Tröpfchen Illustration

Corona-Aerosole: Ansteckung über die Luft?

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Händewaschen und Abstand halten – zumindest in geschlossenen Räumen reicht das vielleicht nicht aus. Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass auch sogenannte Aerosole wesentlich zum Infektionsgeschehen beitragen könnten.

Dabei handelt es sich um feinste Mikrotröpfchen von meist weniger als fünf Mikrometer Durchmesser. (Zum Vergleich: ein menschliches Kopfhaar ist etwa 50 Mikrometer dick). Sie werden schon beim normalen Sprechen oder sogar Atmen ausgestossen.

Während grössere und damit schwerere Tröpfchen vergleichsweise schnell auf den Boden fallen, wabern die kleineren Aerosole längere Zeit durch die Luft. Deshalb greift die geltende Abstandsregel von 1,5 Metern zu kurz für diese schwebenden Teilchen: Sie können sich über weitere Strecken ausbreiten. Zudem reichern sie sich in geschlossenen Räumen an.

Minuten bis Stunden in der Luft

Das verdeutlicht unter anderem ein Experiment, das Philip Anfinrud und Adriaan Bax von den National Institutes of Health in Bethesda (USA) durchführten. Dazu liessen die Forscher eine Testperson die Worte „stay healthy!“ („bleib gesund!“) in unterschiedlicher Lautstärke in eine abgedunkelte Box rufen.

Per Laser machten sie die herausgeschleuderten Aerosoltröpfchen sichtbar – zumindest die grösseren von ihnen. Diese blieben durchschnittlich zwölf Minuten lang in der Luft. Pro Minute entstünden so beim lauten Sprechen ungefähr 1000 Aerosoltröpfchen, errechneten die Forscher. Hinzu kämen noch die kleinen Aerosole, die unsichtbar blieben und somit nicht gezählt wurden.

In anderen Experimenten liessen sich in künstlich erzeugten Aerosolen noch drei Stunden später vermehrungsfähige Viren nachweisen. Allerdings waren dies Laborsituationen – unter natürlichen Gegebenheiten könnte das ganz anders aussehen.

Der letzte Beweis steht noch aus

Man weiss aber: Einige Infektionskrankheiten wie beispielsweise Masern oder Windpocken können sich sehr leicht über Aerosole übertragen. Experten sprechen hier auch vom sogenannten aerogenen Ansteckungsweg – also über die Luft.

Da Sars-CoV-2 sich im Rachen und der Lunge vermehrt, verwundert es nicht, dass man auch diesen Erreger in Aerosolen gefunden hat. Noch unklar ist aber, ob die darin enthaltene Menge an Viren tatsächlich ausreicht, um sich anzustecken – und wie lange die in den Aerosolen eingeschlossenen Erreger ansteckend bleiben.

Hochrisikofaktor Singen

Doch es spricht einiges dafür, dass Aerosole bei der weltweiten Ausbreitung der Krankheit eine zentrale Rolle gespielt haben könnten.

Ein eindrucksvolles Beispiel für die Luftübertragungen der Viren liefert die Auswertung eines Ausbruches im Rahmen einer Chorprobe. Sie fand am 10. März in einer kleinen Kirche im US-Bundesstaat Washington statt. Einer der Sänger hatte sich zuvor mit Sars-CoV-2 angesteckt. Während dieser einen Probe mit 61 Teilnehmern erkrankten 52 Mitsänger des Infizierten, 32 von ihnen nachweislich an Covid-19. Bei dreien verlief die Krankheit schwer, zwei von ihnen starben.

Zwar hatte man die Abstandsregeln hier nicht genau befolgt – einige Sänger befanden sich nahe nebeneinander und ein paar reichten ihren Nachbarn sogar mitgebrachtes Obst – dennoch bleibt die Zahl der Angesteckten frappierend hoch und lässt sich durch Übertragungswege jenseits der Luft kaum erklären.

Einen vergleichbaren Fall gab es in der Berliner Kantorei. Von 80 Chormitgliedern infizierten sich 60. Alle haben sich inzwischen erholt. Aus Grossbritannien werden weitere ähnliche Fälle berichtet.

Dazu muss man allerdings anmerken, dass gerade Singen besonders viele Aerosole freisetzt. Dabei werden Partikel auch aus den Tiefen der Atemwege mit hoher Kraft hervorgeschleudert. Unter gleichen Bedingungen, aber ohne Gesang, hätten sich wahrscheinlich weniger Anwesende angesteckt.

Umgekehrt könnte das Singen dazu beigetragen haben, warum sich beim Après-Ski in Ischgl, auf der Karnevalssitzung im deutschen Corona-Hotspot im Kreis Heinsberg aber auch bei Fussballevents so viele Teilnehmer infiziert haben. Dies alles sind Gelegenheiten, bei denen die Anwesenden inbrünstig singen oder grölen.

