Kind bekommt Medizin auf einem Löffel

Antibiotika schwächen den Impfschutz von Kindern

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Kleine Kinder leiden oft an bakteriellen Infektionen, beispielsweise Harnwegsinfekten, eitrigen Mandelentzündungen oder Mittelohrentzündungen. Antibiotika verhindern dann, dass sich die Infekte quälend lange hinziehen oder gefährlich ausweiten.

Allerdings hat die Gabe der Medikamente auch eine Kehrseite, die bislang selbst Ärzten kaum bekannt war: Sie kann die Immunantwort auf verschiedene Schutzimpfungen schwächen.

Geschwächte Immunantwort nach Antibiotikagabe

Säuglinge erhalten in den ersten sechs Lebensmonaten verschiedene Impfungen gegen Infektionskrankheiten. Im zweiten Lebensjahr folgen dann entsprechende Auffrischungsimpfungen. Eine US-Studie zeigt nun, dass Antibiotika den Aufbau einer robusten Immunantwort empfindlich stören können: Die Immunreaktion fällt dann oft unterdurchschnittlich aus, ergab eine Untersuchung des Rochester General Hospital Research Institute in New York.

Ein Forschungsteam um Dr. Michael Pichichero hat dazu in Blutproben von 560 Kindern die Antikörperspiegel nach Impfungen gegen Polio, Meningitis und Pneumokokken sowie der Dreifachimpfung gegen Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten bestimmt. 218 der Kinder hatten in den ersten zwei Lebensjahren keine Antibiotika erhalten, 342 hatten mindestens eine Antibiotikakur gemacht.

Mit jeder Antibiotikakur sinkt der Impfschutz

Das Ergebnis: Bei Kindern, die Antibiotika erhalten hatten, lag die Zahl der Antikörper gegen die verschiedenen Infektionskrankheiten häufiger unter der Schwelle, die für den Immunschutz nötig ist.

  • Je häufiger die Kinder Antibiotika bekommen hatten, desto schwächer fiel der Impfschutz aus. Mit jeder Gabe im ersten Lebensjahr sank er um 5 bis 11 Prozent.
  • Noch deutlicher war der Effekt auf die Boosterimpfungen im zweiten Lebensjahr. Hier fiel der Antikörpertiter mit jeder Antibiotikakur um 12 bis 21 Prozent niedriger aus.
  • Entscheidend war auch der Abstand zwischen Antibiotikagabe und Impfung. Besonders negativ wirkten sich die Antibiotika aus, wenn die Kinder sie weniger als 30 Tage vor der Immunisierung bekamen, berichtet Pichichero auf Nachfrage von NetDoktor.
  • Vor allem Antibiotika, die gegen viele Bakterienstämme wirken (Breitbandspektrum-Antibiotika), erwiesen sich als ungünstig. Die Gabe von Wirkstoffen, die gezielt auf gefundene Krankheitserreger zugeschnitten sind (Schmalspektrum-Antibiotika), beeinträchtigte die Immunantwort hingegen nicht.
  • Auch die Dauer der Antibiotikakur war entscheidend: Eine fünftägige Kur hatte keine bedeutsame Abnahme der Antikörperspiegel nach Impfung zur Folge. Eine solche trat erst bei zehntägigen Kuren zutage.

Geschwächte Darmmikroben, geschwächte Immunantwort

Eine zentrale Rolle spielt bei diesem Phänomen das Darmmikrobiom. Die Bakterien, die im Darm siedeln, werden von den Antibiotika teilweise ebenfalls angegriffen. Menge und Vielfalt der Darmbakterien nehmen dann ab. Tatsächlich beobachten viele Patienten Magen-Darm-Probleme nach einer Antibiotikakur.

Die Darmbesiedler spielen aber nicht nur eine zentrale Rolle für die Verdauung, sie erfüllen auch eine Schlüsselfunktion in der Immunabwehr. Unter anderem kommunizieren sie mit den Immunzellen, die in grosser Zahl in der Darmschleimhaut vorkommen.

Auch an Aufbau und Regulation der Immunabwehr sind Darmbakterien beteiligt. „Wird das Zusammenspiel gestört, wirkt sich das negativ auf die Abwehrkräfte aus und insbesondere auch auf den Aufbau einer Immunität nach einer Impfung“, schreiben die Autoren.

Impfungen trotz Antibiotikakur nicht verschieben

„Eine geplante Impfung von Kindern wegen einer vorangegangenen Antibiotikabehandlung zu verschieben, ist dennoch nicht ratsam“, erklärt Pichichero auf Nachfrage von NetDoktor. Die Wahrscheinlichkeit sei nämlich hoch, dass diese dann gar nicht mehr erfolge.

Auch eine der Antibiotikakur nachfolgende Behandlung mit Probiotika, die das Mikrobiom wieder stabilisieren soll, kann er nicht empfehlen. „Aktuelle Probiotika enthalten nicht die richtigen Bakterien, um die Immunität im Zusammenhang mit Impfreaktionen zu modulieren“, erklärt der Wissenschaftler.

Ob die niedrigeren Antikörperspiegel später auch tatsächlich häufiger mit entsprechenden Infektionen einhergehen, haben die Forscher nicht untersucht. „Dazu wären sehr grosse Zahlen von Teilnehmern nötig, denn diese Krankheiten kommen dank der Schutzimpfungen viel seltener vor als früher“, sagt Pichichero.

Allerdings seien in den Vereinigten Staaten trotz der Pertussis-Impfung immer wieder Ausbrüche von Keuchhusten aufgetreten. Möglicherweise könnte der Einsatz von Antibiotika dazu beigetragen haben, mutmasst der Pädiater.

Was passiert im Darm?

In einem nächsten Schritt wollen die Forschenden anhand einer neuen Gruppe Kinder nun herausfinden, welche Veränderungen im Darmmikrobiom nach einer Antibiotikakur auftreten. Dazu wollen sie neben Blutproben auch Darmproben nehmen und diese mit Angaben zur Antibiotikaeinnahme abgleichen. Ausserdem wollen sie die Kinder über das fünfte Lebensjahr hinaus beobachten. Zu diesem Zeitpunkt sind alle kindlichen Impfzyklen abgeschlossen.

"Antibiotika sind Wundermittel", sagt Pichichero. Diese Studie bedeute daher keineswegs, dass Kinder, die ein Antibiotikum benötigen, es nicht bekommen sollten. „Wenn möglich, sollte es sich aber um ein gezieltes Antibiotikum mit kürzerer Wirkungsdauer handeln“, regt der Wissenschaftler an.

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Quellen:
  • Timothy J. Chapman et al.: Antibiotic Use and Vaccine Antibody Levels; Pediatrics, https://doi.org/10.1542/peds.2021-052061
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