Frau trägt Mundschutz

Coronavirus: Kommt die zweite Welle?

Von , Medizinredakteurin
Lisa Vogel

Lisa Vogel hat Ressortjournalismus mit dem Schwerpunkt Medizin und Biowissenschaften an der Hochschule Ansbach studiert und ihre journalistischen Kenntnisse im Masterstudiengang Multimediale Information und Kommunikation vertieft. Es folgte ein Volontariat in der NetDoktor-Redaktion. Seit September 2020 schreibt sie als freie Journalistin für NetDoktor.

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Die Corona-Infektionszahlen steigen wieder - und mit ihnen die Sorge vor einer zweiten Infektionswelle. Doch kommt wirklich eine zweite Welle auf uns zu?

Es ist Sommer und die Leute drängen nach draussen. Sie treffen sich an Seen, in Parks und Grünanlagen, in Einkaufsstrassen oder, um gemeinsam zu feiern. Die Menschen streben nach Normalität. Abstand und Hygiene werden dabei schnell vergessen. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem die Infektionszahlen an immer mehr Orten wieder ansteigen.

Doch gerade durch die raschen und umfangreichen Infektionsschutzmassnahmen und das Mitwirken der Bevölkerung ist es gelungen, die erste Covid-19-Welle in Deutschland abzuflachen. Das bedeutet aber nicht, dass die Pandemie in überstanden ist.

Neuinfektionen steigen wieder an

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch meldete das Robert Koch-Institut (RKI) 206 926 Coronavirusinfektionen in Deutschland. Das sind 684 mehr als noch am Vortag. Zum Vergleich: Am 14. Juni lag die Anzahl der Neuinfektionen noch bei 213.

Auch der Sieben-Tage-Durchschnitt der Neuinfektionen ist in den vergangenen Wochen wieder gestiegen. Mit diesem Wert lässt sich der Trend bei den Neuinfektionen unabhängig von Schwankungen im Verlauf einer Woche darstellen. Mitte Juni waren es noch durchschnittlich 315 Neuinfektionen täglich. In den vergangenen sieben Tagen haben sich hingegen im Schnitt 575 Personen pro Tag angesteckt.

Noch vor wenigen Wochen haben laut Lagebericht des RKI fast 150 Landkreise keine neuen Fälle gemeldet. Diesen Montag waren nur noch 88 Landkreise ohne Neuinfektionen. Ein Entwicklung, die das RKI “sehr beunruhigend” findet. “Eine weitere Verschärfung der Situation muss unbedingt vermieden werden”, schreibt das Institut in einer Mitteilung.

Lokale Hotspots

Aufgrund der steigenden Fallzahlen spricht der Sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer bereits von einer “zweiten Welle”. Ein Begriff, der viele Bürger in Angst versetzt. Doch ist die zweite Welle wirklich Realität?

Epidemiologen, die sich tagtäglich mit der Ausbreitung von Infektionen beschäftigen, sehen das nicht so: Noch sehen sie das aktuelle Infektionsgeschehen nicht als zweite Krankheitswelle an. Die steigenden Zahlen seien zuletzt auf lokale Infektionsgeschehen wie zum Beispiel in Vechta auf einem Geflügelschlachthof zurückzuführen. Oder in Bayern, wo 174 infizierte Erntehelfer im bayerischen Landkreis Dingolfing-Landau Schlagzeilen machten.

Auch der Mathematiker Thomas Hotz spricht sich gegenüber tagesschau.de gegen eine “zweite Welle” aus. Als Experte für Wahrscheinlichkeitsrechnung und mathematische Statistik forscht er an der Technischen Universität Ilmenau und veröffentlicht mit seinem Team Berechnungen zum R-Wert - der Reproduktionszahl. "Die Gesundheitsämter haben die Situation gut im Griff", meint er; eine sogenannte zweite Welle gebe es derzeit nicht.

Allerdings gebe es nun auch immer mehr kleinere Geschehen in verschiedensten Landkreisen, betont das RKI. Sie würden beispielsweise im Rahmen von Familienfeiern, religiösen Zusammenkünften, Arbeitsplätzen oder Gesundheits- sowie Gemeinschaftseinrichtungen auftreten.

Fehlende Immunität birgt Infektionsgefahr

Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung hat keinen Immunschutz gegen das Coronavirus. Und selbst wenn jemand eine Infektion durchgemacht hat, ist noch nicht klar, inwieweit er vor einer erneuten Infektion geschützt ist. Die Fallzahlen könnten also weiter ansteigen - und die Verwendung des Begriffs “zweiten Welle” rechtfertigen.

