Diabetestest

Diabetes zähmen

Von , Medizinredakteurin und Biologin
Luise Heine

Luise Heine ist seit 2012 Redakteurin bei Netdoktor.de. Studiert hat die Diplombiologin in Regensburg und Brisbane (Australien) und sammelte als Journalistin Erfahrung beim Fernsehen, im Ratgeber-Verlag und bei einem Print-Magazin. Neben ihrer Arbeit bei NetDoktor.de schreibt sie auch für Kinder, etwa bei der Stuttgarter Kinderzeitung, und hat ihren eigenen Frühstücksblog „Kuchen zum Frühstück“.

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Diabetiker haben bisher bei der Behandlung nicht viele Optionen: Typ-1-Diabetiker können nur mit Medikamenten die Folgen ihrer Krankheit austarieren, Typ-2-Diabetiker zusätzlich versuchen am Lebensstil zu schrauben.

Münchner Wissenschaftler um Prof. Heiko Lickert haben nun einen völlig neuen Therapieweg beschritten: Sie wollen Diabetes in Remission schicken – also die Krankheitssymptome zumindest zeitweilig abschwächen oder sogar umkehren. Im Tiermodel haben die Forscher das bereits erprobt.

Betazellen stehen im Zentrum der Erkrankungen

Um die neue Stossrichtung zu verstehen, muss man sich ansehen, wie Diabetes entsteht. Im Zentrum stehen dabei die sogenannten Langerhansschen Inselzellen. Diese Zellansammlungen in der Bauchspeicheldrüse bilden die Schaltzentrale zur Regulation des Blutzuckers. Besonders wichtiger Teil der Inselzellen sind die Betazellen. Sie produzieren das körpereigene Insulin. Normalerweise. Denn dafür müssen sie richtig programmiert sein.

Wenn die Zellidentität verloren geht

Im Laufe der Entwicklung von Diabetes verlieren aber viele von ihnen ihre Zellidentität, sie „dedifferenzieren“. „Ausgelöst wird das bei Typ-2-Diabetes zum Beispiel durch Stress, etwa durch zu viel Glukose, zu viele Lipide“, erklärt Lickert. Spannend ist, dass die Zellen dabei nicht sterben, sie sind noch da, aber nicht aktiv. So schützen sie sich vor anhaltendem Arbeitsstress.

Diese vor sich hindümpelnden Zellen wieder an ihre Aufgabe zu erinnern, sodass die Regulation des Blutzuckers wieder funktioniert, das war die Idee der Wissenschaftler. Der Diabetes liesse sich so in Remission schicken. Um das zu untersuchen, behandelten sie Mäuse, bei denen zuvor künstlich die Beta-Zellen dedifferenziert worden waren, mit verschiedenen Medikamenten.

Effiziente Wirkstoffkombination

Am erfolgreichsten war dabei die Kombination aus dem Glucagon-ähnlichem Peptid-1 (GLP-1), Östrogen und einem langwirkenden Insulin. GLP-1 wirkt dabei als Schleuser, der die Wirkstoffe Östrogen und Insulin gezielt in die Betazellen schmuggelt.

Dieses Trio hatte den grössten positiven Effekt auf die Normalisierung der Blutzuckerwerte und bezüglich der Glukosetoleranz der Zellen. Aber auch die Insulinproduktion der Betazellen und deren Anzahl erhöhte sich. „Wir waren selbst überrascht, wie gut die Regeneration damit klappt“, so Lickert.

Schleusermolekül für Wirkstoffe

Ein besonderes Highlight war für ihn, dass mit dem GLP-1 als Schlüssel ganz gezielt die Betazellen angesprochen und aktiviert werden können. So lassen sich Wirkstoffe in die Zellen schleusen und mögliche Nebenwirkungen reduzieren. Das ist im Falle von Östrogen wichtig, da das Hormon auch an anderen Stellen des Körpers wirken kann – und nicht nur positiv. Weil es die Zellvermehrung anregt, steht Östrogen im Verdacht, das Krebsrisiko zu erhöhen.

