Schatten an einer Wand

Corona: Wie hoch ist die Dunkelziffer?

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Alle NetDoktor.ch-Inhalte werden von medizinischen Fachjournalisten überprüft.

Die offiziellen Zahlen täuschen: In Deutschland haben sich womöglich schon Zigtausende Menschen angesteckt. Was bedeutet das für den Umgang mit dem Virus?

Täglich gibt das Robert Koch-Institut (RKI) die neuen Zahlen zur Coronavirus-Epidemie bekannt. Stand heute (Dienstag) sind es in Deutschland knapp 8200, 12 sind gestorben. Tatsächlich sind es aber mehr - viel mehr.

Die offiziellen Fallzahlen täuschen

„8200 von 82 Millionen? Gar nicht sooo viele“, wird sich so mancher denken und sich fragen, ob die angeordneten Einschränkungen nicht etwas übertrieben sind. Tatsache ist aber: Die wirkliche Zahl der Infizierten ist um ein Vielfaches höher. Wie bei einem Eisberg, bei dem der grösste Teil unter der Wasseroberfläche liegt, bilden auch bei Covid-19 die dokumentierten Krankheitsfälle nur die sichtbare Spitze.

Es gibt also wesentlich mehr Infizierte als tatsächlich nachgewiesen und dokumentiert sind. Diese Gesamtzahl aller Ansteckungen schätzen Experten mit der sogenannten Dunkelziffer.

Unbemerkte Infektionen fördern die Ausbreitung

Covid-19 verläuft bei etwa vier von fünf Infizierten unbemerkt bis mild. Und unauffällige Fälle werden derzeit auch in Deutschland nur getestet, wenn es einen konkreten Anlass für einen Verdacht gibt. Doch der hat sich in der langen Kette der Ansteckungen meist schon verloren.

So begründete das RKI seine Hochstufung des Corona-Risikos unter anderem damit, dass es immer mehr bestätigte Infektionen gebe, die nicht mehr auf bereits bekannte Fälle zurückgeführt werden können.

Einer von sechs Infizierten blieb unerkannt

Ein Team aus britischen, US-amerikanischen und chinesischen Forschern hat errechnet, dass in China auf einen erkannten Infizierten sechs unerkannte kamen – zu Beginn der Epidemie waren es sogar noch mehr. Genau von diesen unerkannten Virenträgern gingen aber zwei Drittel der Infektionen aus, so die Berechnungen des Forscherteams.

Auf Deutschland übertragen lassen sich diese Zahlen nicht ohne Weiteres. Wie hoch die Dunkelziffer in einem Land ist, hängt auch davon ab, wie konsequent getestet wird. Angesichts der sehr hohen Sterblichkeit von inzwischen 7,2 Prozent in Italien geht man davon aus, dass die Dunkelziffer dort sehr hoch ist. Viel höher als in Deutschland, wo der Anteil der Verstorbenen unter den bekannten Infizierten derzeit nur bei sehr niedrigen 0,2 Prozent liegt.

Dunkelziffer 100.000?

Wie viele ahnungslose Infizierte hierzulande durch die Strassen schlendern, lässt sich nur schwer abschätzen. Experten halten es aber für realistisch, dass sich bereits 100.000 Menschen in Deutschland angesteckt haben könnten – zehnmal mehr als offiziell bekannt. Manche halten sogar eine noch höhere Dunkelziffer für denkbar.

Das Problem: Auch, wer sich selbst gesund fühlt kann andere anstecken. Stimmen die Schätzungen und wird diese Kettenreaktion nicht verlangsamt, könnten wir schnell die Millionengrenze überschreiten.

Das noch abzuwenden, ist genau der Anlass für die verordneten strengen Massnahmen. Sie sollen die sozialen Kontakte reduzieren und die schnelle Ausbreitung eindämmen. Denn nicht nur die Zahl der bekannten Fälle verdoppelt sich derzeit alle drei Tage, auch die vielfach grössere der unerkannten Infizierten.

Das Ruder noch herumreissen

Die gute Nachricht ist: Das Ruder liesse sich noch herumreissen. Welchen Effekt die derzeitigen Massnahmen haben, wird sich in einigen Tagen zeigen. Da es durchschnittlich sechs Tage dauert, bis die Krankheit ausbricht, werden die Zahlen vorerst weiter im selben Tempo steigen, bis sich eine mögliche Bremswirkung durch die Massnahmen zeigt.

„Corona-Partys“, selbst organisierte Spielgruppen und andere Zusammenkünfte können die Anstrengungen allerdings torpedieren. Das Robert-Koch-Institut warnt schon jetzt vor einem Szenario mit zehn Millionen Coronavirus-Infektionen in einigen Monaten in Deutschland, wenn die angeordneten Schutzmassnahmen nicht eingehalten würden.

Wenn die Vernunft nicht ganz schnell siegt, bleiben als letzte Notbremse nur noch Ausgangssperren wie in Italien, Frankreich oder Belgien.

Autoren- & Quelleninformationen

Jetzt einblenden
Datum :
Autor:

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Quellen:
  • RKI Fallzahlen, Abruf 18.03.2020
  • Ruiyun L et al.: Substantial undocumented infection facilitates the rapid dissemination of novel coronavirus (SARS-CoV2), Science, 16.03.2020, DOI: 10.1126/science.abb3221
Teilen Sie Ihre Meinung mit uns
Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie NetDoktor einem Freund oder Kollegen empfehlen?
Mit einem Klick beantworten
  • 0
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
  • 6
  • 7
  • 8
  • 9
  • 10
0 - sehr unwahrscheinlich
10 - sehr wahrscheinlich