Ob es zu einer zweiten Infektionswelle kommt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Dazu gehören:

  • mögliche saisonale Effekte
  • Einhaltung von Infektionsschutzmassnahmen
  • Mobilität der Bevölkerung
  • Schnelle Identifikation von Infektionen und Kontaktpersonen (Durchbrechung von Infektionsketten)

Risiko Reiserückkehrer?

Durch die Lockerungen der Kontakt- und Reisebeschränkung steigt auch das Risiko, sich im Ausland mit dem Virus zu infizieren. Das RKI aktualisiert deshalb laufend eine Liste, mit den aktuellen Risikogebieten. In diesen Risikogebieten ist die Gefahr besonders hoch, sich mit dem Coronavirus anzustecken - und es bei der Rückreise nach Deutschland mitzubringen.

Wer in ein Risikogebiet reist, muss nach der Rückkehr nach Deutschland mit einer 14-tägigen Quarantäne rechnen. Ein ärztliches Zeugnis mit der Aussage, dass der Betroffene zum Zeitpunkt der Einreis nicht mit Sars-CoV-2 infiziert ist, kann nach der Reise die Quarantäne verhindern. Der Test darf höchstens 48 Stunden vor der Einreise durchgeführt worden sein.

Wenn kein Test vor der Einreise durchgeführt wurde, ist es auch möglich, sich nach der Einreise nach Deutschland testen zu lassen. Urlauber können sich inzwischen an vielen deutschen Flughäfen bei der Ankunft auf das Coronavirus testen lassen. Ist das Ergebnis negativ, muss der Betroffene nicht in Quarantäne. Die Bundesregierung diskutiert derzeit eine Testpflicht für alle Personen, die aus einem Risikogebiet nach Deutschland einreisen. Wann und ob die Testpflicht durchgesetzt wird, ist noch unklar.

Schutzmassnahmen auch im Urlaub

Lokale Infektionsgeschehen wie sie nun gehäuft in Deutschland auftreten, gibt es aber auch in Ländern, die (noch) nicht zu Risikogebieten erklärt wurden: Zum Beispiel Spanien meldete zuletzt steigende Infektionszahlen in den Regionen Katalonien, Navarra und Aragón. Das Auswärtige Amt rät deshalb von Reisen dorthin ab (NetDoktor.de berichtete). Ein weiterer aktueller Infektionsherd ausserhalb der offiziellen Risikogebiete: St. Wolfgang in Österreich. Gerade an Orten mit hohen Infektionszahlen sind die Schutzmassnahmen auch für Urlauber das A und O.

Keine Horrorszenarien erwartet

Selbst wenn die Infektionszahlen wieder in die Höhe schnellen sollten, muss die Situation nicht zwangsläufig so kritisch wie vor einem halben Jahr aussehen. Inzwischen ist deutlich mehr über das Coronavirus bekannt. So hat sich die Behandlung von Covid-19 in deutschen Krankenhäusern mittlerweile eingespielt.

Stefan Kluge, Leiter der Abteilung für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) in Hamburg, verwies gegenüber der "Zeit" bereits Ende Juni darauf, dass die Behandlung von Patienten grosse Fortschritte gemacht habe. Auch ein erneuter Engpass bei Desinfektionsmittel oder Mund-Nasen-Masken ist unwahrscheinlich.

“Nicht auf dem Erfolg ausruhen”

Wenngleich sich viele an Maske, Abstand und Hygiene gewöhnt haben, könnten die insgesamt noch geringen Infektionsfälle zu Leichtsinn verleiten. Der Leiter des RKI Lothar Wieler warnt deshalb vor sorglosem Verhalten. "Wir haben es in der Hand, wie sich die Pandemie in Deutschland weiter verbreiten wird." Jetzt zu Tausenden wilde Partys zu feiern, sei rücksichtslos und auch fahrlässig, sagt er gegenüber dem “Spiegel”.

Ob eine zweite Welle in Deutschland ausbricht, hängt vom individuellen Verhalten jedes Einzelnen ab. Die AHA-Regel (Abstand halten, Hygienemassnahmen, Alltagsmasken) gilt noch immer - auch im Freien. Und sie wird noch länger eine wichtige Leitlinie für den Alltag sein, um die Corona-Ausbreitung und damit eine tatsächliche zweite Welle einzudämmen.

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Lisa Vogel hat Ressortjournalismus mit dem Schwerpunkt Medizin und Biowissenschaften an der Hochschule Ansbach studiert und ihre journalistischen Kenntnisse im Masterstudiengang Multimediale Information und Kommunikation vertieft. Es folgte ein Volontariat in der NetDoktor-Redaktion. Seit September 2020 schreibt sie als freie Journalistin für NetDoktor.

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