Bekämpft die Symptome, nicht die Ursache

„Im Moment stoppt nichts, was auf dem Markt ist, die Krankheit“, erläutert Lickert. Das würde auch der neue Ansatz nicht ändern. Deswegen gehört eine Lebensstiländerung bei Typ-2-Diabetes immer zwingend zur Therapie, um die Zellen nicht erneut zu stressen. Ein Vorteil der neuen Kombination wäre allerdings, dass es nicht zur Gewichtssteigerung beiträgt, wie etwa Insulin.

Sonderfall Typ-1-Diabetes

Obwohl Typ-1-Diabetes im Grunde eine völlig andere Erkrankung als der sehr viel häufigere Typ-2-Diabetes, könnte der neue Therapieansatz auch hier helfen. Ursache eines Typ-1-Diabetes ist, dass das Immunsystem die isulinproduzierenden Betazellen attackiert. Es handelt sich also um eine Autoimmunerkrankung.

„Bei Typ-1-Diabetikern muss man darum zunächst das Immunsystem in den Griff bekommen“, so Lickert. Im Moment gibt es dafür zum Beispiel den Ansatz, die Helferzellen, die die Betazellen angreifen, zu blockieren. Am Immunsystem zu schrauben birgt aber einige Gefahren. Darum wird die Therapie bei Kindern im frühen Erkrankungsstadium lediglich für zwei Wochen durchgeführt. Immerhin bis zu zwei Jahre lässt sich so der Ausbruch der Krankheit rausschieben.

„Unsere langfristige Idee ist, nicht nur die Immunantwort zu unterdrücken, sondern auch die Betazellen zu regenerieren.“ An dieser Stelle kommen die neuen Wirkstoffkombinationen ins Spiel. Sie könnte die verbleibenden Betazellen ebenso reaktivieren wie bei Typ-2-Diabetikern. So liesse sich die Krankheit eventuell noch länger hinauszögern.

Forschung braucht langen Atem

Ein wesentlicher Punkt dabei ist das Aufwiegen von Risiken und Nutzen eines neuen Medikaments. Östrogen ist eben nicht ganz ungefährlich. Darum: „Als nächstes wollen wir versuchen noch andere Stoffe an GLP-1 zu hängen, um zu sehen, was noch eine gute Schutzwirkung für die Betazellen hat“, so Lickert.

Bis zu einem wirklichen Einsatz der Methode für die Therapie ist es allerdings noch ein weiter Weg. Die Forscher wollen als nächstes testen, ob das gezielte Transportsystem so auch bei menschlichen Zellkulturen funktioniert. „Das bedeutet nochmal mindestens drei Jahre Forschung“, sagt der Wissenschaftler. Erst dann liefen die verschiedenen klinischen Studien an. Erst wenn diese erfolgreich sind, käme ein entsprechendes Medikament auf den Markt. Zehn Jahre können dabei locker ins Land gehen.

Neue Kerbe

Nachdem er und seine Kollegen jetzt genau wissen, wie sie gezielt Stoffe, die Betazellen schützen können, in sie hinein transportieren können, können sie systematisch auf die Suche gehen. „Es ist eine neue Kerbe, in die wir schlagen können, um den Krankheiten zu begegnen – eine, bei der wir so manche Nebenwirkung anderer Medikamente verhindern können.“

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Luise Heine ist seit 2012 Redakteurin bei Netdoktor.de. Studiert hat die Diplombiologin in Regensburg und Brisbane (Australien) und sammelte als Journalistin Erfahrung beim Fernsehen, im Ratgeber-Verlag und bei einem Print-Magazin. Neben ihrer Arbeit bei NetDoktor.de schreibt sie auch für Kinder, etwa bei der Stuttgarter Kinderzeitung, und hat ihren eigenen Frühstücksblog „Kuchen zum Frühstück“.

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