Schüler mit Maske

Corona-Ausbreitung: Welche Rolle spielen die Schulen?

Von , (Bio-)Chemiker
und , Medizinredakteurin
Dr. Maximilian Reindl

Maximilian Reindl studierte Chemie und Biochemie an der LMU in München und ist seit Dezember 2020 Mitglied der NetDoktor-Redaktion. Er arbeitet sich für Sie in medizinisch-naturwissenschaftliche und gesundheitspolitische Themen ein, um diese gut verständlich und nachvollziehbar aufzubereiten.

Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Die Diskussion, welchen Anteil Schulen an der Ausbreitung des Virus haben, läuft bereits seit dem Frühjahr. Fest steht bislang nur eines: Auch Kinder und Jugendliche können das Virus übertragen.

Untersucht man Proben aus den Halsabstrichen von Kindern, stösst man mitunter auf ebenso viele Viren wie bei Erwachsenen. Das muss allerdings nicht bedeuten, dass Kinder das Virus genauso stark verbreiten wie Erwachsene, und Schulen daher die Pandemie vorantreiben.

Tatsächlich ist die gegenwärtige Studienlage zu dem Thema unübersichtlich. Teils widersprechen sich die Ergebnisse – teils liegen lediglich Moment-Erhebungen und Zwischenergebnisse vor. Das heisst, belastbare Aussagen sind derzeit nur schwer zu treffen.

Hohe Dunkelziffer unter Schülern

Aussagekräftige Daten liefert zumindest eine Studie des Helmholtz-Zentrums in München. Sie umfasst die Phase zwischen dem Ende des ersten „harten Lockdowns“ mit Schulschliessungen und der erneuten Schulöffnung ab Mai 2020.

Die Forscher untersuchten dazu rund 12 000 Blutproben von Kindern und Jugendlichen auf Sars-CoV-2-Antikörper. Werden diese im Blut gefunden, bestätigt das eine vorangegangene Infektion.

Dabei setzten die Forscher auf ein besonders zuverlässiges, zweistufiges Testverfahren. Es bewertet ein Ergebnis erst dann als positiv, wenn Antikörper sowohl gegen das sogenannte Spike-Protein des Virus als auch gegen die Virushülle (Nukleokapsid) nachgewiesen wurden. Damit werden falsch-positive Testergebnisse erheblich reduziert.

Viele Infektionen verlaufen still

Die Forscher stellten fest, dass rund die Hälfte der Kinder mit positivem Antikörper-Test zuvor keine Symptome von Covid-19 entwickelt hatten. Dementsprechend hoch war die Dunkelziffer. Insgesamt hatten sich sechsmal mehr junge Probanden infiziert als den offiziellen Stellen gemeldet worden waren. Die tatsächliche Dunkelziffer dürfte sogar noch höher liegen, denn manche Infizierte entwickeln keine Antikörper oder diese verschwinden schnell wieder aus ihrem Blut.

Allerdings war die Rate der durchgemachten Infektionen insgesamt gering, was die Aussagekraft der Studie schwächt: Nur 0,87 Prozent der Kinder wiesen Antikörper auf. In sogenannten „Hotspots“ waren allerdings auch die Kinder häufiger betroffen. Das legt nahe, dass in Zeiten mit hohen Fallzahlen in der Bevölkerung auch Schulen am Infektionsgeschehen zunehmend beitragen dürften.

Wo stecken sich die Schüler an?

Unklar blieb allerdings, wo die Schüler sich angesteckt hatten – in der Freizeit oder in der Schule. Rund ein Drittel der Kinder aus einem Haushalt mit einem positiv getesteten Familienmitglied wiesen ebenfalls Antikörper auf.

Eine Studie der Schulbehörde Hamburg hat die Umstände, unter denen sich Schüler zwischen den Sommer- und Herbstferien ansteckten, untersucht.

Die vorläufige Auswertung der Daten von 372 Sars-CoV-2-Infektionen zeigt, dass sich die Schüler zwar auch in der Schule angesteckt hatten. Jedoch scheint die Gefahr einer Infektion im ausserschulischen Umfeld bedeutend höher.

