf 2,9 Gramm pro 100 Milliliter (2018). Auf den durchschnittlichen Konsum der Zuckerlimos hochgerechnet entspräche das einer Reduktion von 30 Prozent pro Kopf und Tag.
Der Absatz von Softdrinks, die der Zuckerabgabe unterliegen, reduzierte sich im Studienzeitraum um 50 Prozent, während der Absatz von zuckerfreien und -armen Getränken um 40 Prozent anstieg. Zwischen 2017 und 2018 beschleunigten sich diese Veränderungen – wohl angestossen durch die Einführung der Zuckerabgabe, so die Studienautoren.
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Autoren- & Quelleninformationen
- forsa-Umfrage zeigt Folgen der Corona-Krise für Kinder: Gewichtszunahme, weniger Bewegung, mehr Süßwaren – Jedes sechste Kind ist dicker geworden, Pressemitteilung Deutsche Gesellschaft für Adipositas, 31 Mai 2022
- L. K. Bandy et al. : Reductions in sugar sales from soft drinks in the UK from 2015 to 2018, BMC Med 18, 20 (2020). https://doi.org/10.1186/s12916-019-1477-4
- Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter in Deutschland – Querschnittergebnisse aus KiGGS Welle 2 und Trends, Journal of Health Monitoring, Robert Koch-Institut, 2018 3(1), DOI 10.17886/RKI-GBE-2018-005.2