Affenpocken am Arm

Affenpocken: Warum breiten sie sich jetzt in Europa aus?

Von , Medizinredakteurin
Christiane Fux

Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

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Einzelne Fälle von Affenpocken hat es immer wieder in Europa gegeben. Reiseheimkehrer brachten die Erreger vom afrikanischen Kontinent mit. Doch ausgebreitet haben sie sich hier bislang nie. Was ist passiert? Die beste Antwort darauf liefert eine genetische Spurensuche.

„Wir haben es hier mit dem ersten länderübergreifenden Ausbruch ohne bekannte epidemiologische Verbindungen nach West- oder Zentralafrika zu tun“, schreiben die Forschenden um Joana Isidro vom Nationalen Zentrum für Gesundheit in Lissabon.

Überraschend schnelle Ausbreitung von Mensch zu Mensch

Auffällig ist dabei vor allem die schnelle Ausbreitung der Affenpocken von Mensch zu Mensch. In Afrika infizieren sich die meisten Menschen beim Verzehr infizierter Tiere, beispielsweise Hörnchen, oder im Kontakt mit deren Kot. Menschen untereinander stecken sich nur selten und nur bei engem Körperkontakt an.

Ein solcher scheint bei vielen der aktuell in Europa Infizierten tatsächlich der Fall gewesen zu sein. Erste bekannt gewordene Fälle traten im Zusammenhang mit dem grossen Gay Event „Maspalomas Pride“ auf Gran Canaria auf. Daran nahmen rund 80.000 Menschen aus verschiedenen, vor allem europäischen Ländern teil.

Inzwischen breitet sich das Virus vor allem unter Männern aus, die mit Männern Sex haben. Mehr Körperkontakt geht nicht. Von den über 2000 Infizierten in Deutschland beispielsweise sind nur vier Frauen.

Ansteckung nicht immer beim Sex

Die meisten Ansteckungen liessen sich auf sexuellen Kontakt zurückführen, schreibt denn auch das deutsche Robert Koch-Institut (RKI). Die meisten wohlgemerkt, aber nicht alle. Denn tatsächlich kann man sich auch über das infektiöse Sekret der Pusteln und die Krusten der Patienten infizieren. Grundsätzlich kann sich mit dem Virus jeder anstecken, der engen körperlichen Kontakt mit einem Infizierten hat.

Auch im Speichel von Infizierten hat man kürzlich Virus-DNA nachgewiesen. Ein Beweis, dass man sich beim Küssen oder per Tröpfcheninfektion anstecken kann, ist das allerdings noch nicht.

Zahl der Pocken-Geimpften hat stark abgenommen

Auch die Tatsache, dass die Immunität gegen die menschlichen Pocken in der Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten stetig abgenommen hat, könnte zum jetzigen Ausbruch der Affenpocken beitragen. Bis Anfang der 1980er Jahre wurde noch gegen die viel gefährlicheren, auf Menschen spezialisierten Pocken geimpft. Und diese Impfung schützt auch ziemlich gut vor Affenpocken. Jüngere Menschen, die keine Pocken-Impfung mehr erhalten haben, sind ungeschützt.

Hat sich das Virus angepasst?

Doch es gibt noch einen weiteren möglichen Faktor: Das Affenpocken-Virus könnte sich inzwischen an den Menschen angepasst haben, sodass die Ansteckung von Mensch zu Mensch leichter ist.

Auf diese Möglichkeit stiess das portugiesische Team, als es das Genom von 15 Virenproben analysierte, die sie von Patienten aus verschiedenen europäischen Ländern sowie Nordamerika und Australien gewonnen hatten.

Das Ergebnis: „Alle Virus-Isolate sind genetisch sehr ähnlich. Das spricht für einen einzigen, gemeinsamen Ursprung“, schreiben die Forschenden.

Rasante genetische Veränderung

Das derzeit ausserhalb von Afrika kursierende Affenpockenvirus stammt offenbar von einer Variante ab, die zwischen 2017 und 2018 einen grösseren lokalen Ausbruch in Nigeria verursachte.

Anschliessend hat sich das Virus offenbar weiterentwickelt: Im Vergleich zur afrikanischen Variante von 2017/2018 fanden die Forschenden rund 50 Mutationen im Erbgut der ausserhalb von Afrika kursierenden Viren. „Das sind sechs- bis zwölfmal mehr Mutationen, als man bei Pockenviren erwarten würde“, schreiben die Forschenden. Gewöhnlich findet man dort jährlich nur ein bis zwei Punktmutationen. Eine Punktmutation ist eine Genmutation, bei der nur ein einziger Basen-Baustein der DNA verändert ist.

Einige Veränderungen betreffen offenbar Abschnitte im Genom, welche die Reaktion des menschlichen Immunsystems auf den Pockenerreger beeinflussen könnten.

Innerhalb von Europa hat die Veränderung des Virus daraufhin offenbar noch einmal Fahrt aufgenommen. Allein 15 der entdeckten Mutationen waren bei den ältesten Proben des aktuellen westlichen Ausbruchs noch nicht zu finden. Sie haben sich folglich innerhalb der letzten Wochen, sprich seit Anfang Mai entwickelt - und zwar bei einer Übertragung unter Menschen.

Beweis für Anpassung steht noch aus

Die Forschenden werten das als ersten Hinweis darauf, dass das Virus beginnt, sich an den Menschen anzupassen, und beispielsweise seine Fähigkeit verbessert, von Mensch zu Mensch zu springen. „Diese Daten zeigen erste Anzeichen für eine anhaltende Virus-Evolution und für eine mögliche Anpassung an den Menschen“, schlussfolgern Isidro und Kollegen. Bewiesen ist das allerdings noch nicht.

Experten hoffen derweil noch immer, verhindern zu können, dass sich das Affenpocken-Virus endgültig in Europa einnistet. Mit 181 registrierten Fällen beispielsweise in der Schweiz (Stand: 13.07.2022) ist das Infektionsgeschehen noch immer gut beherrschbar. Dazu beitragen würde vor allem eine Impfung von Risikogruppen und bekannten Kontaktpersonen. Wie erwähnt, schützt der ursprünglich gegen die Menschenpocken entwickelte Impfstoff auch sehr gut vor Affenpocken.

Männer, die häufig wechselnde männliche Geschlechtspartner haben, könnten sich schützen, indem sie sich impfen lassen – und sich bis dahin vorübergehend sexuell zurückhalten. Da es sich nicht um eine primär sexuell übertragbare Krankheit handelt, bieten Kondome keinen ausreichenden Schutz vor einer Ansteckung mit Affenpocken.

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Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.

Quellen:
  • Bundesamt für Gesundheit (BAG), Affenpocken, Stand: 19.07.2022, unter: www.bag.admin.ch (Abrufdatum: 20.07.2022)
  • Joana Isidro et al.: Phylogenomic characterization and signs of microevolution in the 2022 multi-country outbreak of monkeypox virus, Nature, 24. Juni 2022, DOI https://doi.org/10.1038/s41591-022-01907-y
  • Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), Affenpocken, Stand: 19.07.2022, unter: www.ages.at (Abrufdatum: 20.07.2022)
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