Es sei auffällig gewesen, dass sehr oft nur ein einziger Infektionsfall innerhalb von zehn Tagen in einer Jahrgangsstufe aufgetreten sei, so Schulsenator Ties Rabe (SPD). Auch im direkten Schulumfeld habe es in solchen Fällen keine weiteren infizierten Personen gegeben, so das vorläufige Ergebnis der Untersuchung.

Schulen: Ideale Bedingungen für das Virus

Tatsächlich sind Schulen naturgemäss Orte zahlreicher Kontakte. Auf dem Schulweg und in der Pause mischen sich die Klassen, in den Klassenzimmern herrscht Enge und oft genug verbrauchte Luft. Ideale Bedingungen für das Virus. Infizierte Lehrkräfte können das Virus von Klasse zu Klasse tragen. In höheren Stufen lernen die Schüler zudem nicht mehr im Klassenverband, sondern in Kursen unterschiedlicher Zusammensetzung.

Schulsenator Rabe sieht in den Ergebnissen der Hamburger Schulstudie einen Hinweis darauf, dass die disziplinierte Einhaltung der Hygieneregeln die Infektionsgefahr innerhalb der Schulen vermindern könne. Allerdings räumt Rabe ein, dass eine unabhängige wissenschaftliche Prüfung der Daten noch aussteht.

Welchen Einfluss haben Schulschliessungen?

Der erste harte Lockdown in Deutschland mit Schulschliessungen hatte gewirkt. Ab Herbst 2020 stiegen die Infektionszahlen in Deutschland jedoch erneut steil an – und dies trotz „Teil-Lockdowns“ im Herbst. Die Schulen waren offen geblieben.

Eine britische Studie legt jetzt einen Zusammenhang zwischen offenen Schulen und einem stark steigenden R-Wert (Reproduktionszahl) nahe. Sie hatte den Einfluss verschiedener gelockerter Pandemie-Massnahmen auf den Reproduktionsfaktor untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass auf die Rückkehr der Schüler in die Klassenräume ein sprunghafter Anstieg der Infektionszahlen binnen eines Monates folgte.

Als Datengrundlage nutzen die Forscher aus Edinburgh Daten aus 131 Ländern, darunter auch Zahlen des „Oxford Coronavirus Government Response Trackers“ (OxCGRT). Der OxCGRT ist eine von der Universität Oxford im März 2020 ins Leben gerufene Datenbank, die politische Massnahmen von Regierungen zur Begrenzung der Corona-Pandemie dokumentiert.

Die im Fachjournal The Lancet Infectious Diseases veröffentlichte Studie kommt zu dem Schluss, dass politische Massnahmen wie etwa Schulschliessungen erheblich zur Eindämmung des Virus beitragen konnten.

Schulschliessungen als letzte Option

Ein aktueller Report des European Center for Disease Prevention and Control (ECDC) kommt zu dem Schluss, dass Schulschliessungen zwar dazu beitragen könnten, die Ausbreitung des Virus einzudämmen, als alleinige Massnahme aber nicht ausreichten. Zumindest in Zeiten mit insgesamt niedrigen Fallzahlen hätten sich Schulen nicht als Treiber der Pandemie erwiesen.

Die Verfasser heben hervor: Schulschliessungen sollten angesichts der hohen physischen und mentalen Belastungen, die damit für die Kinder einhergehen, nur als letzte Massnahme ergriffen werden. Auch wenn unbestritten sei, dass Kinder aller Altersstufen sich infizieren und das Virus verbreiten können, seien sie selbst von schweren oder tödlichen Verläufen nur sehr selten betroffen.

Die Verfasser betonen allerdings, dass Daten zur neuen, ansteckenderen Variante von Sars-CoV-2 nicht einbezogen wurden.

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Maximilian Reindl studierte Chemie und Biochemie an der LMU in München und ist seit Dezember 2020 Mitglied der NetDoktor-Redaktion. Er arbeitet sich für Sie in medizinisch-naturwissenschaftliche und gesundheitspolitische Themen ein, um diese gut verständlich und nachvollziehbar aufzubereiten.

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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