Erfolgt fast die Hälfte der Infektionen über die Luft?

Die Ansteckungskraft lässt sich weiter abstufen: Rufen produziert mehr Aerosole als lautes Sprechen, das wiederum mehr als leises. Am wenigsten, aber immer noch messbar, entstehen beim ruhigen Atmen.

Einige Experten, darunter der Charité-Virologe Prof. Christian Dorsten, sind schon jetzt davon überzeugt, dass ein grosser Teil - möglicherweise sogar mehr als 40 Prozent - der Infektionen über diesen Weg erfolgt. Das könnte erklären, warum sich das Virus verhältnismässig schnell weltweit ausbreiten konnte. In kleinen, geschlossenen Räumen wäre die Ansteckungsgefahr dadurch besonders gross.

Die Virenbelastung ist entscheidend

Ob man sich bei einem infizierten Menschen ansteckt, hängt entscheidend davon ab, wie hoch die Virendosis ist, die einen trifft. Grössere Tröpfchen enthalten mehr Viren – und sind daher besonders ansteckend. Bei der Übertragung über den Luftweg ist die Virendichte in der Luft entscheidend. Und die hängt von zahlreichen Faktoren ab.

Raumgrösse: In grösseren Räumen können sich die Viren leichter verteilen. Die Virendichte nimmt ab.

Aufenthaltsdauer: Je länger man sich gemeinsam in einem geschlossenen Raum aufhält, desto grösser die Gefahr, mehr Viren einzuatmen. Auf längeren Flug- oder Bahnreisen könnte das besonders problematisch werden.

Art der Betätigung: Wie sich die infizierte Person verhält, trägt entscheidend zum Virenausstoss bei. Wie oben beschrieben, erzeugt beispielsweise Singen mehr Aerosole als ruhiges Atmen.

Darauf deutet auch eine Fitnessstudio-Studie aus Südkorea hin: Bei einem intensiven Tanz-Workout steckten sich viele Teilnehmer an. In der Yogaklasse war es keiner. Bei intensiver sportlicher Betätigung scheinen also mehr Viren ausgestossen zu werden als bei leichter.

Stadium und Schwere der Erkrankung: Entscheidend dürfte auch sein, in welchem Stadium der Erkrankung sich der Infizierte befindet, mit dem man sich einen Raum teilt. Besonders ansteckend sind Corona-Infizierte nach aktuellem Wissensstand einen Tag vor und ein bis zwei Tage nach Auftauchen der Symptome.

Fünf Tage nach Symptombeginn ist die Gefahr, andere anzustecken, bereits bei vielen wieder sehr gering. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass leicht erkrankte oder auch symptomfreie Menschen häufig weniger ansteckend sind als schwer erkrankte.

Anzahl der Infizierten im Raum: Je mehr Infizierte sich in einem Raum aufhalten, desto mehr Coronaviren gelangen in die Luft. Desto höher ist dementsprechend die Gefahr für andere.

Im Umkehrschluss heisst das: Unter freiem Himmel, wo sich die Viren schnell verflüchtigen, ist die Ansteckungsgefahr sehr viel geringer. Wer an einem Infizierten vorbeispaziert, wird sich kaum anstecken – es sei denn, er wird angehustet.

Lüften hilft!

Aus diesen Erkenntnissen lassen sich Handlungsmassnahmen ableiten: Regelmässiges kräftiges Lüften kann die Virenlast in der Raumluft erheblich reduzieren. Bei warmen Aussentemperaturen empfiehlt es sich, gleich bei weit geöffneten Fenstern zu arbeiten.

Richtig aufgestellt könnten Standventilatoren die Durchlüftung unterstützen, wenn sie die Raumluft zum Fenster hinaustreiben. Das schlägt Charité-Virologe Christian Drosten in seinem Podcast auch für Schulklassen vor. Besser noch sei Unterricht im Freien.

Reduzieren Masken die Verbreitung über Aerosole?

Ob Masken die Ausbreitung von Covid-19 über Aerosole wirksam reduzieren, ist noch offen. Im beschriebenen Laser-Experiment unterband ein simpler, vor den Mund gehaltener Waschlappen immerhin die Ausbreitung grösserer Aerosole.

Allerdings zeigen frühere Untersuchungen, dass gerade einfache Baumwollmasken zu grobmaschig sein könnten. Sie können Tropfen und grössere Tröpfchen abfangen, kleine Aerosole aber dringen beim Sprechen entweder durch die Maske oder können besonders leicht seitlich entweichen.

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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